# taz.de -- Austellung über Avantgarde-Musiker: Als John Cage nach Bremen kam | |
> Die Weserburg zeigt eine Ausstellung über die Besuche des berühmten | |
> Komponisten. Eingeladen hatte ihn der Musikchef von Radio Bremen. | |
Bild: Der Guru ist gekommen: John Cage erläutert im Überseemuseum Bremen sein… | |
Zu sehen gibt es nicht viel in der Ausstellung „John Cage in Bremen“ des | |
Studienzentrums für Künstlerpublikationen in der Weserburg. Ein paar | |
Schallplatten, Musikkassetten und CDs sind in Vitrinen ausgestellt. Wenige | |
Fotos und Partituren sind an den Wänden angebracht. Wozu auch? War doch | |
John Cage in erster Linie Komponist und Musiker. Als solcher wirkte er auch | |
bei seinen Besuchen in Bremen zwischen 1959 und 1982. Und so gibt es | |
stattdessen viel zu hören, „genug für mehrere Wochen“, wie Bettina Brach | |
vom Studienzentrum verspricht. Man sollte Zeit mitbringen. | |
Die Bremer Schau erzählt die Geschichte einer vergangenen Musikavantgarde, | |
sie erinnert an die Ereignisse, Konzerte und Performances, die der | |
weltberühmte Komponist in Bremen aufführte. Erzählt wird allerdings auch | |
eine Episode aus der Geschichte von Radio Bremen, einer einst mutigen | |
kleinen Landesrundfunkanstalt, von deren musikalischem Leiter Hans Otte | |
sowie der Radiokunst des 20. Jahrhunderts. | |
John Cage hätte in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag gefeiert. Zahlreiche | |
Konzerte und Ausstellungen erinnern an einen Komponisten, der die Grenzen | |
zwischen den Künsten auf ihre Beständigkeit testete. Im Grunde findet sich | |
bereits in Cages frühem Werk das, was man heute mit einem leicht | |
progressivem Gestus „intermedial“ oder „interdisziplinär“ nennt. | |
Cage unterrichtete in den frühen 60er Jahren am Blackmountain College in | |
der Nähe von Asheville, North Carolina, wo er auf spätere Größen der | |
Happenings der 60er Jahre wie Dick Higgins oder Robert Rauschenberg traf. | |
In seinen bekanntesten musikalischen Stücken geht es um Stille oder den | |
Aufbau eines Orchesters, sie leben somit von ihrer Aufführung. | |
Cages Partituren, so erfährt man in der Bremer Ausstellung, haben | |
grafischen Charakter, sie verlassen die kommunikative Ebene und werden | |
selbst zum Bild. Hier gibt es eine Verbindung zur konkreten Poesie, deren | |
Vertreter wie die Österreicher Gerhard Rühm oder Ernst Jandl ebenfalls eine | |
grafische Notationen wählten. | |
Für Cages Verbindungen zu Bremen sollte ein weiterer Musiker wichtig | |
werden, dessen Partituren als Bilder angelegt sind. Der 1926 im sächsischen | |
Plauen geborene Hans Otte hatte zu Beginn der 50er Jahre von den | |
US-Behörden ein Studienstipendium für einen längeren Aufenthalt bekommen – | |
nach dem Krieg wurden im Rahmen von Reeducation-Maßnahmen junge begabte | |
Künstler aus Deutschland gefördert. Otte studierte unter anderem an der | |
Yale University in New Haven Komposition bei Paul Hindemith. Während dieser | |
Zeit lernte er John Cage kennen. | |
Ein knappes Jahrzehnt später wurde Otte mit gerade 32 Jahren | |
Hauptabteilungsleiter für Musik bei Radio Bremen – der jüngste Musikchef | |
der ARD. Er gründete die Reihe Musica Nova und schuf so für experimentelle, | |
zeitgenössische Musik ein Forum im Rahmen öffentlich-rechtlicher | |
Finanzierungs- und Organisationsstrukturen. Der Widerstand innerhalb der | |
Anstalt, aber auch bei der Hörerschaft muss gewaltig gewesen sein, doch die | |
Musik von Karl-Heinz Stockhausen, Nam June Paik und La Monte Young | |
erreichten so eine breitere Öffentlichkeit – genauso wie theoretische | |
Überlegungen von Theodor W. Adorno. | |
1959 lud Otte erstmalig John Cage zu Studioaufnahmen nach Bremen ein, | |
Konzerte im Oldenburger Schloss folgten. Die Bevölkerung war nicht | |
einverstanden mit der seltsamen, unverständlichen Musik. So kam es zu | |
Protesten und Störungen. Der Auftritt in der Bremer Glocke, den Cage 1972 | |
mit dem Musiker David Tudor bestritt, musste von der Polizei geschützt | |
werden. | |
Cage und Tudor führten simultan die Stücke „Rainforest 2“ und „Mureau�… | |
Eine Schwarz-Weiß-Aufnahme zeigt Cage und Tudor in der Mitte des | |
Konzertsaales, auf gleicher Ebene mit dem Publikum, an ihrem elektronischen | |
Equipment. Die vielen Kabel und Regler müssen das damalige Publikum an | |
Elektriker erinnert haben, nicht an Musiker. Neben der großen Anlage sieht | |
man den jungen Nam June Paik auf der Seite liegend dem Konzert beiwohnen. | |
Bei einem späteren Auftritt brachte Cage die Radiokunst nach Bremen, zu | |
deren Hauptvertretern er gehörte. Bereits mit zwölf hatte er mit seiner | |
Pfadfindergruppe ein eigenes Radioprogramm ins Leben gerufen, wenige Jahre | |
später bekam er in Los Angeles seine eigene Jugendsendung. | |
Cage wusste um die technischen Voraussetzungen: dass die Musik, die das | |
Radio spielt, nichts anderes ist als das Resultat elektronischer | |
Verschaltung hochfrequenter Wechselstromkreise – sein Vater, John Milton | |
Cage, hatte das erste Radio entwickelt, das man mit Wechselstrom betreiben | |
konnte. | |
Cage hat nicht nur zahlreiche Stücke fürs Radio komponiert, sondern auch | |
das Radio selbst als Klangerzeugungsmaschine verstanden. Sein bekanntestes | |
Radiostück ist „Radio Music“ von 1956, bei dem er acht Personen auf acht | |
Radiogeräten sechs Minuten lang ein von ihm komponiertes Stück performen | |
lässt. „Music is the noise of the radio“, konstatierte Cage. | |
„House full of Music“ war eine solche radiogenerierte Komposition. Radio | |
Bremen ermöglichte dies aufwendige Soundspektakel 1982. Der Aufwand war | |
enorm: zahlreiche Flügel und Klaviere mussten herbeigekarrt werden. Cage | |
hatte Musikschulen angefragt und 56 Gruppen mit knapp 800 jungen | |
Amateurmusikern ins Überseemuseum eingeladen. Simultan spielten sie | |
verteilt über die vielen Räume und Etagen des Museums aus ihrem Repertoire: | |
Tango, Ragtime, Jazz und Bach. | |
Cage wollte ein klingendes Haus schaffen, die Besucher der Aufführung | |
bekamen alles auf einmal zu hören. Fürs Radio aber komponierte Cage aus dem | |
gespielten Durcheinander etwas vollkommen Neues. Die Aufführung wurde in | |
viele Länder übertragen: Belgien, Kanada, Dänemark, Jugoslawien, Italien, | |
Spanien, Frankreich und die USA. | |
31 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Radek Krolczyk | |
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