# taz.de -- Ausbildung in der Psychotherapie: Droht die Einheitstherapie? | |
> Die Novellierung der Psychotherapie-Ausbildung erschwert praxisbezogenes | |
> Arbeiten – und ein ganzheitliches Verständnis seelischer Erkrankungen. | |
Bild: Was kann helfen, die verhedderten Gedanken zu lösen? | |
Am Freitag stimmte der Bundesrat über die Approbationsordnung für das | |
Psychotherapie-Studium ab. Damit nahm die Novellierung der | |
Psychotherapieausbildung die letzte gesetzgeberische Hürde. Ab dem | |
Wintersemester 2020/21 wird es die ersten Studiengänge geben, die – analog | |
zum Medizinstudium – mit einer Approbation enden, der staatlichen | |
Genehmigung zur selbstständigen Ausübung von Heilberufen. Eine solche | |
Regelung war durch die Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen | |
sowie Missstände in der bisherigen postgradualen Ausbildung nötig geworden. | |
Doch entscheidende finanzielle und fachliche Fragen bleiben immer noch | |
offen. | |
Nach wie vor bleiben die jungen Kolleg_innen in Ausbildung im Unklaren über | |
ihre künftige finanzielle Vergütung, die wohl eher den Mindestlohn | |
erreichen wird als eine adäquate Bezahlung auf dem Niveau von | |
Assistenzärzt_innen. Und das Studium der Psychotherapie ist in weiten Zügen | |
dem bisherigen Psychologiestudium angeglichen, obwohl die Länderkammer | |
ausdrücklich feststellte, dass die Psychologie nur eine der | |
Bezugswissenschaften für die Psychotherapie darstellt, neben Erziehungs- | |
und Sozialwissenschaften oder der Medizin. Die Psychologisierung der | |
Psychotherapie führt weg von einem ganzheitlichen Verständnis des Menschen | |
und erschwert ein Verständnis davon, wie sich körperliche und seelische | |
Vorgänge wechselseitig beeinflussen. | |
Auch die Kinder- und [1][Jugendlichen-Psychotherapie] wird unter dieser | |
Psychologisierung leiden. Während es bisher auch Angehörigen pädagogischer | |
Berufe möglich war, eine solche Therapieausbildung zu machen, wird dieser | |
Zugang künftig entfallen, der einen bewährten praktischen Erfahrungsschatz | |
für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen garantierte. Problematisch | |
auch, dass das neue Studium kaum Praxisanteile enthält, wie sie eigentlich | |
zur Erteilung einer Approbation nötig wären. So ist nicht einmal | |
verbindlich vorgesehen, dass Studierende therapeutische Gespräche mit | |
Patient_innen unter Supervision erlernen. Hier besteht dringender | |
Nachbesserungsbedarf. | |
Und die Versorgung psychisch kranker Patient_innen wird sich gewiss nicht | |
zum Besseren wenden. Denn diese Novellierung bedeutet eine wichtige | |
Weichenstellung in Richtung Einheitstherapie. Bisher können Patient_innen | |
psychotherapeutische Behandlung auf Krankenschein in Anspruch nehmen und | |
dabei zwischen kognitiv-verhaltensorientierten und | |
psychodynamisch-analytischen Verfahren wählen. Es ist allerdings zu | |
fürchten, dass diese Wahlfreiheit mit der Zeit auf der Strecke bleiben | |
wird. Zwar sieht das Gesetz formal die Verfahrensbreite aller | |
wissenschaftlich anerkannten Psychotherapien vor, doch sind über 80 Prozent | |
der Lehrstühle für Klinische Psychologie in Deutschland mit | |
Verhaltenstherapeuten besetzt. Und damit fehlen qualifizierte | |
Professor_innen, die die anderen Verfahren kompetent unterrichten und | |
damit die Unterschiedlichkeit der Therapieformen sichtbar machen können. | |
## Psychische Symptome als Sinnträger | |
Die verschiedenen Verfahren unterscheiden sich grundlegend in ihren | |
Vorstellungen von Krankheit und Gesundheit. Während psychische Erkrankungen | |
in der Verhaltenstherapie als „Störungen“ konzipiert werden, die es zu | |
beseitigen gilt, damit ungestörtes [2][psychisches Funktionieren] wieder | |
hergestellt wird, verstehen die psychoanalytischen Verfahren psychische | |
Symptome als Sinnträger, die einen Konflikt zum Ausdruck bringen, der auf | |
andere Weise nicht mitgeteilt werden kann. Ängste oder Depressionen, so | |
leidvoll sie auch sind, enthalten immer auch Spuren früherer | |
Gewalterfahrungen oder Vernachlässigungen, die sich nicht einfach | |
beseitigen lassen, sondern verstanden werden müssen. Denn erst die | |
Anerkennung dieser schwer erträglichen traumatischen Erfahrungen bringt die | |
bisher unerhörte Botschaft zum Verschwinden und mildert damit die Symptome. | |
Um ein solches Verstehen zu ermöglichen, arbeiten die analytischen | |
Verfahren im Hier und Jetzt und sehen in der [3][therapeutischen Beziehung] | |
den entscheidenden Raum zur Inszenierung dieser Botschaften und der bisher | |
unverstandenen, schmerzlichen Beziehungserfahrungen. Zentral ist dabei das | |
Zusammenspiel von Übertragung und Gegenübertragung. In instrumenteller | |
Weise suchen nun auch die kognitiv-behavioralen Therapieverfahren die | |
Übertragungsbeziehung zu nutzen und geben dabei vor, etwas Ähnliches zu | |
machen wie die analytischen Verfahren. | |
Dies führt jedoch in die Irre, weil sich die grundlegenden theoretischen | |
Konzepte fundamental unterscheiden. Der Gedanke einer Einheitstherapie ist | |
indes nicht neu: In den 1930er Jahren suchten ihn die Nazis nach der | |
Zerschlagung der psychoanalytischen Institute durchzusetzen, und auch in | |
den 1990er Jahren erfolgte ein erneuter, aber wenig erfolgreicher Vorstoß. | |
Versuche einer Vereinheitlichung von Psychotherapie erscheinen indes der | |
Sache wenig angemessen. Psychotherapie ist nicht – wie ein Medikament – | |
gleichermaßen für alle wirksam. Verschiedene Menschen brauchen verschiedene | |
Verfahren. Während die einen ihre psychischen Symptome durch | |
Verhaltenstraining zu mildern suchen, brauchen die anderen ein reflexives | |
Vorgehen. Diese Pluralität des therapeutischen Zugangs und Verständnisses | |
gilt es zu sichern. | |
Denn es kann nicht angehen, dass als „wissenschaftlich“ nur noch gilt, was | |
sich messen und zählen lässt. Es ist an der Zeit, offensiv für ein anderes, | |
verstehendes Wissenschaftsverständnis einzutreten, das nicht der Illusion | |
von Vorhersagbarkeit und Kontrollierbarkeit erliegt wie die empirischen | |
Wissenschaften. | |
Nun stehen die Akkreditierungen der neuen Studiengänge an. Hier wird sich | |
zeigen, wie ernst der Wissenschaftsrat die Verpflichtung zur Vielfalt der | |
Wissenschaften und ihrer Paradigmata nimmt. | |
18 Feb 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Eindruecke-aus-der-Jugendpsychiatrie/!5651507 | |
[2] /Psychotherapie-Kongress-in-Berlin/!5487676 | |
[3] /Archiv-Suche/!5661741&s=Psychoanalyse&SuchRahmen=Print/ | |
## AUTOREN | |
Ilka Quindeau | |
## TAGS | |
Psychotherapie | |
Psychoanalyse | |
Hochschule | |
Gesundheitspolitik | |
Ausbildung | |
Antisemitismus | |
Petition der Woche | |
Gesundheitspolitik | |
Petition | |
Psychoanalyse | |
Schwerpunkt Rassismus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Adorno-Vorlesungen von Ilka Quindeau: Gegen allzu bequemes linkes Denken | |
Die Psychoanalytikerin Ilka Quindeau hielt die Adorno-Vorlesungen in | |
Frankfurt. Autoritäre Charaktere gibt es auch in linken Milieus, führte sie | |
aus. | |
Petition der Woche: Freuds umstrittenes Erbe | |
In Frankfurt soll die Professur für Psychoanalyse zukünftig offen für alle | |
Verfahren ausgeschrieben werden. Studierende wollen das verhindern. | |
Untersuchung von Psychotherapien: Erwartungen oft zu hoch | |
Jede dritte befragte Person ist unzufrieden mit dem Ergebnis einer | |
psychotherapeutischen Behandlung. Das sagt ein Bericht der Barmer. | |
Petition der Woche: Hilfe bei Wochenbettdepression | |
Anastasia Venevkaja möchte auf die Stigmatisierung psychisch erkrankter | |
Mütter aufmerksam machen. Sie fordert bessere Aufklärung und Versorgung. | |
Psychoanalytiker über bösartigen Narzissmus: „Unehrlichkeit wird weitergege… | |
Otto Kernberg gilt als einer der bedeutendsten Psychoanalytiker. Der | |
Neunzigjährige über soziale Gruppen, Trump und Politiker-Diagnosen. | |
Psychiatriepatient William Tonou-Mbobda: Tödlicher Zwang | |
William Tonou-Mbobda suchte psychiatrische Hilfe in der Hamburger Uniklinik | |
– und kam dort ums Leben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. |