# taz.de -- Asghar Farhadi über „A Hero“: „Nichts ist dem Zufall überla… | |
> Der Regisseur Asghar Farhadi redet über Social Media im Iran, Politik in | |
> Beziehungen und seine ungewöhnliche Heldenfigur in dem Film „A Hero“. | |
Bild: Gläubiger Bahram (Mohsen Tanabandeh, links), Schuldner Rahim (Amir Jadid… | |
Schon zweimal wurde der iranische Regisseur Asghar Farhadi für seine Filme | |
mit dem Oscar ausgezeichnet, dieses Mal schaffte er es mit „A Hero – Die | |
verlorene Ehre des Herrn Soltani“ nur in die Vorauswahl. Darin geht es um | |
den wegen Schulden im Gefängnis sitzenden Rahim (Amir Jadidi), der während | |
ein paar Tagen Freigang versucht, seine Strafe zu verkürzen, als der Fund | |
einer Handtasche voller Goldmünzen ihn in ein immer dichter werdendes Netz | |
aus Lügen und Missverständnissen geraten lässt. | |
Gerade wird Farhadi in seiner Heimat von einer früheren Studentin verklagt, | |
die behauptet, er würde mit „A Hero“ einen Dokumentarfilm plagiieren, den | |
sie in seinem Kurs gedreht hat. Danach befragen konnten wir ihn nicht: | |
Unser Gespräch führten wir anlässlich der Weltpremiere vergangenes Jahr in | |
Cannes, wo „A Hero“ den Großen Preis der Jury erhielt. | |
taz: Herr Farhadi, zuletzt hatten Sie mit [1][„Offenes Geheimnis“ einen | |
Film in Spanien gedreht]. War es Ihnen danach wichtig, wieder in Ihrer | |
iranischen Heimat zu arbeiten? | |
Asghar Farhadi: Ich hatte nie vor, dem Iran den Rücken zu kehren und | |
dauerhaft im Ausland zu drehen. Im Gegenteil. Noch bevor ich eine konkrete | |
Geschichte im Sinn hatte, war mir klar, dass der nächste Film wieder zu | |
Hause entstehen würde. Es ging nur noch darum, mich für eine der vielen | |
Ideen, die ich im Kopf hatte, zu entscheiden. | |
Macht es für Sie einen Unterschied, ob Sie im Iran drehen oder anderswo? | |
Selbstverständlich. Der Iran ist meine Heimat, dort lade ich meine | |
kreativen Batterien wieder auf. Ich bin dort aufgewachsen, kenne die | |
Menschen und ihre Mentalität, bin mit den Städten und Landschaften | |
vertraut. Das macht das Arbeiten dort in vielerlei Hinsicht für mich | |
entspannter und unkomplizierter. Natürlich gibt es auch Schwierigkeiten, | |
schließlich ist es kein Geheimnis, dass es nicht immer einfach ist als | |
Künstler im Iran. Aber solange es mir weiterhin gelingt, mich diesen | |
Schwierigkeiten zu stellen und ich dort arbeiten kann, werde ich es auch | |
weiterhin tun. | |
Sie erwähnten die verschiedenen Ideen, die Sie für einen neuen Film im Kopf | |
hatten. Wie entschieden Sie sich dann für die Geschichte von „A Hero“, in | |
der es um einen Mann geht, der wegen Schulden im Gefängnis sitzt und nach | |
der Rückgabe einer verlorenen Handtasche als Held gefeiert wird, bevor er | |
sich in einen eskalierenden Teufelskreis der Lügen verstrickt? | |
In der Regel fangen meine Filme damit an, dass verschwommene Bilder und | |
Ideen vor meinem inneren Auge entstehen, um die sich nach und nach eine Art | |
Handlung bildet. Dieses Mal war mein Ansatz ein anderer und für mich | |
ungewöhnlich, denn ich nahm mir ein Konzept vor, dass ich schon seit meiner | |
Studentenzeit mit mir herumgetragen hatte. | |
Was meinen Sie konkret? | |
Als Student habe ich mich intensiv mit Brecht und seinem „Galilei“ befasst, | |
das war die Initialzündung. Seine Idee eines Helden, seine Gedanken zum | |
Heroismus und der Bedeutung von Heldentum für eine Gruppe und die | |
Gesellschaft haben mich sehr beschäftigt. Viele Jahre später begann ich | |
dann, mich mit Geschichten aus den Medien auseinanderzusetzen, in denen es | |
um Alltagshelden ging. Fernseh- oder Zeitungsberichterstattung über | |
Menschen, die erst gefeiert und dann wieder niedergeschrieben wurden, was | |
ein erstaunlich häufiger Kreislauf ist. Das war dann der endgültige | |
Auslöser für die Geschichte von „A Hero“. | |
Man staunt aus westeuropäischer Perspektive vielleicht ein bisschen, dass | |
die Rückgabe einer gefundenen Handtasche im Iran als Heldentat gefeiert | |
wird … | |
Als jemand, der auch mal eine Weile in Deutschland gelebt hat, stimme ich | |
Ihnen da voll zu. Eine solche Tat wäre bei Ihnen vermutlich nicht einmal | |
eine kleine Meldung wert. Aber auch im Iran landet man damit natürlich | |
nicht in den Schlagzeilen der Abendnachrichten. Das, was sie im Film sind, | |
ist lokale Berichterstattung; örtliche Sender oder Zeitungen berichten | |
durchaus über solche vermeintlichen Kleinigkeiten. Prinzipiell finde ich | |
das auch gar nicht verkehrt, denn warum sollte man nicht feiern, dass es | |
positive Nachrichten und gute Menschen gibt? Gleichzeitig könnte man | |
natürlich sagen, dass es ganz schön bitter ist, dass solche Taten offenbar | |
eine echte Ausnahme und damit besonders erwähnenswert sind. | |
Zu Fall kommt Ihr Held nicht zuletzt durch Social Media. Welche Rolle | |
spielen soziale Netzwerke in einem repressiven Land wie dem Iran? | |
Das ist eine ziemlich komplexe und paradoxe Situation. Der Rahmen, in dem | |
die Bevölkerung Social Media nutzen kann, ist recht eng und durch | |
staatliche Regulationen sehr klar definiert. Aber gleichzeitig gibt es dann | |
innerhalb dieses Rahmens durchaus eine gewisse Freiheit, die soziale | |
Netzwerke sehr attraktiv für die Iranerinnen und Iraner machen. Wie überall | |
sonst auch ist das heutzutage auch im Iran die hauptsächliche Art und | |
Weise, wie Menschen miteinander kommunizieren und sich aufeinander | |
beziehen. | |
Sogar diejenigen, die eine starke Zensur befürworten und Social Media | |
gegenüber kritisch sind, tun diese Meinungen ironischerweise in den | |
sozialen Netzwerken kund. Darüber hinaus ist unser Land – das muss auch | |
gesagt sein – übrigens alles andere als technikfeindlich oder so, sondern | |
im Gegenteil versuchen immer alle, auf dem neuesten Stand zu sein und mit | |
modernsten Entwicklungen Schritt zu halten. Selbst wenn die Funktionen | |
eingeschränkt sind, ausgefiltert wird, was gesagt werden darf, und es | |
überall eine staatliche Kontrolle gibt. | |
Glauben Sie, dass sich durch Social Media das System im Iran verändern | |
lässt? | |
Wie gesagt: Die Art und Weise, wie Menschen sich austauschen und vernetzen, | |
hat sich dadurch schon gewaltig verändert. Das ist im Iran nicht anders als | |
anderswo. Und trotz allem Schaden, den soziale Netzwerke etwa gerade bei | |
Jugendlichen anrichten können, halte ich sie insgesamt für ein positives | |
und nützliches Phänomen in unserer Gesellschaft, das Aufmerksamkeit auf | |
viele Probleme lenken kann. | |
Das ist wieder einmal eine sehr diplomatische Antwort Ihrerseits, wie so | |
häufig, wenn es um konkrete politische Themen geht. Auch in Ihren Filmen | |
war Politik bislang stets etwas für den Subtext und Regimekritik nicht zu | |
entdecken. Verstehen Sie sich als unpolitischer Künstler? | |
Nein, überhaupt nicht. Keine Frage: Ich war noch nie der Ansicht, dass ich | |
meine persönlichen Ansichten zwingend in Interviews diskutieren muss, und | |
auch in meiner Arbeit ging es mir nie darum, plakative Statements zu | |
setzen. Insofern kann ich sagen, dass mein Ansatz als Filmemacher immer | |
eher ein emotionaler als ein politischer gewesen ist. Aber wie könnte eine | |
Geschichte unpolitisch sein, wenn darin zwischenmenschliche Beziehungen in | |
einer Gesellschaft verhandelt werden, die selbstverständlich Tag für Tag | |
geprägt wird von der Politik ihres Landes? Das schwingt doch immer alles | |
mit. Überhaupt: Was könnte politischer sein, als die Menschen zum | |
Nachdenken anregen zu wollen? Und genau das ist es, was ich mit meinen | |
Filmen immer schon tun wollte. | |
In fast allen Ihren [2][Filmen stehen Familien im Zentrum, in den | |
unterschiedlichsten Konstellationen]. Was genau interessiert Sie so sehr an | |
der Familie als Institution? | |
Ehrlich gesagt ist es keine bewusste Entscheidung, mich jedes Mal mit | |
Familien zu beschäftigen. Das ergibt sich eher zufällig. Vermutlich weil | |
sich nirgends sonst zwischenmenschliche Beziehungen, Strukturen und | |
Emotionen so klar und präzise auf engem Raum darstellen lassen. Nicht | |
umsonst ist die Liste der Bücher, Theaterstücke und Filme, die innerhalb | |
einer Familie spielen, endlos. | |
Ihr Ansatz ist dabei immer ein sehr naturalistischer, und gerade in „A | |
Hero“ wirken manche Szenen so echt, als entstammten Sie einem | |
Dokumentarfilm oder seien improvisiert. Wie schaffen Sie diese | |
Authentizität? | |
Jedenfalls nicht durch Spontaneität oder gar Improvisation. Im Gegenteil | |
plane ich jedes noch so kleine Detail meiner Filme bis ins Letzte durch. | |
Den größten Teil meiner Energie als Regisseur verbrauche ich dabei, meine | |
Arbeit so echt und dokumentarisch wie möglich aussehen zu lassen, obwohl im | |
Gegenteil von den Dialogen bis zu den Kostümen und Kulissen wirklich rein | |
gar nichts dem Zufall überlassen ist. Jede Szene und jede Einstellung ist | |
komplett durchkonstruiert bevor die Kamera läuft. Und wenn es sein muss, | |
kommen, wie bei „A Hero“, auch digitale Spezialeffekte zum Einsatz. Aber | |
natürlich so, dass niemand im Publikum sie jemals wahrnehmen würde. | |
2 Apr 2022 | |
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## AUTOREN | |
Patrick Heidmann | |
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