# taz.de -- Anti-Terror-Maßnahmen der USA: Kampf mit offenem Ende | |
> 20 Jahre nach 9/11 dauert der präventive Krieg gegen den Terror an. | |
> Orient und Okzident treiben auseinander. Dabei können sie nur gemeinsam | |
> gewinnen. | |
Bild: George W. Bush hält eine Rede nach den Terroranschlägen vom 11. Septemb… | |
Bereits in der Antike begann mit dem Austausch von Regeln zwischen | |
verfeindeten Völkern die Verrechtlichung internationaler Politik. Seitdem | |
wird das Geflecht aus Freundschaftsverträgen und multilateralen Abkommen | |
immer enger durch und um die Weltgemeinschaft gesponnen. Die Idee dahinter | |
war immer: Je mehr sich die Nationen der Erde untereinander abstimmen, | |
desto weniger bekämpfen sie sich. | |
Im 20. Jahrhundert gelang mit der Kodifizierung der in bewaffneten | |
Konflikten anwendbaren Schutzvorschriften ein weiterer großer Wurf. | |
Westliche Diplomaten erreichten, dass jedes Land der Welt die Genfer | |
Konventionen unterschrieb. Seitdem setzen diese dem bis dahin als | |
unregulierbar, weil unmenschlich angesehenen Kriegsgeschehen Grenzen. | |
Völkerrechtliche Verträge decken freilich nicht jeden regulierungswürdigen | |
Bereich ab. Dort, wo sie bestehen, werden sie zudem nicht immer redlich | |
eingehalten. Und doch haben sie einen nicht zu unterschätzenden Anteil | |
daran, dass die Menschheit, langfristig betrachtet, immer friedlicher | |
miteinander umgeht. Auf unserer Welt eines unnatürlichen Todes zu sterben | |
wird mit jedem Jahr weniger wahrscheinlich. | |
Dieses System von multilateraler Abhängigkeit und Kooperation begünstigt | |
vor allem westliche Staaten, deren politische Bestrebungen Landesgrenzen | |
überschreiten und deren Streitkräfte in entlegenen Erdteilen unsere | |
Interessen schützen sollen. Auch der geregelte Zugang zu internationalen | |
Handelswegen dient vor allem den euroatlantischen Konzernen. Unser | |
sozialer Friede und Wohlstand hängen somit vom Vertrauen ab, das Länder | |
sich entgegenbringen. | |
## Misstrauen gegenüber der muslimischen Welt | |
Aus abendländischer Sicht haben [1][die Anschläge des 11. September 2001], | |
die knapp 3.000 Todesopfer forderten, das Vertrauen in die muslimische Welt | |
getrübt. Viele Muslime halten das Terrorattentat ihrerseits für einen von | |
Privatpersonen ausgeführten Mordüberfall. Auch rechtlich ist die Einordnung | |
nicht eindeutig: Handelte es sich um den Auftakt zu einem bewaffneten | |
Konflikt zwischen [2][Afghanistan] als Gaststaat al-Qaidas und den USA? | |
Oder um die terroristische Antwort auf ruchlose Operationen amerikanischer | |
Streitkräfte im Orient? | |
Ungeachtet der unklaren Ausgangslage läuteten die Vereinigten Staaten und | |
ihre Verbündeten nach den New Yorker Anschlägen jedenfalls ihren Kampf | |
gegen den Terror ein, der bis heute andauert. Seitdem gelten die einst von | |
uns selbst in die Welt gebrachten Verpflichtungen des Kriegsvölkerrechts | |
und der außerhalb von Gefechtszonen gültige menschenrechtliche Schutz für | |
den Feind praktisch nicht mehr. | |
So wurden nach dem 11. September zahlreiche Menschen entführt und in von | |
westlichen Geheimdiensten betriebenen Geheimgefängnissen gefoltert. Auch | |
der jahrzehntelange, ohne strafrechtliches Urteil angeordnete | |
Freiheitsentzug auf der amerikanischen Marinebasis [3][Guantánamo] Bay | |
erscheint bedenklich. US-Präsident Joe Biden hat zwar, wie vor ihm Barack | |
Obama, versprochen, das Lager zu schließen. | |
Dies wird der US-Kongress jedoch weiterhin zu verhindern wissen; und so | |
wird das über 800 Jahre alte Recht eines Menschen, einen Richter über seine | |
Inhaftierung befinden zu lassen, ausgerechnet vom Westen ignoriert. | |
Letztlich empfinden die knapp zwei Milliarden Muslime die großflächig | |
ausgeführten Angriffe bewaffneter Drohnen als willkürlich. | |
Die Geschosse aus den unbemannten Flugobjekten, für die seit diesem Jahr | |
das Weiße Haus direkt verantwortlich zeichnet, stellen für die meisten | |
Bewohner den einzigen Kontakt mit dem Abendland dar. Dies kann nicht in | |
unserem Interesse sein. Gemäß der für ihre Informationsarbeit mit dem | |
Friedensnobelpreis ausgezeichneten [4][Nichtregierungsorganisation IPPNW] | |
fielen den Militäreinsätzen, die den Terror besiegen sollen, allein in den | |
ersten zehn Jahren über eine Million Menschen zum Opfer. | |
## Der Westen bricht die eigenen Regeln | |
Laut dem Whistleblower Edward Snowden möchten Staatenlenker denn auch vor | |
allem eines: Sich gegen die Anschuldigung wappnen, sie blieben tatenlos: | |
„Unsere Politiker haben mehr Angst vor […] dem Vorwurf, sie nähmen den | |
Terror nicht ernst genug, als vor dem Verbrechen selbst.“ Obgleich die oben | |
genannten kriegsregulierenden Abkommen nach Ende der Feindseligkeiten eine | |
rasche Rückkehr zur Normalität vorgeben, sieht sich der Westen weiterhin im | |
Ausnahmezustand. | |
Daran ändert auch der Abzug amerikanischer Kampftruppen aus Afghanistan | |
wenig. In Guantánamo festgehaltene Verdächtige bleiben weiterhin | |
„Kriegsgefangene“ für die Ewigkeit, während ihre Glaubensbrüder in Afrika | |
sowie im Nahen und Mittleren Osten zum [5][Abschuss durch Drohnen] | |
freigegeben werden. So entwickelt sich die Auseinandersetzung mit dem | |
Terror zum präventiven Verteidigungskampf ohne Ende und ohne geografische | |
Einschränkung. | |
Diese Verklärung althergebrachter Konventionen ist nicht nur Wasser auf den | |
Mühlen derjenigen, die einen Keil zwischen Orient und Okzident treiben | |
möchten. Sie birgt ebenfalls die Gefahr eines Dammbruchs, der auch anderen | |
Staaten die Möglichkeit bietet, das Recht ihren Interessen „anzupassen“, da | |
es die USA, die am längsten bestehende Demokratie der Welt, schließlich | |
selbst tun. | |
Vor mehr als zwei Jahrtausenden warnte der römische Politiker und Philosoph | |
Cicero vor fehlender Rücksichtnahme und Respektlosigkeit gegenüber fremden | |
Völkern. Ein solches Verhalten schade der Gerechtigkeit und höhle letztlich | |
die eigene Gesellschaft aus. Aus heutiger Sicht ließe sich ergänzen, dass | |
es in einer globalisierten Welt keine fernen Völker, sondern nur noch | |
unterschiedlich weit entfernte Nachbarn gibt. Und auf die sind wir | |
angewiesen. Denn ohne den Zuspruch der Muslime wird der Kampf gegen den | |
Terror nicht zu gewinnen sein. | |
10 Sep 2021 | |
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## AUTOREN | |
Josef Alkatout | |
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