# taz.de -- Anthroposophische Kreativität: Mein Hocker ist dein Hocker | |
> Künstlerischen Ausdruck zu fördern, schreiben sich die Waldorfschulen auf | |
> die Fahnen. Allerdings ist die künstlerische Freiheit stark | |
> eingeschränkt. | |
Bild: Neon, Pastell oder Schwarz waren genauso verboten wie Filzer oder Bleisti… | |
Waldorfschulen und kreativ-künstlerische Förderung? Beim Betreten eines | |
Waldorfklassenzimmers sieht man meist einen Klassensatz fast identischer | |
Bilder an der Wand hängen. Ich erinnere mich gut daran, wie wir als Klasse | |
unsere Bilder betrachtet und besprochen haben. In meinen Zeugnissen wurde | |
mein Umgang mit Farben jedes Jahr bewertet. | |
Rudolf Steiner meinte wohl, dass Kinder ein angeborenes Gefühl für Wahrheit | |
hätten, das [1][Gefühl für Schönheit jedoch erst im Kind entwickelt werden | |
müss]e. Hat bei mir geklappt. Ich habe relativ schnell ein feines Gespür | |
dafür bekommen, was erwünscht war und was nicht. Und so habe ich angefangen | |
in der Schule anders zu malen als zu Hause. | |
Mir fiel letztens erst auf, wie eingeschränkt die Farben und Materialien | |
dabei waren. Seit Jahrzehnten diktiert die Farbpalette der | |
anthroposophischen Firma Stockmar die Stimmung und Textur aller Bilder in | |
der Unterstufe. Neon, Pastell oder Schwarz waren genauso verboten wie | |
Filzer oder Bleistifte. Beim Handarbeiten wurde Wert auf Pflanzengefärbtes | |
gelegt und ich stritt mit der Lehrerin über akzeptable Farbverläufe. | |
In der Waldorf-Fachliteratur für Handarbeitslehrkräfte steht, dass man sich | |
gut in der Temperamentenlehre schulen solle und die Kinder entsprechend bei | |
der Farbwahl und in ihrer Arbeit „unterstützen“. So sollen z.B. nicht die | |
geschickteren Kinder die härteren Materialien bekommen, sondern die | |
„cholerischen“. | |
Wir arbeiteten immer alle an dem gleichen traditionellen Werkstück: In der | |
8. Klasse war es ein Hocker – den ich meiner Mutter schenkte. Viele Jahre | |
später hatte ich ihn wieder in der Hand und wunderte mich, weil die Beine | |
gröber gehobelt waren, als ich das erinnerte. Ich hatte mich extra bemüht. | |
Und tatsächlich entdeckte ich fein mit Bleistift den Namen einer | |
Mitschülerin an der Unterseite. Es war einfach niemandem aufgefallen, weil | |
sie, wie so oft, alle fast identisch aussahen. | |
Um meine vielen handwerklichen und künstlerischen Fertigkeiten wurde ich | |
oft beneidet. Ich war auch stolz drauf und habe nach dem Abi mehrfach | |
probiert mich künstlerisch auszudrücken: Musik, Plastizieren, Zeichnen, | |
Handarbeiten … es hat sich immer eher beklemmend angefühlt, und ich habe es | |
recht schnell aufgegeben. | |
Ich musste erst Steiner und Co. lesen, um den Zusammenhang besser zu | |
verstehen. Wir wurden neben der „Erziehung zur Schönheit“ permanent in | |
unserer seelischen Entwicklung beurteilt und „gefördert“. Die Farben, die | |
ich beim Sticken auswählte, wurden genauso zur Beurteilung herangezogen wie | |
meine Art zu stricken. | |
Strickte ich zu fest, war meine Seele zu verkrampft und das konnte dann | |
Einfluss darauf haben, welche Rolle ich im nächsten Klassenspiel zugewiesen | |
bekam oder wie mein Sozialverhalten beurteilt wurde. Immer gab es diesen | |
analytischen, pseudotherapeutischen Blick. | |
Und ich habe ihn gehasst. | |
Auch wenn ich noch keine Worte dafür hatte und nicht wusste, dass hinter | |
meinem Rücken „Kinderbesprechungen“ stattfanden, wo man z.B. darüber | |
entschied, ob ich [2][Heileurythmie] bräuchte. | |
Anders als gedacht, ging es nie vorrangig um Kreativität oder | |
Selbstausdruck. Es ging um Inkarnation, Ausgleich von „Einseitigkeiten“ und | |
esoterische „individuelle Förderung“. Oder halt um Manipulation, sich füg… | |
und Gehorsam. Je nachdem, wie man es betrachten will. | |
1 Jan 2024 | |
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## AUTOREN | |
Frau Lea | |
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