# taz.de -- Religion in der Waldorfschule: Nein danke, ich will ihn lieber nich… | |
> Religion ist in der Waldorfschule allgegenwärtig. Wie unterdrückend das | |
> sein kann, zeigt auch die Keramik, die eine Künstlerin zu dem Thema | |
> fertigte – und einen Preis gewann. | |
Bild: Keramik der Künstlerin Asta Volkensfeld: ICH WILL IHN SUCHEN | |
Die ehemalige Waldorfschülerin Asta Volkensfeld hat mit einer Keramik den | |
[1][„DA! Art-Award“ 2024] gewonnen. Um ihre rauchgebrannte Schale reihen | |
sich schemenhafte Kindergestalten. Hinter ihnen steht in endloser | |
Wiederholung: „ICH WILL IHN SUCHEN“. Der Satz ist tief in mein Gedächtnis | |
eingebrannt. | |
Im Kindergottesdienst der Christengemeinschaft, genannt „Sonntagshandlung“, | |
ging der Pfarrer durch die Reihen stehender Kinder. Er gab jedem die Hand, | |
schaute ihm in die Augen und sagte: „Der Gottesgeist wird sein mit dir, | |
wenn du ihn suchest.“ Das Kind antwortete: „Ich will ihn suchen.“ Immer | |
dieselbe Formel. | |
Kind um Kind kommt er näher. Dann bin ich dran: „Ich will ihn suchen.“ Erst | |
dann lässt er meine Hand wieder los und geht einen Schritt weiter zum | |
nächsten Kind. Es ist schummerig. Auf dem Altar brennen die Kerzen. Alle | |
sind still, aber meine Gedanken fliegen: Was würde passieren, wenn ein Kind | |
etwas anderes sagt oder sich verweigert? | |
## „Ich wollte unbedingt ein gutes Kind sein“ | |
Es war unvorstellbar und doch war ich immer erleichtert, wenn der Pfarrer | |
endlich zurück zum Altar schritt. Dann kam die Sorge, etwas versprochen zu | |
haben, was ich vielleicht nicht halten würde. Der Ritus endet mit den | |
Worten: „Liebe Kinder! Ich entlasse euch nun. Aber behaltet in guten | |
Gedanken, was ihr hier gehört, empfunden, gedacht habt.“ | |
Ich hab nie über meine Sorgen geredet. Meine Empfindungen waren ja nicht | |
gut und ich wollte unbedingt ein gutes Kind sein. In den Kinderschemen auf | |
Volkensfelds Keramik sehe ich die Unentrinnbarkeit, die emotionale | |
Disziplin, die Abwesenheit von Individualität und auch die Sprachlosigkeit, | |
die ich damals empfand. | |
Die Waldorfpädagogik geht davon aus, dass Kinder aus sich heraus religiös | |
seien. Jeder Schultag beginnt mit einem Gebet von Rudolf Steiner, das | |
Schuljahr ist von religiösen Festen geprägt und Kinder sollen nicht nur am | |
Religionsunterricht, sondern auch regelmäßig an einer Kultushandlung | |
teilnehmen. | |
Für Kinder konfessionsloser Eltern entwickelte Steiner daher einen | |
Gottesdienst, der in der Schule stattfindet. Er gleicht dem der | |
Christengemeinschaft, nur dass eine Lehrkraft zeitweise Priester*in und | |
die Schule der sakrale Raum wird. | |
## Atheismus als Krankheit | |
Und wie ist das heute? Auf drei Viertel der 253 von mir durchsuchten | |
Waldorfschulwebseiten konnte ich keine Informationen zum Thema Religion | |
finden und das obwohl die Waldorfschule Berlin-Mitte sagt: | |
„Religionsunterricht kann als ein Kernfach der Waldorfpädagogik gesehen | |
werden.“ | |
Nur bei 16 Schulen habe ich Hinweise auf eine „Handlung“ gefunden. Dabei | |
sind „die Handlungen“ an der Freien Hochschule Stuttgart einer der fünf | |
Themenbereiche im Studium „Lehrer*in für Freie Religion“. Und es gibt viele | |
Stellenanzeigen für „Freie Religion“. Es lässt mich ratlos zurück. | |
Rudolf Steiner bestand darauf, dass Waldorfschulen keine | |
Weltanschauungsschulen seien, entwickelte aber gleichzeitig einen | |
anthroposophischen Kindergottesdienst und [2][betrachtete Atheismus als | |
Krankheit]. | |
Die Waldorfschule Augsburg erklärt [3][auf ihrer Seite], dass „jeder gute | |
Unterricht eine religiöse Dimension haben sollte. […] So ist das religiöse | |
Element an der Waldorfschule eine pädagogische und keine weltanschauliche | |
Grundlage.“ Für mich bleibt es widersprüchlich. Immerhin kann ich heute | |
sagen: „Danke. Nein. Ich will ihn lieber nicht suchen. Ich bin auch so | |
okay.“ | |
1 Dec 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://da-art-award.de/ | |
[2] https://anthrowiki.at/Atheismus | |
[3] https://www.waldorf-augsburg.de/paedagogik/unterrichtsfaecher-epochen/relig… | |
## AUTOREN | |
Frau Lea | |
## TAGS | |
Kolumne Exit Waldorf | |
Rudolf Steiner | |
Keramik | |
Glaube, Religion, Kirchenaustritte | |
Religion | |
Kolumne Exit Waldorf | |
Kolumne Exit Waldorf | |
Kolumne Exit Waldorf | |
Kolumne Exit Waldorf | |
Waldorfschule | |
Kolumne Exit Waldorf | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Glückliche Momente in der Waldorfschule: Und trotzdem müssen wir die Struktur… | |
Unsere Kolumnistin hat an ihre Zeit in der Waldorfschule auch viele schöne | |
Erinnerungen. Aber das sollte uns nicht abhalten, Kritik am System zu üben. | |
„Epochenunterricht“ in der Waldorfschule: Didaktisch wertvoll oder doch nur… | |
In Waldorfschulen wird in „Epochen“ gelehrt: über Wochen ein Fach intensiv, | |
dann wochenlang gar nicht. Ist das sinnvoll? | |
Wie die Waldorfschule Vertrauen lehrt: Sie wollten Fügsamkeit | |
In der Waldorfwelt scheint alles Sinn zu ergeben. Unsere Kolumnistin | |
schildert, wie sie Indoktrination erlebte und warum sie sich oft isoliert | |
fühlte. | |
Weltbild der Waldorfschule: Ein besserer Mensch sein? | |
Auf der Waldorfschule lernt man Stricken, aber ist mit Sozialem | |
überfordert. Wie unserer Autorin eine Weltanschauung übergestülpt wurde. | |
Rudolf Steiners Rassismus: Er glaubte an weiße Vorherrschaft | |
Rudolf Steiner war rassistisch. „Schule ohne Rassismus“-Plaketten an | |
Waldorfschulen bleiben Selbstbeschwörung. | |
Anthroposophische Kreativität: Mein Hocker ist dein Hocker | |
Künstlerischen Ausdruck zu fördern, schreiben sich die Waldorfschulen auf | |
die Fahnen. Allerdings ist die künstlerische Freiheit stark eingeschränkt. |