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# taz.de -- Wie die Waldorfschule Vertrauen lehrt: Sie wollten Fügsamkeit
> In der Waldorfwelt scheint alles Sinn zu ergeben. Unsere Kolumnistin
> schildert, wie sie Indoktrination erlebte und warum sie sich oft isoliert
> fühlte.
Bild: In der Walddorfwelt ging es eigentlich um blindes Vertrauen
In meiner [1][Waldorfwelt] vertrauten gute Kinder den Erwachsenen, sie
waren tüchtig, lebensfroh, sprachen deutlich und bewegten sich sicher. Ich
habe mich als Kind bemüht, diesem Ideal zu entsprechen. Verzagtheit,
Besorgtheit, Undankbarkeit oder Misstrauen waren ungern gesehen. Vertrauen
und Mut wurden gefordert, nicht gefördert.
Ich musste beispielsweise alleine zur [2][Heileurythmie]. Wann, warum und
wie lange durfte ich nicht wissen – ich musste vertrauen. Auch Eltern
sollten zuversichtlich sein: Dass ihre Kinder Krankheiten gut überstehen
oder sich die Lesekompetenz von alleine einstellen wird, wenn das Kind so
weit ist. Es ging eigentlich um blindes Vertrauen. Oder eher Fügsamkeit.
Wer es nicht schaffte, „gut in der Gemeinschaft anzukommen“, wurde
abgewertet und ausgegrenzt. Generell wurde Machtmissbrauch dadurch
begünstigt.
Der [3][Waldorflehrplan] stellt die Grundschulzeit unter das Motto „Die
Welt ist schön“ oder „Die Welt ist gut“. Es war wie ein Versprechen an u…
Kinder, während die Erwachsenen einen tiefen Kulturpessimismus pflegten.
Sie hatten zwar keine Angst vor Masern, aber existenzielle Angst davor,
dass wir Sesamstraße schauten. [4][Grimms Märchen] im Original, mit all
ihren Grausamkeiten, waren wiederum gut. Erwachsene hatten keine Angst vor
verpassten Schulabschlüssen, aber große Sorge vor dem Einfluss von Bravo
und Popmusik.
## Irrationale Ängste
Dem Vertrauen in die Waldorfwelt stand die Angst vor der profanen Außenwelt
gegenüber. Und zwar in einem Ausmaß, das frei von jeglicher Rationalität
war und zu hoher sozialer Kontrolle führte.
Mit viel Aufwand wurden wir von Regelschulen und normalen Angeboten für
Kinder und Jugendliche ferngehalten. „Die Welt ist gut“ meinte wohl am Ende
doch nur die Waldorfgemeinschaft.
Nur so wie wir dachten und handelten war es richtig. Das gab ein Gefühl von
Sicherheit und Zugehörigkeit. Ich habe unbewusst die Waldorf-Ideale und
hunderte Lebensregeln verinnerlicht. Ich habe mich geschämt, wenn ich etwas
toll fand, nachdem es mich nicht hätte verlangen sollen.
Ich habe mich gegen vieles, was Freude machen, abgegrenzt (Popkultur, Mode,
Teeniekram) und bekam ohne meine Integrität als Waldorfkind zu verraten
keinen Zugang dazu. Mir fehlen bis heute bestimmte Anknüpfungspunkte, die
andere Menschen meiner Generation verbinden.
## Ein leises Heimweh
Nach der Schulzeit war ich latent einsam. Irgendwie lost. Es gibt eine
gewisse Arroganz, die einem als Waldorfschüler*in gegen Abwertungen von
außen helfen kann, aber sie steht einem auch im Weg. Meine Welt wurde
grauer. Ich war, ohne es zu merken, weltfremd geworden – unserer diversen
Gesellschaft entfremdet.
In der Sektenforschung spricht man von „physically out, but mentally in“.
Ich hatte die Waldorfgemeinschaft zwar körperlich verlassen, aber mental
und emotional bin ich erst in den letzten Jahren ausgestiegen. Bis dahin
gab es in mir immer ein leises Heimweh nach der „schönen Welt“.
Ich bin in einer sehr widersprüchlichen, esoterischen Welt aufgewachsen,
die nur Sinn macht, wenn man von innen nach außen schaut. Auch wenn mir das
lange nicht bewusst war. Sich aus dieser Indoktrination herauszuarbeiten,
sich der Vielfalt der Welt und der eigenen Gefühle zu stellen ist holprig,
mühsam und teils verwirrend – aber so, so befreiend.
29 Dec 2024
## LINKS
[1] /Waldorf-Weleda-Demeter-und-Co/!5638891
[2] /Foerderung-an-Waldorfschulen/!6003204
[3] /Weltbild-der-Waldorfschule/!6026638
[4] https://literaturwissenschaft.de/buch/die-familie-in-grimms-maerchen.html
## AUTOREN
Frau Lea
## TAGS
Kolumne Exit Waldorf
Waldorfschule
Einsamkeit
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