# taz.de -- Amnesty unterstellt Israel „Apartheid“: Nichts als antiisraelis… | |
> Früher ging es der einst noblen NGO um die Freilassung von Inhaftierten. | |
> Heute unterwirft sich Amnesty International politischen Moden. | |
Bild: Von „Apartheid“ keine Spur: Getrennte Strände gibt es in Tel Aviv ni… | |
Das ist ein Nachruf auf eine honorige Organisation. Sie ist allen bekannt, | |
die sich für Menschenrechte interessieren, weltweit, und für die Arbeit | |
daran, den Opfern und Inhaftierung überhaupt, den Weggesperrten zu helfen: | |
Amnesty International, [1][in den frühen Sechzigern gegründet], hatte unter | |
allen Menschenrechtsinstitutionen global den besten Ruf, weil alle | |
schmutzig-politischen Regime AI buchstäblich hassten. | |
Die Mitglieder von AI blieben subversiv, sie schrieben nur Postkarten an | |
Machthaber; aus Hunderten von Briefen sollte Druck erwachsen, die | |
Inhaftierten freizulassen, eben: zu amnestieren. Der Ton war bestimmt, aber | |
immer ein bisschen diplomatisch devot. Das musste so sein, weil man ja | |
erreichen wollte, dass etwa zwei portugiesische Studenten freikommen, die | |
von der Polizei in Lissabon einkassiert und in ein Verlies gesperrt wurden, | |
weil sie sich kritisch über die Rechtsdiktatur äußerten. | |
AI nahm keine Rücksicht auf linke Üblichkeiten, das Kümmern widmete sich | |
besonders Opfern rechter Diktaturen, aber nicht minder den Verfolgten im | |
realsozialistischen Bereich. AI war eine Macht in der Welt des | |
Vorpolitischen, der globalen Öffentlichkeit. Auch deshalb, weil dieser | |
Verein sich eben keiner, absolut keiner politischen Linie unterwarf. | |
Ihr dürft nicht so laut auf Missstände in der Sowjetunion hinweisen, nicht | |
auf Gulags und die politische Justiz – das dient nur den US-Imperialismus!, | |
so hieß es oft. Nein, AI, eine britische Gründung, aus dem Geist eines | |
liberalen, absolut am Individuum orientierten Begriffs von Menschenrechten | |
hervorgegangen, ließ sich im Kalten Krieg vor keine Karren spannen. | |
## Der Report, eine Bankrotterklärung | |
So hätte es weitergehen können, bis heute. Aber seit der Popularisierung | |
des Menschenrechtsgedankens ins Allgemeine und damit Uferlose – AI äußerte | |
sich nie zu politischen Lagen insgesamt – ist auch diese Organisation wie | |
alle anderen: Man unterwirft sich politischen Moden und Stimmungen. | |
Anfang der Woche kam aus der Londoner Zentrale von AI ein Bericht, der sich | |
nicht um einzelne, besonders prekär bedrohte Gefangene etwa in China oder | |
in Iran drehte. Sondern, der Top Hit der internationalen | |
Polit-woke-Bewegung, um Israel. | |
[2][Dieser Report] kam einer Bankrotterklärung gleich, insofern sind diese | |
Zeilen auch faktisch ein Nachruf auf einen noblen Verein, der viel Gutes | |
bewirkt hat, doch inzwischen kaum mehr als lautstärkebewusster Zirkel von | |
ideologischen Korrupteur*innen ist. [3][Die deutsche Sektion von AI hat | |
sich diesem Bericht offiziell nicht angeschlossen], weil man, abstoßend | |
ehrlich, um die „besondere Verantwortung der deutschen Amnesty-Sektion | |
wegen des Holocaust“ weiß. | |
In dem Report wird Israel das schon hinlänglich Bekannte attestiert. Alles | |
schlimm dort, Menschenrechtsverletzungen und derlei | |
Global-Labertaschen-Rhetorik mehr. Worauf es in dem Bericht, medial | |
natürlich perfekt inszeniert, ankam, ist, die Voodoo-Vokabel „Apartheid“ �… | |
Israel operiere in dem von dessen Militärs besetzten Gebieten in der | |
Westbank nicht nur wie Südafrika bis zum offiziellen Ende der weißen | |
Herrschaft, also als [4][Apartheidsregime], sondern auch auf israelischem | |
Kerngebiet in den Grenzen von 1967. | |
## Der Vorwurf deutet auf politpornografische Sinnlosigkeit hin | |
Und genau dieser Vorwurf ist nicht nur eine Lüge, sondern auch eine | |
Bagatellisierung dessen, was in Südafrika und auch [5][in weiten Teilen der | |
US-Südstaaten bis Mitte der sechziger Jahre] entweder Staatsordnungsprinzip | |
oder gang und gäbe war. Apartheid – das ist die offizielle Trennung aller | |
öffentlichen Einrichtungen nach Hautfarben. Sitzbänke, auf denen Schwarze | |
nicht Platz nehmen dürfen; Heiratsverbote, getrennte Strände – Apartheid | |
eben, verordnetes Getrenntsein. Eines, das keineswegs als freundliche | |
Anregung formuliert war: Wer sich nicht fügte, musste in Südafrika mit | |
Schlägen, Festnahmen, Inhaftierung und Folter rechnen. | |
Nichts davon, gar nichts stimmt in dieser Hinsicht für Israel. Amnesty | |
International schreibt einen Bericht, der bar aller Fakten daherkommt – und | |
nichts als antiisraelische Stimmung machen will. Zu den Tatsachen des | |
gesellschaftlichen Lebens selbst. | |
In der israelischen Regierung sitzt eine Partei Arabischstämmiger, die man | |
ohne moralischen Verdruss als islamistisch bezeichnen darf – dieser Teil | |
der Anti-Netanjahu-Regierung hat schon mehr für die konkreten | |
Lebensbedingungen der arabischen Israelis erreicht, als sich das AI nur zu | |
träumen vorstellt. | |
Ein Fünftel der israelischen Bürger*innenschaft ist nicht jüdisch – und | |
eine Fülle von arabischen Bürger*innen geht qua Bildungsaufstieg den | |
Marsch durch die Institutionen, sie werden Ärzt*innen und so weiter. | |
An israelischen Stränden gibt es keine jüdisch separierten Teile; dort | |
sieht man arabische Familien, deren Frauen häufiger als hierzulande in | |
Burka herumlaufen. Dass der Staat selbst jüdisch zu sein hat, ist der | |
historische Fakt, der viel mit dem Holocaust zu tun hat – es sollte einen | |
Platz in der Welt geben, an dem fraglos Jüdisches sein kann. Und das ging | |
die ganze Welt an. Die Opfer der drohenden Shoah ersuchten nämlich auf | |
ihren Fluchten aus Deutschland und Europa Asyl in aller Welt – und so gut | |
wie kein Land zeigte sich zuständig, die Texte zur [6][Evian-Konferenz | |
1938] geben einen Einblick. | |
## An vulgärem Antizionismus gestorben | |
Israel ist in jeder Hinsicht auch kompliziert, aber nicht, weil man sich | |
gegen politisch-ideologische Zumutungen erwehrt, denen zufolge man, wie | |
viele der [7][antiisraelischen Campaigning-Gruppe BDS], sich gefälligst | |
trolle, am besten qua Selbstauslöschung im Mittelmeer verschwindend, | |
sondern weil es ein Land ist, das sich inklusive seiner arabischen | |
Bevölkerung ständig delegitimiert sieht. Das Land kann sich seiner | |
Nachbarschaft nicht sicher sein. | |
In Israel leben selbst die ärmsten der arabischstämmigen Bürger*innen | |
noch besser als jene, die unter den korrupten und fundamental toxischen | |
Regimen in Ramallah und Gaza zu leben haben. Mit anderen Worten: Amnesty | |
International und ihre deutschen Freund*innen aus dem | |
Kulturestablishment, auch jene, die für die [8][antiisraelisch gewirkte | |
Documenta in diesem Jahr in Kassel] verantwortlich sind, wissen nicht, | |
woraus der Stoff ist, von dem sie reden. | |
Diese Debatten um Israel gehen weiter, selbstverständlich. Um das 1948 | |
gegründete Land am Mittelmeer braucht sich niemand Unberufenes kümmern – | |
das kann es vital und diskursiv dauerzänkisch wie immer seit Jahrzehnten | |
schon gut allein. Das Wort „Apartheid“ zu wählen, um einen Staat zu | |
dämonisieren, deutet auf politpornografische Sinnlosigkeit hin: Die es | |
äußern, schmücken sich im selbst eingelassenen Badewasser der | |
kulturmainstreamigen Zustimmung. | |
Schade um eine einst verdienstvolle Organisation. AI siechte lange vor sich | |
hin, sie ist an vulgärem Antizionismus gestorben. Sie ist keine Spende mehr | |
wert, denn wer wirklich verloren und übersehen in Knästen verklappt werden | |
soll, hat von diesem Verein nichts mit Glaubwürdigkeit zu erwarten. | |
Traurig! | |
4 Feb 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.amnesty.de/wie-amnesty-entstand | |
[2] https://www.amnesty.org/en/latest/campaigns/2022/02/israels-system-of-apart… | |
[3] https://www.amnesty.de/informieren/aktuell/israel-amnesty-bericht-systemati… | |
[4] https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/das-junge-politik-lexikon/319831/apa… | |
[5] https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/usa-rassentrennung-civil-rights-ac… | |
[6] https://evian1938.de/ | |
[7] /Debatte-um-BDS/!5610738 | |
[8] /Streit-um-die-Documenta-15/!5827282 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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