# taz.de -- Amateurfußball mit Ambitionen: Ein Kreisligist erobert China | |
> Beim TC Freisenbruch entscheidet die Online-Community – über Bierpreise | |
> und die Mannschaftsaufstellung. Nun wirbt der Club in Peking um | |
> Neu-Manager. | |
Bild: Aus dem Aschenplatz Geld machen: Sportanlage des TC Freisenbruch in Essen | |
ESSEN taz | Die Flyer sind auf Chinesisch gedruckt, und das Maskottchen | |
„Ulv“, ein Wolfskostüm, ist eingepackt: Am kommenden Montag machen sich | |
Gerrit Kremer, Peter Schäfer und Peter Wingen aus Essen auf den Weg nach | |
China. Ihr Ziel: die Sportmesse Ispo in Peking. Die drei Enddreißiger | |
werden dort den Fußballkreisligisten TC Freisenbruch vorstellen – den | |
ersten voll digitalisierten Klub Deutschlands. | |
Die drei Chinabesucher sind 2015 bei dem kleinen Essener Vorortverein | |
eingestiegen. Das Ziel: einen Klub über eine Onlinecommunity leiten. | |
Registrierte Onlinemanager entscheiden über all die Dinge, die in einem | |
Amateurverein zu tun sind: Wofür wird Geld ausgegeben? Welche Spieler | |
sollen in die 1. Mannschaft? Wer soll am Sonntag aufgestellt werden? Und, | |
ganz wichtig: Was sollen Bier und Stadionwurst kosten? | |
Der TC Freisenbruch war deshalb ideal, weil der Verein quasi am Boden lag. | |
Als einziger Klub in der Gegend spielte man daheim noch auf ungeliebter | |
Asche, der regelmäßige Schwund an Mitgliedern und Jugendmannschaften hatte | |
letztlich dazu geführt, dass die 1. Mannschaft bis hinunter in die | |
Kreisliga B abgestiegen war. Viel tiefer geht’s nicht. „Unsere Idee war so | |
etwas wie die letzte Chance für den Verein. Entweder wir oder Auflösung – | |
vor dieser Entscheidung stand der Vorstand“, berichtet Gerrit Kremer. | |
„Über eine Facebook-Kampagne haben wir im Vorfeld etwas Reichweite | |
aufgebaut, am 1. Juli 2016 konnte es dann losgehen“, berichtet Kremer über | |
den Start des Projekts. Aus vereinsrechtlichen und steuerlichen Gründen | |
hatten sie eine Agentur gegründet, über die sich Interessierte als | |
Klubmanager registrieren konnten. Für 5 Euro monatlich bekamen diese Zugang | |
zur Onlineplattform. | |
## Wer spielt, entscheidet nicht der Trainer | |
Nach dem Login [1][auf www.tc-freisenbruch.de] öffnet sich ein Dashboard, | |
auf dem eine große Menge relevanter Infos aus dem Verein hinterlegt werden. | |
Videocontent zum Beispiel aus der Trainingsarbeit wird veröffentlicht, der | |
Trainer berichtet über den Leistungsstand und den Fleiß der Spieler. Denn | |
am Wochenende sollen die Onlinemanager ja real entscheiden, welche | |
Aufstellung am Sonntag auf dem Platz steht. | |
„Das war am Anfang für unseren Trainer natürlich gewöhnungsbedürftig“, | |
berichtet Kremer, doch die ersten Erfahrungen waren gut: „Wir hatten | |
schnell eine Stammmannschaft von knapp 200 Managern zusammen, die sich sehr | |
ernsthaft bei allen Fragen rund um die 1. Mannschaft beteiligt hat“, sagt | |
Kremer. Der Trainer stellte gemäß Communitymeinung auf, und siehe da, am | |
Ende der Saison 2016/17 stieg der TC Freisenbruch mit 14 Punkten Vorsprung | |
in die Kreisliga A auf. | |
Ein weiterer Aufstieg ist seither zwar noch nicht gelungen, aber das | |
Interesse am Verein ist gewaltig gestiegen: Die Zuschauerzahl bei | |
Heimspielen konnte von durchschnittlich 20 auf 150 gesteigert werden. Und | |
man hat den einen oder anderen Sponsor gewinnen können. Ein Wettanbieter | |
ist mittlerweile mit im Boot, mit Nike konnte ein Ausrüster gefunden | |
werden, von dem andere Amateurvereine nur träumen können. Und die Community | |
ist auf mittlerweile fast 600 zahlende Mitglieder angewachsen. | |
Die Onlinemanager kommen dabei aus der ganzen Welt. Seit der US-Sender ESPN | |
einmal über das Essener Projekt berichtete, sind rund 30 Onlinemanager aus | |
den USA dabei, selbst aus Australien bestimmte im vergangenen Sommer jemand | |
darüber mit ab, ob man den Preis für die 0,33-Liter-Flasche Stauder-Pils | |
zur Saison 2018/19 auf 1,80 Euro anhebt. | |
## Die Erforschung der Schwarmintelligenz | |
Es haben sich keineswegs nur Fußballfreaks angemeldet. Kremer: „Wir haben | |
auch viele Mitglieder, die sich nicht an sportlichen Diskussionen | |
beteiligen, weil sie davon keine Ahnung haben, wie sie selbst sagen. Die | |
sind dann eher wissenschaftlich am Thema Schwarmintelligenz interessiert.“ | |
Jetzt geht’s nach China. Die Veranstalter waren aufmerksam geworden, | |
nachdem auf der vergangenen Messe in München eine chinesische Sport-App | |
über das deutsche Projekt berichtet hatte und wenige Minuten später fast | |
6.000 Kommentare von chinesischen Usern eingelaufen waren. In Peking wollen | |
die drei Essener nun direkt informieren und möglichst viele neue Manager | |
dazugewinnen. | |
Dabei müssen vor Ort noch einige Probleme gelöst werden: Weder Facebook | |
noch das in Europa gängige PayPal-Bezahlsystem sind in China vorhanden, es | |
müssen also Kontakte und Verabredungen mit örtlichen Anbietern organisiert | |
werden. Probleme, die zu lösen sich lohnen, glaubt Kremer: „Generell stehen | |
Asiaten noch viel mehr auf solche Onlinemanagementprojekte als Europäer. | |
Dieses Potenzial wollen wir versuchen zu nutzen.“ | |
16 Jan 2019 | |
## LINKS | |
[1] http://www.tc-freisenbruch.de/ | |
## AUTOREN | |
Olaf Jansen | |
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