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# taz.de -- Alkoholkonsum in Deutschland: Schön Saufen
> Warum ist Tabak hierzulande sehr viel strenger reglementiert als Alkohol?
> Eine Betrachtung zum Wiesn-Anstich.
Bild: Münchner Oktoberfest: Ab dem Anstich machen die Besucher vor allem eins …
Ein Filter, ein Blättchen, eine Portion Tabak. Anlecken, anzünden,
einatmen. Währenddessen die ständige Konfrontation mit einem Foto auf der
Packung.
Zum Beispiel das eines Mundes, in dem die obere Zahnreihe zu fehlen
scheint. Die weit herausgestreckte Zunge hat ein gelbliches Geschwür an der
Seite, das in Größe und Struktur an eine Walnuss erinnert. Darunter der
Satz: „Rauchen verursacht Mund- Rachen- und Kehlkopfkrebs.“
Ein Feuerzeug an den Flaschenhals, eine Hebelbewegung, ein Plop-Geräusch
und ein paar Schlucke.
Kein Foto, kein Spruch, keine Warnung, die den Konsumenten darauf hinweist,
dass er auch mit diesem Produkt seine Gesundheit schädigt.
Deutschland ist liberal, was den Umgang mit Alkohol angeht, sehr sogar.
## 6,1 Millionen Liter Bier
Bestes Beispiel ist das Oktoberfest, das am Samstag beginnt: Wie ein
riesiger Jahrmarkt erstreckt es sich als eine Landschaft aus überteuerten
Fressständen und Fahrgeschäften über die Münchner Theresienwiese. Darin
verteilt, 16 große und 22 kleine Festzelte. Ab dem Anstich um Punkt 12:00
machen die Besucher des Spektakels vor allem eins: saufen. Letztes Jahr
waren es 6,1 Millionen Liter Bier, die von 5,6 Millionen Menschen getrunken
wurden. Doch nicht nur auf dem größten Bierfest der Welt gehört Alkohol in
Deutschland dazu.
Im Gegensatz zu anderen EU-Ländern kann man in Deutschland zu jeder
Tageszeit Alkohol kaufen, Werbung für Alkohol ist kaum eingeschränkt und er
ist so billig, dass ein Bier am Kiosk häufig preiswerter ist als eine
Apfelschorle.
Woran liegt das? Warum sind die beiden legalen Drogen Tabak und Alkohol in
Deutschland so unterschiedlich reguliert?
Was den Tabak angeht, hat die EU auf Empfehlung der
Weltgesundheitsorganisation (WHO) politische Maßnahmen beschlossen, die
Aufklärung, Werbe- und Preisregulierungen umfassen.
Auch beim Alkohol gibt es solche Empfehlungen seitens der WHO. Auf EU Ebene
ist hier jedoch bisher nicht viel passiert, auch in Deutschland nicht.
Dabei ist unser Alkoholkonsum keineswegs unbedenklich: 2016 sind die
Deutschen mit einem Konsum von 11,4 Litern reinem Alkohol pro Kopf auf Rang
23 der 194 WHO Mitgliedsländer. Zum Vergleich: der global Durchschnitt
liegt bei 6,2 Litern.
## Es geht um uns
Offensichtlich geht es hier um ein gesellschaftliches Problem, dass es in
anderen Kulturen weniger gibt. Es geht also um uns.
Alkohol ist Teil unserer Kultur: Ein Wein zum Essen, ein Champagner zum
Geburtstag und das Bier als Grundnahrungsmittel – zumindest in Bayern. Die
älteste Brauerei der Welt, Weihenstephaner, steht in Bayern und existiert
bereits seit dem achten Jahrhundert. Schon damals haben Mönche hier Hopfen
geerntet und das nur 45 Autominuten vom heutigen Oktoberfest entfernt.
Bier und Alkohol generell stehen für Tradition und Selbstbestimmung, bis
heute. Denn sollte nicht jeder selbst entscheiden können ob, wann und wie
viel er konsumiert? Essen und Trinken sind sehr persönliche Themen, bei
denen wir uns ungern etwas vorschreiben lassen. Nicht zuletzt der Versuch
der Grünen, einen Veggie-Day einzuführen, ist das gezeigt.
Das erklärt aber trotzdem nicht, warum die beiden legalen Drogen so
unterschiedlich gehandhabt werden.
Christian Maier vom Institut für Sozialmedizin und Prävention an der Uni
Greifswald erklärt, dass „es nicht per sé gesundheitsschädigend ist,
Alkohol zu konsumieren. Erst wenn man gewisse Grenzen des Konsums
überschreitet, wird es problematisch. Deshalb ist es beim Tabak sehr viel
einfacher das pauschal als ungesund zu titulieren.“
## Grenzüberschreitung
Im Jahr 2013 starben in Deutschland, laut einer Statistik der Deutschen
Hauptstelle für Suchtfragen (DHS), 121.000 Menschen an den Folgen von
Tabakkonsum. Das sind zwar mehr als die 74.000 jährlichen Todesfälle durch
Alkoholkonsum, man muss hier jedoch die statistische Ungenauigkeit
beachten:
Bei den alkoholbedingten Todesfällen fließen lediglich Fälle von
Leberzirrhose und Alkoholabhängigkeit in die Statistik ein, da nur hier
Alkohol als hundertprozentige Todesursache gilt. Da Alkohol jedoch auch
viele andere Krankheiten, vor allem im Verdauungstrakt und Krebs,
verursacht liegt die tatsächliche Zahl von Todesfällen durch Alkohol
weitaus höher.
Man könnte also definitiv von einer „gewissen Grenzüberschreitung des
Konsums“ in Deutschland sprechen. Warum also der andere Umgang mit dem
Produkt?
Christian Maier vom Institut für Sozialmedizin und Prävention bestätigt,
was man sich schon hätte denken können: „Lobbyismus und die
Alkoholindustrie gestalten maßgeblich, dass Deutschland so hinterherhinkt.
Da gibt es massive Interessen, die von Seiten der Alkoholindustrie
eingebracht werden, in die Politik.“, sagt er. Auf welchem Wege das genau
passiert, kann Maier jedoch nicht sagen.
Auf Nachfrage beim Bundesministerium für Gesundheit (BMG), sowie beim
Bundesamt für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) kamen bei beiden
Ministerien ernüchternde Antworten: Das BMG gibt an, die Zuständigkeit für
dieses Thema läge beim BMEL, das BMEL wiederum behauptet das gleiche über
das BMG. Federführend sei das jeweils andere Ministerium, mit der Umsetzung
der Alkoholregulierung hat also niemand was zu tun.
## Schere im Kopf
Wenn die Ministerien nichts dazu sagen, muss man wohl mit den
Interessengruppen sprechen.
Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) ist ein gemeinnütziger
Verein, der sich durch Mittel aus dem Bundeshaushalt, Spenden und
Mitgliedsbeiträgen finanziert. Außerdem ist sie Teil der Arbeitsgruppe
gesundheitsziele.de. Hier werden verschiedene Akteure zusammengebracht, um
Gesundheitsziele zu definieren, entsprechende Maßnahmen zu formulieren und
diese anschließend als Gesetze zu verabschieden. Beim Thema Alkohol ist das
gar nicht so einfach:
Neben verschiedenen Gesundheitsvertretern beteiligen sich bei diesem Thema
nämlich auch das Wirtschaftsministerium und das Bundesministerium für
Ernährung und Landwirtschaft an den Sitzungen. „Da wird es dann eben schon
kniffelig, weil die natürlich immer die Schere im Kopf haben, was die
Industrie gut findet oder nicht“, sagt Gabriele Bartsch von der DHS. Wenn
es um Preiserhöhung, beschränkte Verfügbarkeit und Werbung gehe, also alles
was die Industrie in ihrem Absatz tangiert, liefe man gegen eine Wand.
Laut Bartsch war das beim Tabak auch nicht viel leichter, aber da kamen
dann irgendwann die Regulierungen auf EU Basis und Deutschland musste, wenn
auch widerwillig, klein bei geben. Heute ist Deutschland das einzige Land
in der EU, das immer noch Tabakwerbung erlaubt.
Bei der Alkoholindustrie kommt außerdem hinzu, dass diese gut mit anderen
Gewerben vernetzt ist: Durch Werbeeinnahmen ist sie für Medien und Sport
unverzichtbar geworden, Alkohol ist eine wichtige Nebeneinnahmequelle der
Tankstellen und spielt auch in der Gastronomie eine bedeutende Rolle.
## Vieltrinker und Minderjährige
Wie bei der Autoindustrie wiegt also scheinbar auch beim Alkohol die
Wirtschaft schwerer als unsere Gesundheit. Dass die Alkoholindustrie 50
Prozent ihres Umsatzes mit Vieltrinkern und Minderjährigen macht, schwächt
auch das Argument vom mündigen Konsumenten.
Doch was wäre eigentlich, wenn sich die Gesundheitsvertreter durchsetzen
könnten? Wie würde unsere Gesellschaft aussehen? Und wollen wir das
überhaupt?
Eine Gesellschaft ohne Alkoholwerbung, mit höheren Alkoholpreisen und
eingeschränkten Verkaufszeiten: Weniger Werbung ist eigentlich immer gut.
Denn die manipuliert uns nur. Höhere Preise machen natürlich nie Spaß und
sind auf dem Oktoberfest, wo eine Maß dieses Jahr 10,70 Euro kostet, kaum
noch vorstellbar. Das nächtliche Bier auf dem nach Hause Weg wird einem auf
jeden Fall fehlen. Und wenn man sich mit ein paar Freunden zu Hause
verquatscht und den Wein geleert hat, ist dann wohl auch der Abend
gelaufen.
Man könnte sich trotzdem mal die Frage stellen, ob alles, gut ist wie es
ist, nur weil es schon immer so war. Aber jetzt erst mal auf zur Wiesn und
dann: Oans, zwoa, gsuffa!
15 Sep 2017
## AUTOREN
Pola Kapuste
## TAGS
Alkohol
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