# taz.de -- Kolumne Globetrotter: Tracht oder nicht Tracht | |
> Heiraten im Dirndl und in Lederhosen? Brauchtum ist nicht nur eine | |
> Geschmacksfrage, sondern ein Politikum. Auf Nationalstolz kann man | |
> verzichten. | |
Bild: Von der Tracht umgehauen: Ohne lebt es sich vielleicht unbeschwerter | |
Knapp vier Tage nachdem mir meine Freundin A. ein Jobangebot per E-Mail | |
weitergeleitet hatte, kam ich erst dazu, ihr zurückzuschreiben: „Ich war | |
gerade auf einer Hochzeit in den Bayerischen Alpen. Dort gab es kein Netz.“ | |
Der Job sei in der Zwischenzeit längst vergeben, meinte sie und fragte | |
neckisch: „Hast du dir Zöpfe flechten lassen?“ | |
Nein, kein geflochtenes Haar. Auch Tracht trug keiner – bis auf drei kleine | |
Buben und eine junge Frau, die direkt danach zu einer weiteren, | |
traditionelleren Hochzeit zwei Berge weiter eingeladen war, berichtete ich. | |
„Diese Trachtenmode wird uns noch alle ins Verderben stürzen“, witzelte A. | |
zurück. „Mondäne Dinner in Lederhosen, das lässt nichts Gutes ahnen.“ | |
Darauf verabredeten wir uns zum gemeinsamen Mittagessen. Wir hatten | |
offensichtlich sehr viel zu besprechen. | |
Tracht oder nicht Tracht – das war auch schon die Frage einer angetrunkenen | |
Debatte zwischen zwei bayerischen Hochzeitsgästen gewesen. Ich kann mich an | |
ihre Argumente nur vage erinnern. Aber eine ebenfalls dem Gespräch | |
lauschende Libanesin, die extra zur Hochzeit angereist war, beschwichtigte | |
die Gemüter mit ihrer Einschätzung, die traditionelle Kleidung sei ein für | |
Touristen durchaus pittoresker Anblick. Solange es kein Muss sei, spräche | |
für sie nichts dagegen. Danach war erst mal wieder Ruhe auf der Kampenwand. | |
„Na, was hast du gegen Lederhosen?!“, empfange ich A. in unserer | |
Mittagskantine. „Ich habe nichts einzuwenden!“, antwortet sie gelassen. | |
„Ich könnte mir sogar vorstellen, ein Dirndl zu tragen, falls sich der | |
richtige Anlass ergibt – also jedenfalls nicht im Promizelt auf dem | |
Oktoberfest.“ Wieso mittlerweile selbst US-Stars kostümiert zur Wiesn | |
auflaufen, sei ihr ein Rätsel. Haben sie es so nötig? | |
„Sagt man eigentlich ‚der‘ oder ‚das‘ Dirndl?“, fragt A., die wie i… | |
Französin ist. Natürlich haben wir beide keine Ahnung, ahnen aber immerhin, | |
wie heikel das Thema ist. Mein Freund P., der aus München kommt, kann mit | |
dem Trend zur Tracht auch nichts anfangen. Kürzlich hakte ich noch mal | |
nach, was ihn daran denn so störe. | |
„Ach, dieses ganze Kitschige, Billige, Eventbasierte, Konsumgeile …“, | |
brummt er eine Weile vor sich hin, bis er etwas klarer formuliert: „Das | |
alles kommt mir vor wie eine verzweifelte Suche nach Identität. So richtig | |
massiv wurde es mit den billigen Polyester-Dirndln und Fake-Lederhosen in | |
München auch irgendwie erst, nachdem Berlin wieder Hauptstadt war. Als ob | |
die Münchner den Abstieg von der Weltstadt mit Herz zur Provinz fürchteten. | |
Keine Ahnung. Mich nervt das Trotzige, Selbstgefällige, ja das Miefige | |
daran.“ Dann dreht er den Spieß um: „Stört dich an deiner Vendée denn | |
nichts?“ | |
Mir fällt zunächst wenig ein. „Baguette mit salziger Butter is the best“, | |
sage ich stolz. „Aber meine Butterbrezel geht über alles“, frotzelt P. | |
zurück. „Komm, denk nach.“ Dann erinnere ich mich plötzlich: Gegen Ende d… | |
90er rannten plötzlich alle wie verrückt zu sogenannten Fest-Noz, | |
volkstümlichen Partys, bei denen man im Kreis oder in Kettenformation nach | |
bretonischer Art tanzt. | |
Dem Revival begegnete ich damals mit Skepsis. Das lag auch an der | |
keltischen Musik, die ich nicht sonderlich mag – erst recht nicht, wenn sie | |
mit billigem Eurotrash-Techno angereichert wird. | |
Wie viel Wert man regionalem Brauchtum beimisst, ist aber oft keine | |
Geschmacksfrage, sondern ein Politikum. Ich weiß noch, wie ich in den | |
nuller Jahren beim Europastudium eine Baskin und eine Katalanin | |
kennenlernte. Beide warben leidenschaftlich für die Autonomie ihrer | |
Regionen. Das fand ich damals zunächst albern – nach dem Motto: „Sind wir | |
nicht alle EuropäerInnen oder wie oder was?“ | |
Ganz unaufgeregt weihten sie mich in die Geschichte ihres zentralisierten, | |
ehemals diktatorischen Staates ein, die mir aus französischer Sicht nicht | |
ganz fremd war. Mir wurde klar, beiden war nicht die Abkapselung ihrer | |
jeweiligen Heimat wichtig, sondern deren gleichberechtigte Beteiligung am | |
europäischen Projekt. | |
Auch meine Freundin A. und ich sind beim Mittagessen mittlerweile vom Thema | |
Tracht abgekommen und uns einig: Auf jegliche Form von Nationalstolz können | |
wir zwei gerne verzichten. Als 2006 während der Fußball-Weltmeisterschaft | |
die Deutschen allerseits beglückwünscht wurden, weil sie nun auch endlich | |
wieder befreit und bedenkenlos mit ihrer Flagge herumwedeln durften, | |
bedauerte ich, dass der Trend nicht in die exakt umgekehrte Richtung | |
gegangen war: Wir alle lassen das mit der Flagge einfach ganz bleiben. | |
Stattdessen werden wir etwas Größeres – im Respekt unserer grenzenlosen | |
Vielfalt. Von mir aus gerne mit Zöpfchen. | |
18 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Elise Graton | |
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