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# taz.de -- Agrarreform in Kuba: Laues Lüftchen statt großer Wurf
> Die kubanische Regierung hat 63 Maßnahmen zur Reanimierung der
> Landwirtschaft beschlossen. Die massive Versorgungskrise wird das nicht
> beenden.
Bild: Kartoffelernte im März 2021 auf Kuba
Hamburg taz | Omar Everleny Pérez ist recht angetan von der Offensive der
63 Maßnahmen der kubanischen Regierung, um die kubanische Landwirtschaft
auf Trab zu bringen. Noch mehr haben den Ökonomen allerdings [1][die Worte
von Präsident Miguel Díaz-Canel] beeindruckt.
„Der Satz: Wir haben keine Zeit für die lange Bank, trifft die Situation.
Die Nahrungsmittelkrise in Kuba ist allerorten sichtbar, überall wird
stundenlang angestanden, um überhaupt etwas zu ergattern“, so der
61-Jährige.
Für ihn kommt die massive Versorgungskrise alles andere als überraschend.
Mit der Pandemie sei die Situation eingetreten, die viele prophezeit
hatten. Der Regierung fehle das Geld, um weiter Nahrungsmittel en gros aus
dem Ausland zu importieren. Doch die Weichen für die Produktionssteigerung
auf der Insel wurden nicht gestellt.
Das könnte sich nun endlich ändern. Zumindest deuten die Maßnahmen, die am
Dienstag in Havanna vorgestellt werden, in die richtige Richtung: „Die
Bauern erhalten das Okay, alles, was sie über Lieferverträge mit
Staatshilfe produzieren, an örtliche Hotels, Restaurants,
Devisen-Supermärkte oder andere Kunden zu verkaufen“, erklärt Everleny
Pérez.
## Die Produktion sank stetig
Das ist ein Fortschritt. Genau wie die Anpassung von Strom- und
Wasserpreisen, Verkaufspreisen etc., die fortan auf lokaler Ebene
ausgehandelt werden sollen. Auch für die Preise des staatlichen
Ankaufsystems für Agrarprodukte Acopio soll diese Regelung gelten. Für
Everleny Pérez ein wichtiger Schritt; fixe Preisvorgaben wie in der
Vergangenheit, wo die Bauern teilweise kaum die Produktionspreise
herausbekamen, sind somit vom Tisch.
Doch das System hat nach wie vor Bestand. Das ist die schlechte Nachricht.
Besonders aus Perspektive vieler Bauern, die seit Jahren über unattraktive
Acopio-Preise klagen und ihre Produktion nur partiell ausbauen. Angebaut
wird da, wo Ankaufpreise leidlich okay sind und die Nachfrage auf den
lokalen Märkten so hoch ist, dass attraktive Preise drin sind – ansonsten
eher nicht oder nur mit halber Kraft.
Das sind Realitäten, die dazu geführt haben, dass die Agrarproduktion der
sozialistisch geführten Insel in den letzten Dekaden höchstens mal
punktuell gestiegen und eigentlich immer weiter gesunken ist.
Mit der seit 2019 sinkenden Importkapazität aufgrund latent steigender
Devisenknappheit sind die Lücken in den Supermarktregalen genauso wie in
den kleinen Bodegas, wo die Kubaner die staatlich subventionierten
Grundnahrungsmittel auf den Bezugsschein Libreta erhalten, immer größer
geworden. No hay, gibt es nicht, ist ein geflügeltes Wort.
Mehl und Speiseöl waren Ende 2018 und Anfang 2019 bereits knapp, seit März
2020 gilt das für fast alle Importprodukte. Diese Lücke kann die marode
Agrarwirtschaft der Insel trotz aller Appelle aus der Politik nicht füllen.
## Für die staatliche Quote bleiben die Preise fest
Für Miguel Salcines, Leiter einer Agrarkooperative im Umkreis von Havanna,
ist das keine große Überraschung. Er tritt für Strukturreformen ein, für
die Möglichkeit, Produktionsmittel und Saatgut direkt importieren zu
können. Theoretisch ist das seit Mitte 2020 möglich, de facto mit der
Währungsreform vom 1. Januar 2021 schwieriger geworden, so Esteban Ajete
Abascal, Chef des kubanischen Bündnisses unabhängiger Bauern.
Gegenüber [2][14ymedio], einem kritischen Onlinemedium aus Havanna, sagte
er: „Wenn Sie mich in kubanischen Peso bezahlen, hilft mir das nicht, weil
ich alle Investitionen auf meiner Finca in US-Dollar vornehmen muss.“ Für
Ajete Abascal kommen die 63 Maßnahmen spät, sind unzureichend – und das
Festhalten am Ankaufssystem Acopio sei das an einem Toten.
Drastische Worte, doch selbst an der Universität von Havanna lehrende
Sozialwissenschaftler bezeichnen das Ankaufssystem als „Produktionsbremse“.
Zwar lassen sich Milchprodukte, Rindfleisch und andere Dinge fortan zu
freien Marktpreisen verkaufen, aber erst, nachdem die Bauern ihre
Produktionsquote für den Staat abgeliefert haben – und zwar noch immer zu
Acopio-Preisen.
Flickwerk an einem gescheiterten Agrarmodell betreibe das Agrarministerium
seit geraumer Zeit, kritisiert Pavel Vidal, kubanischer Finanzexperte an
der Universität Javeriana im kolumbianischen Cali. Daran wird der Wechsel
an der Spitze des Agrarministeriums kaum etwas ändern, obwohl sich die
politische Führung weiteres Lavieren schlicht nicht leisten kann. Präsident
Miguel Díaz-Canel hatte es gesagt: „Wir haben keine Zeit für die lange
Bank.“
21 Apr 2021
## LINKS
[1] /Kubas-Kommunistische-Partei/!5767130
[2] https://www.14ymedio.com/cuba/agricultura-campesinos-guajiros_0_3076492328.…
## AUTOREN
Knut Henkel
## TAGS
Landwirtschaft
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