# taz.de -- Abschottung der dänischen Grenze: „Kontrolle heißt Misstrauen“ | |
> Seit die dänische Regierung die Wiedereinführung der Grenzkontrollen | |
> beschlossen hat, wächst im Norden der Unmut über das Nachbarland. | |
Bild: „Ein Roll-Back in alte Zeiten“: Die Grenzkontrollen befördern für d… | |
Einmal berichtet, dann vergessen: Immer wieder bleiben im journalistischen | |
Alltag Themen auf der Strecke. Die taz.nord möchte mit der Serie „Der | |
zweite Blick“ dranbleiben an Themen, die wir für wichtig halten: | |
Missständen, die wir kritisiert haben, Reformideen und Menschen, die | |
losgezogen sind, die Welt zu verändern. | |
FLENSBURG taz |Draußen prasselt der Regen auf das Kopfsteinpflaster. | |
Jens-Peter Müller geht durch die Bahnhofsvorhalle. Groß ist sie nicht, | |
zwanzig mal zehn Meter vielleicht. „Hunderte Flüchtlinge kamen hier letztes | |
Jahr jeden Tag an“, sagt Müller. Manchmal waren es mehr als 500. Die Bahn | |
hatte deshalb noch in einigen Räumen des Nebengebäudes Platz geschaffen. | |
Freiwillige halfen bei der Versorgung und Busse wurden organisiert, um | |
Geflüchtete in die städtischen Schulhallen unterzubringen. „Das war | |
beeindruckend, wie alle miteinander angepackt haben“, sagt Müller. | |
Ungewöhnliche Szenen entstanden: Direkt neben der Bahnhofswache kochten | |
Linksautonome. „Anfangs beäugten die sich gegenseitig etwas kritisch. Man | |
kannte sich ja, nur unter anderen Umständen“, so Müller. | |
Der Regen lässt nach, es geht los – hinunter in Richtung Hafen. Flach ist | |
es in Flensburg nicht, die Altstadt liegt in einem Tal. Es geht vorbei am | |
„Deutschen Haus“. In den 1920ern spendierte die damalige Reichsregierung | |
den FlensburgerInnen das Veranstaltungsgebäude – als Dank dafür, dass sie | |
sich in einer Volksabstimmung für den Verbleib im Deutschen Reich | |
entschieden hatten. Gegen Dänemark. | |
Am Hafen erzählt Müller von der alten Hafenbahn, die direkt bis zum Wasser | |
fuhr. „Die Waren aus der Ostsee wurden hier umgeladen und zur Nordsee zum | |
Weitertransport gebracht.“ Er weiß viel von der Geschichte Flensburgs. Und | |
vom kulturellen Angebot. Nachdem der gebürtige Bremer 2003 nach Flensburg | |
zog, war er bis 2013 Leiter des „Folkbaltica“, ein Festival für nordische | |
und baltische Musik. Der studierte Musiker hat jetzt wieder mehr Zeit zum | |
Spielen statt zu organisieren – Klavier, Gitarre, Ukulele. | |
Die alten Schiffe am Hafen sind inzwischen kleine Museen. „Die Region ist | |
aus europäischer Sicht eine Vorzeigeregion“, sagt Müller. Der Süden | |
Dänemarks, der Norden Deutschlands – beides Randgebiete. „Zusammen aber ist | |
hier, natürlich mit vielen Fördermitteln, eine kulturell und touristisch | |
total schöne Region entstanden.“ Vorbei die Zeit, in der man bei Flensburg | |
an „Plopp, Punkte und Beate“ – also Flensburger Bier, das | |
Kraftfahrtbundesamt und den Erotikversand – dachte. | |
Hier vom Hafen aus kann man Dänemark schon sehen. Auf der | |
gegenüberliegenden Seite der Flensburger Förde liegt Kollund. Dänemark ist | |
aber nicht ein paar hundert Meter weit weg. Es ist auch hier am Hafen, in | |
Flensburg. Vorbeigehende Familien sprechen Dänisch, die parkenden Autos | |
haben dänische Kennzeichen, der Supermarkt am Ende der Straße zeigt auf | |
Werbeanzeigen den Preis zuerst in Kronen, nachfolgend dann auch in Euro an. | |
Von den 93.000 EinwohnerInnen besitzen 2,5 Prozent die dänische | |
Staatsangehörigkeit. Keine beeindruckende Zahl, allerdings haben viele | |
Dänischstämmige den deutschen Pass. Das Stadtbild jedenfalls ist ziemlich | |
dänisch geprägt. Der dänische Staat finanziert eine Zentralbibliothek, | |
unweit davon entfernt hat der Südschleswigsche Wählerverband (SSW), der die | |
dänische Minderheit im nördlichsten Bundesland vertritt, sein Büro. „Viele | |
der Jüngeren, die zum Studieren wegziehen, gehen nach Kopenhagen, Aarhus | |
oder Odense“, sagt Müller. Viele zieht es später wieder zurück. Flensburgs | |
amtierender Bürgermeister lebte einige Jahre in Dänemark, ehe es ihn wieder | |
in seine Geburtsstadt zog. | |
Weiter, nördlich, in Harrislee stehen ein paar Radfahrer mit ihren | |
Seitentaschen unter einer Bushaltestelle. „Der Radweg entlang der Küste | |
nach Norden ist beliebt“, sagt Müller. Hinter ihnen ist der Strand. Eine | |
ältere Frau kommt gerade aus dem Wasser. Außentemperatur 23 Grad, | |
Wassertemperatur weniger als die Hälfte davon. | |
Müller erzählt, wie er vor einigen Wochen von dänischen Grenzpolizisten | |
kontrolliert wurde. Er war mit seinem Sohn unterwegs: „Wir machten eine | |
kleine Fahrradtour durch die Natur“, sagt er. Dabei waren sie auf einem | |
Feldweg über die Grenze nach Dänemark gefahren. Als sie zurückkamen, | |
standen dort zwei Beamte. „Ich wollte eigentlich nur grüßen und | |
weiterfahren“, erzählt Müller, „aber wir mussten uns ausweisen.“ Nicht … | |
in den Zügen oder auf den Autobahnen wird wieder kontrolliert, auch auf den | |
kleinen Radwegen. Nicht nur Geflüchtete bekommen das zu spüren, auch die | |
Menschen aus dem Grenzgebiet – wenngleich in anderer Form. | |
Ein Bekannter von Müller, der sich für Geflüchtete engagiert, und seinen | |
Namen nicht in der Zeitung lesen will, berichtet von rassistischen | |
Kontrollen, die er an der Grenze erlebt habe. „Mittlerweile vermeide ich | |
es, da einzureisen – schon aus Protest“, sagt er. Es seien ja immer | |
sogenannte verdachtsunabhängige Kontrollen. Seit 30 Jahren wohnt er in | |
Flensburg. „Ich habe gefeiert, als die Grenzkontrollen vor vielen Jahren | |
beendet wurden.“ | |
Im Grenzgebiet hat sich etwas verändert. Die dänische Flüchtlingspolitik | |
sorgt für Unmut, sie ist der Auslöser für einen Wandel: Die euphorischen | |
Zeiten, als das Schengen-Abkommen den freien Grenzübergang ermöglichte, | |
sind vorbei. Am 4. Januar dieses Jahres beschloss die dänische Regierung | |
die Wiedereinführung der Grenzkontrollen. Vorübergehend für zehn Tage, hieß | |
es. Da Schweden an diesem Januarmorgen die Grenzen zu Dänemark wieder zu | |
kontrollieren begänne, müsse Dänemark wiederum die Menschen, die aus | |
Deutschland einreisen wollen, kontrollieren. Und notfalls nicht ins Land | |
hineinlassen. Endstation Flensburg also. | |
Seit Beginn der steigenden Flüchtlingszahlen galt Dänemark als Transitland. | |
Viele Geflüchtete wollten nach Schweden. Im vorigen November sagte die | |
schwedische Regierung, sie sei mit den vielen Geflüchteten überfordert. Aus | |
Sorge, dass die Geflüchteten in Dänemark bleiben könnten, hat die | |
rechtsliberale Minderheitsregierung, die von der rechtspopulistischen | |
Dänischen Volkspartei gestützt wird, die Sozialleistungen für | |
AsylbewerberInnen halbiert – zur Abschreckung. | |
Das Schengen-Abkommen soll noch bis kommenden November ausgesetzt werden. | |
Müller ist aber skeptisch. „Jetzt setzen die auch schon das Militär ein“, | |
sagt er. Seit Mitte Juni unterstützt die Hjemmeværnet, ein | |
Reservistenverband der Streitkräfte, die Polizei bei den Grenzkontrollen. | |
Das Unbehagen gegenüber den Nachbarn wächst in Flensburg, nicht nur bei | |
FlüchtlingsunterstützerInnen. Auch Anke Spoorendonk vom SSW, die Kultur- | |
und Europaministerin von Schleswig-Holstein ist, sagt: „Die Kontrollen an | |
unseren Grenzen können keine Lösung auf Dauer sein.“ Mehr Kritik an der | |
dänischen Regierung ist vom SSW aber auch nicht zu erwarten. Derzeit gebe | |
es „im täglichen Zusammenleben keine größeren Probleme, auch wenn der eine | |
oder andere gelegentlich murrt“, so Spoorendonk. | |
Müller hingegen formuliert es deutlicher: „Wir erleben gerade einen | |
Roll-Back in alte Zeiten.“ Der Unmut gegen die dänische Regierung wächst. | |
Und damit auch gegen die dänische Bevölkerung: „An dieser Politik stören | |
sich dort ja nur ganz wenige.“ Das Leben im deutsch-dänischen Grenzgebiet | |
wird durch die dänische Flüchtlingspolitik beeinträchtigt. Nicht nur durch | |
vermehrte Staus an den Grenzübergängen. | |
„Kontrolle heißt Misstrauen“, sagt Müller. Er befürchtet, dass mit den | |
Grenzkontrollen ein schleichender Abbau des freundschaftlichen | |
Verhältnisses zwischen Deutschen und Dänen begonnen habe. In Wasserleben, | |
dort wo Deutschland endet, gibt es eine kleine Holzbrücke direkt am Meer. | |
15 Meter lang, führt sie über den Fluss Krusau, der hier in die Ostsee | |
fließt. Der kleine Fluss trennt Deutschland von Dänemark. In der Mitte der | |
Brücke kann man mit zwei Beinen in zwei Ländern stehen. Zwei kleine Hütten | |
stehen auf beiden Seiten der Brücke. Hinter den Fenstern sind die Jalousien | |
heruntergelassen. Ein Schild steht am Wegrand, das auf den Arbeitsalltag | |
der damaligen Grenzbeamten auf beiden Seiten hinweist. | |
Stationiert ist dort heute niemand mehr. Unregelmäßige Kontrollen hingegen | |
würde es aber hier auch geben. Die Grenzschrankengilde hat das Schild dort | |
aufgestellt. Der dänische Verein kümmert sich um den Erhalt kleiner | |
Grenzübergänge, die nach dem Abschluss des Schengen-Abkommens eigentlich | |
nur noch historische und touristische Bedeutung haben. | |
Müller liest von der Tafel vor: „Jahrein und jahraus überwachten sie die | |
Strecke, die sie so gut kannten wie den eigenen Garten“, steht da | |
geschrieben. Ganz am Ende steht dann noch: „Mit grenzenlosen Grüßen — Die | |
Grenzschrankengilde“. Mit der erhofften Grenzenlosigkeit ist es hier, | |
nördlich von Flensburg, vorerst vorbei. | |
Förderlich für das freundschaftliche Verhältnis zwischen Deutschen und | |
Dänen ist das nicht. | |
10 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
André Zuschlag | |
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