# taz.de -- Abschiebung in NRW: Behörden brechen Kirchenasyl | |
> Mit Gewalt hat die Polizei versucht, ein kurdisches Paar aus einer Kirche | |
> nach Polen abzuschieben. Am Freitag gibt es eine Mahnwache. | |
Bild: Vor der Ausländerbehörde in Viersen- Dülken | |
Köln taz | „So etwas habe ich noch nicht erlebt“, sagt Elke Langer. Sie ist | |
Pfarrerin in der evangelischen Gemeinde Nettetal-Lobberich in | |
Nordrhein-Westfalen. Am Morgen des 10. Juli klingelt ihr Telefon: Das | |
Ordnungsamt der Stadt Viersen steht mit einem Durchsuchungsbeschluss vor | |
dem Pfarrhaus und versucht, die Tür aufzubrechen. Sein Ziel ist das | |
kurdische Ehepaar, das im Pfarrhaus seit Ende Mai [1][im Kirchenasyl] lebt. | |
Es soll nach Polen [2][abgeschoben werden.] | |
„Die Behörden sind sehr grob vorgegangen“, erzählt Langer ein paar Tage | |
später. Die Frau des Paars habe Blutergüsse erlitten, sie selbst habe einen | |
Notarzt gerufen, der nicht durchgelassen worden sei. Die Stadt Viersen will | |
zu den Einzelheiten der Räumung keine Stellung nehmen. Beim Versuch, das | |
Paar in ein Flugzeug zu setzen, brach die Frau schließlich zusammen. Die | |
Abschiebung scheiterte. Zurzeit sitzen die beiden in Darmstadt in | |
Abschiebehaft. | |
„Das ist ein Präzedenzfall“, sagt Tom Brandt vom Ökumenischen Netzwerk | |
Kirchenasyl. Seit 2014 ist kein Kirchenasyl mehr durch die Behörden geräumt | |
worden. Zwar komme es immer wieder vor, dass ein Asylantrag aus dem | |
Kirchenasyl heraus abgelehnt werde, sagt Brandt, in der Mehrheit der Fälle | |
könnten sich die Antragsteller:innen aber trotzdem weiter in | |
Deutschland aufhalten, weil sie aus Ländern wie Syrien, Afghanistan oder | |
dem Irak kommen. Dorthin wird in der Regel aktuell nicht abgeschoben. | |
„Das Kirchenasyl ist kein rechtsfreier Raum“, sagt auch Elke Langer. Falls | |
jemand aus dem Kirchenasyl abgeschoben werden müsse, würden sich | |
normalerweise Kirchengemeinde und Behörden zusammensetzen, um das weitere | |
Vorgehen abzusprechen. | |
## Amtsleiter in der Kritik | |
Die Stadt Viersen weist die Vorwürfe von sich. Die Vereinbarungen mit den | |
Kirchen seien beachtet worden. Die Abschiebung sei „nach den gesetzlichen | |
Vorgaben“ erfolgt, eine „Ausreisepflicht“ habe vorgelegen. Die | |
Ausländerbehörde habe auf Weisung des Bundesamts für Migration und | |
Flüchtlinge (Bamf) gehandelt. | |
Allerdings schreibt das Bamf nur vor, dass eine Abschiebung durchgeführt | |
werden muss, wann und mit welchen Mitteln liegt jedoch im Ermessen der | |
Behörden vor Ort. „Die Verwaltung muss sich dazu erklären“, fordern die | |
Viersener Grünen. Sie sehen besonders die Rolle des Amtsleiters der | |
Ausländerbehörde kritisch. | |
Für Tom Brandt vom Netzwerk Kirchenasyl ist klar, dass die Räumung des | |
Kirchenasyls nicht legitim war. Das betroffene Ehepaar sind Kurd:innen | |
aus dem Nordirak, „Sie sind nicht nur wegen der allgemeinen Lage dort | |
bedroht, ihre Familien billigen auch die Ehe nicht“, erzählt Tom Brandt. | |
Der Mann sei von Zwangsverheiratung bedroht gewesen. | |
Über die Grenze zwischen Belarus und Polen sollen die beiden schließlich in | |
die EU gekommen sein. Laut dem Dublin-Verfahren müssten sie dort auch den | |
Asylantrag stellen. Ein erster Asylantrag wurde deshalb abgelehnt, das Paar | |
im Dezember 2022 nach Polen abgeschoben. Es kehrte kurz darauf nach | |
Deutschland zurück – aus Angst. | |
## Abschiebung droht weiter | |
In Polen seien die beiden schon beim Grenzübertritt beschimpft und | |
inhaftiert worden, berichtet Brand: „Sie sind traumatisiert.“ Pfarrerin | |
Langer ergänzt, dass bei der Frau eine Suizidgefahr attestiert worden sei. | |
Das Kirchenasyl in Nettetal sollte das Paar dann vor einer erneuten | |
Abschiebung nach Polen beschützen. | |
Die Bedingungen für das Kirchenasyl seien nicht gegeben, erklärt ein | |
Sprecher des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg gegenüber | |
der taz. Es liege kein gültiger Folgeantrag auf Asyl vor und damit auch | |
keine Grundlage für das Kirchenasyl. Zudem müssten die Vorwürfe gegenüber | |
den polnischen Behörden in einem Härtefalldossier dargelegt werden. Dies | |
sei nicht erfolgt. | |
„Laut seinem Verständnis hat das Paar bei der Wiedereinreise einen | |
Folgeantrag auf Asyl gestellt“, erwidert Tom Brandt. Ein Härtefalldossier | |
werde erst dann erstellt, wenn das Bamf eine entsprechende Frist gesetzt | |
habe. Das Netzwerk Kirchenasyl will nun mit einem Eilverfahren die | |
drohende Abschiebung verhindern. | |
Im Moment befinden sich die Eheleute in Abschiebehaft in Darmstadt, der | |
Abschiebetermin ist für Dienstag angesetzt. „Es geht ihnen so weit gut“, | |
sagt Pfarrerin Elke Langner, die sie am Wochenende besucht hat. Allerdings | |
müsse die Frau des Paars Beruhigungsmittel nehmen, um sie vor einem | |
erneuten Zusammenbruch zu schützen. | |
Für Freitagnachmittag ruft das Netzwerk Kirchenasyl zu einer Kundgebung vor | |
dem Viersener Rathaus auf. „Es geht nicht nur um diese Abschiebung“, sagt | |
Tom Brandt, „sondern um das ganze Dublin-System.“ | |
20 Jul 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Kirchenasyl-in-Deutschland/!5936136 | |
[2] /Deutsche-Asylpolitik/!5938216 | |
## AUTOREN | |
Christian Werthschulte | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Flucht | |
Abschiebung | |
Kirchenasyl | |
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) | |
GNS | |
Schwerpunkt Flucht | |
NRW | |
Abschiebung | |
Asyl | |
Gewalt | |
Schwerpunkt Flucht | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Faesers Pläne für Abschiebungen: Freiheitsentzug leicht gemacht | |
Innenministerin Nancy Faeser will Abschiebungen erleichtern. Der Union geht | |
das nicht weit genug, Grüne und Linke befürchten Grundrechtsverstöße. | |
Nach Bruch des Kirchenasyls in Viersen: Doch keine Abschiebung | |
Ein irakisches Paar, das für eine Abschiebung aus einem Kirchenasyl bei | |
Viersen gezerrt wurde, wird nicht ausgewiesen. Die Stadt schaltete sich | |
ein. | |
China-Restaurant-Leiter soll ausreisen: Abschiebung und kalte Küche drohen | |
Aufgrund eines Formfehlers wird dem Betriebsleiter eines Lübecker | |
Restaurants die Aufenthaltserlaubnis entzogen. Der Vorgang gefährdet die | |
Existenz des Lokals. | |
CDU-Vorstoß gegen Asylrecht: Union schürt Vorurteile | |
Unions-Geschäftsführer Thorsten Frei schlägt vor, das individuelle Recht | |
auf Asyl durch Kontingente zu ersetzen. Seine Idee beruht auf zwei groben | |
Denkfehlern. | |
Aminata Touré schlägt Asylgrund vor: Verstümmelung als Vorbedingung? | |
Die Grünen-Politikerin Aminata Touré fordert die Anerkennung weiblicher | |
Genitalverstümmelungen als Asylgrund. Aber das ist der falsche Schritt. | |
Migration auf dem Landweg: Der lange Weg zur Oder | |
Immer mehr Geflüchtete kommen über die Oder nach Deutschland − durch | |
Kriegsrussland, Belarus und Polen. Wie funktioniert diese „Ostroute“? |