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# taz.de -- 100 Jahre Negroni: Manche mögen’s bitter
> Seit 100 Jahren gibt es den Cocktail Negroni. Doch er ist nicht der
> einzige Aperitif, der Sommerabende versüßt.
Bild: Lecker: Drei Negroni in drei Varationen. Orange darf bei keiner fehlen
## Negroni
Auf den wenigen Fotos, die von Fosco Scarselli existieren, fällt der scheue
Blick auf. Ein schlanker Mann, das dunkle Haar aus der Stirn gestrichen,
aber die Augen meiden die Kamera. Dieser Barkeeper muss ein höflicher,
leiser Mann gewesen sein, ganz das Gegenteil des lauten und derben Conte
Camillo Negroni, der irgendwann 1919 vor ihm am Tresen des Florentiner Café
Casoni erschien.
Er trug gern hohe Zylinder und einen mächtigen Schnurrbart, nach Jahren in
den USA, wo er es als Glücksspieler und Rinderbaron zu Reichtum gebracht
hatte, entsprach seine Auffassung von „bella figura“ nicht mehr ganz dem
der vornehmen Gesellschaft, die hier verkehrte. In Florenz war seinerzeit
der Americano en vogue, ein Cocktail aus Wermut, Campari und Soda. Dem
Grafen aber stand der Sinn nach was Härterem. Und so griff Scarselli zum
Gin statt zum Wasser. Und weil Negroni ein ziemlich fleißiger Trinker war
und Stammgast im Casoni, schaffte es der Cocktail bald auf die Karte –
unter seinem Namen.
So in etwa muss man sich die Geschichte vorstellen, die Namen der beiden
Erfinder und die Jahreszahl sind verbrieft. Gäbe es diese Daten nicht, auch
dann könnte man sich eine andere Provenienz als Italien für diesen
Aperitif-Cocktail kaum vorstellen, der hundert Jahre später einen festen
Platz in der Bar hat.
Denn der Negroni ist vor allem bitter, ja, fast hustensaftig, und für so
etwas hat man in Italien eine spezielle Vorliebe. Keine Mode kann hier
etwas daran ändern, der Café hat streng-bitter zu bleiben, je weiter man in
den Süden des Stiefels kommt, umso mehr. Als Digestif wird hier viel öfter
als Grappa ein Gläschen Amaro getrunken, was eben einfach „Bitter“ heißt.
Averna, Cynar, Ramazzotti oder Fernet oder wie sie alle heißen.
Beim Negroni gibt es die Bitterkeit gleich hoch drei. Durch den Wacholder,
der den Gin ausmacht, die Kaskarillrinde, die im Campari steckt, und den
Wermut, das Kraut hat dem Süßwein ja schon den Namen gegeben. Woher diese
Vorliebe für Bitterkeit kommt, darüber kann man nur spekulieren. Aber ganz
bestimmt hängt sie mit der Liebe zum Essen zusammen, der man auch bei den
heißesten Temperaturen frönen will.
Eigentlich ist bitter ja kein angeborener Geschmack, man erlernt ihn.
Ursprünglich hat Bitterkeit auf der Zunge dazu gedient, den Menschen vor
giftiger oder ungenießbarer Nahrung zu warnen. Aber der Geschmackssinn hat
sich im Laufe der Evolution weiter entwickelt. Bitter regt den
Speichelfluss und die Produktion von Magensäure an, der Körper muss sich ja
irgendwie wehren, wenn weiter oben der Spuckreflex nicht ganz funktioniert
hat.
Und fließen die Körpersäfte, macht das richtig Appetit, ziemlich egal bei
welcher Hitze. Ein Negroni bietet sich also als Aperitif an, wenn die
heißesten Tage des Jahres bevorstehen. Und die stehen uns wohl trotz aller
schon erlittenen Hitze noch bevor. Jörn Kabisch
## Gran Classico Spritz
Auf den Tischen der Bars von Berlin, Neapel bis nach Castrop-Rauxel sammeln
sich an lauen Sommerabenden noch immer die orange-leuchtenden Getränke. Mit
Eiswürfeln und sprudelndem Prosecco auf Eis und einer Orangenscheibe als
Deko, ist der Aperol Spritz zwar wahrlich instagrammable, doch ansonsten
eher enttäuschend. Zu aufdringlich die Farbe, zu posh das Image, zu süß das
Getränk – nach nur wenigen Schlücken fühlt es sich an, als hätte man sich
ein Glas Honig genehmigt. Genauso fotogen in güldenen Bernsteinfarben, aber
weitaus schmackhafter, ist dagegen der Gran Classico Spritz.
Dieser Bitter kommt, wie der Name es vermuten lässt, aus Italien, aber nur
halb. Das Turiner Rezept aus dem 19. Jahrhundert wurde 1925 von einer
schweizerischen Brennerei im Berner Seeland gekauft und perfektioniert. Mit
Chinarinde, Wermut, Orangenschale und Rhabarber als Inhaltsstoffe schmeckt
er zitroniger als Campari und herber als Aperol. Wenn es also noch zu früh
für einen Gin Tonic ist, eignet sich der Gran Classico mit 28% Alkohol
perfekt zum Day-Drinking – vor allem als Spritz mit Prosecco (wahlweise
auch mit Weißwein und Soda), Eis und Orangenschale.
Obwohl selbst Don Draper und sein Team in der TV-Serie „Mad Men“ schon Gran
Classico schlürfen, hat sich der Drink noch nicht auf den Karten der
deutschen Bars etabliert. Fehlen wohl noch ein paar Instagram-Fotos der
nostalgisch anmutenden Flasche des Aperols, bevor der Gran Classico Spritz
den Aperol Spritz verdientermaßen vom Thron stoßen wird. Carolina Schwarz
## Portwein
Portwein, einfach nur Portwein. Vermeintlich erfrischende Zugaben sind
überflüssig, kommt der Portwein doch immer (!) gekühlt auf den Tisch. Egal
ob Ruby oder Tawny, die süße Schwere, die rustikale Schlichtheit der
aufgespriteten Spezialität ergibt den idealen Aperitif vor jeder Mahlzeit.
Besonders praktisch auch, dass kaum ein Schmorgericht nicht gewinnen würde
mit einem Spritzer oder gleich einem ganzen Gläschen Port. Veredeln lässt
sich sogar noch Pudding. Der kann aber auch gleich ganz weggelassen werden,
Portwein ist sein eigenes Dessert. Wozu also Mischen und Schütteln, wenn es
doch so einfach ist, die Sonne des DouroTals aus einem Glas leuchten zu
lassen. Vor, während und nach dem Essen.
Durch Verträge aus dem 18. Jahrhundert, die das britische Empire unabhängig
vom feindseligen französischen Weinhandel machten, wurde das Königreich
einer der Hauptumschlagplätze für den mit zugesetztem Neutralalkohol
haltbarer gemachten portugiesischen Wein. Für dieses Aufspriten kennt das
Englische ein Verb, „to fortify“, zu befestigen. Diese Methode wird auch
beim Schwesterwein von der Insel Madeira angewandt.
Madeira lässt sich in seinen Stufen von „full rich“ bis zu „rainwater“
übrigens besser mixen oder mit ein paar Tropfen Zitrone verfeinern. Er ist
also eine gute Alternative für jene, die ihren Aperitif unbedingt aus
Longdrinkgläsern und mit Schirmchen nehmen wollen. Auch in Frankreich wurde
im vergangenen Jahrhundert mit dem Banyuls ein aufgespriteter Wein
etabliert, die „Befestigung“ eines Vintage Port erreicht der aber im Leben
nicht. Saúde! Daniél Kretschmar
## Sanbitter Spritz
Es muss ja nicht immer Alkohol sein. Weil man nicht will, weil man nicht
darf, weil man eigentlich nicht sollte. Gerade für Schwangere sind
sommerliche Abendveranstaltungen immer auch eine endlose Abfolge von
Saftschorlen, Limos und Wasser.
Das ist gut so, denn während das vor ein paar Jahrzehnten ja noch anders
war, weiß man heute, dass Alkohol in der Schwangerschaft einem Kind schwer
schaden kann. Dass das so ist, daran erinnern Hebammen, Ärzte, Kampagnen
und die ehrenamtliche Schwangerenpolizei. Das sind jene Leute, die
ungefragt kommentieren, ob sich Schwangere nun richtig verhalten oder
nicht: Iss das nicht, mach das nicht, und sei jetzt gefälligst glücklich.
Doch spätestens wenn die Straßencafés dann pünktlich ab den ersten
Sommertagen alle aperolorange leuchten, sieht die Saftschorle eben blass
aus. Aber es gibt eine antialkoholische Alternative: den San Bitter Spritz.
San Bitter ist ein knallrotes, alkoholfreies italienisches Getränk mit
leicht zitronigem Kräutergeschmack, und während das pur kaum zu trinken ist
– mit etwas Eis, Sprudelwasser und einer Scheibe Orange ist das ein
fabelhafter Sundowner.
Alternativ mit einem Schuss frischen Orangen- oder Zitronensaft verfeinern,
oder, wer das möchte, mit alkoholfreiem Sekt mischen (Alkoholgehalt liegt
hier unter 0,5 %). In einem schicken Weinglas servieren, et voilà – das
Saftschorlenfeeling ist weg.
Mit dem knallroten Getränk in der Hand in den Sonnenuntergang blickend, dem
Klackern der Eiswürfel lauschend, können sich Schwangere dann schon mal
eine gute Antwort überlegen, denn die Schwangerenpolizei ist bestimmt nicht
weit. Saskia Hödl
14 Jul 2019
## AUTOREN
Jörn Kabisch
Carolina Schwarz
Daniél Kretschmar
Saskia Hödl
## TAGS
Genuss
Alkohol
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