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# taz.de -- Kolumne Besser: Lieber Lungenkrebs statt Langeweile
> Als Lucky Luke mit einem Grashalm im Mund daherkam, war klar: Alles wird
> immer schlimmer. Verbote töten jeden Spaß. Doch das muss nicht so
> bleiben.
Bild: Schlimm! Kinderschänder, AKW-Betreiber, Raucherin!
Linkssein heißt Scheißefinden und Besserwissen. Gut finden darf man nur im
Ausnahmefall etwas – und ausnahmslos Dinge, die sich irgendwann früher
zugetragen haben (Oktoberrevolution, 68, Karl & Rosa), irgendwo in der
Walachei passieren (Castro, Chávez, Obama) oder irgendwann später sein
werden (Sozialismus, Kommunismus, saubere Socken).
Aber niemals darf man etwas gut finden, das im Hier und Heute passiert.
„Erstens: Alles wird immer schlimmer. Zweitens: Das Niveau ist nach unten
offen“, hat der geschätzte Kollege Thomas Blum einmal das eherne Credo
[1][formuliert].
Und oft genug tat die Wirklichkeit genau das, was sie leider nur oft genug
tut: Sie gab Blum recht. Ausgehend von den USA überzog eine
tugendterroristische Welle die Welt. Das Rauchen, in den Anfangstagen des
Kapitalismus Symbol des ideellen Gesamtkapitalisten, später durch James
Dean und Simone de Beauvoir zum Zeichen von Rebellion bzw. Intellektualität
geadelt, verkam zur Insigne der Unterschicht.
In Hollywoodfilmen griffen, wenn überhaupt, nur noch die Bösewichte zur
Zigarette, Lucky Luke kam fortan mit einem beknackten Grashalm im Mund
daher und im Yoga- und Karottenkuchenmilieu genossen Raucher nun einen Ruf,
der nur noch von AKW-Betreibern und Kinderschändern unterboten wurde.
All das hätte einem egal sein können, wenn der neue Gesundheitswahn nicht
mit entsprechenden Repressalien einhergekommen wäre – nein, noch hat man
keine Tugend gesehen, die nicht durch den Terror hätte herrschen wollen.
Versicherungen erhöhten die Prämien für Raucher, Clubs und Kneipen wurden
vom Nikotingeruch befreit, so dass es nur noch Schweiß und Furz roch, und
manche Arbeitgeber erklärten das Rauchen in der Freizeit – am Arbeitsplatz
war es ohnehin nicht mehr möglich – zum Grund, jemanden nicht einzustellen
oder gar zu kündigen.
Der Kapitalismus des 21. Jahrhunderts, so lautete die Botschaft, lockte
nicht mehr mit dem Versprechen, dass prinzipiell jeder mit Fleiß, Mut und
Geschick aufsteigen, also dick und dekadent werden konnte. Das Versprechen
auf ein besseres Leben war einkassiert. Die Botschaft lautete nun: Schufte
hart, im Beruf und in der Freizeit, sei unerbittlich gegen dich und gegen
andere, damit du später im Beruf und in deiner Freizeit hart schuften und
unerbittlich gegen dich und gegen andere sein kannst. Der zeitgenössische
ideelle Gesamtkapitalist war der hart arbeitende Sportsmann, und nie zuvor
hatte man eine Bourgeoisie gesehen, die so wenig gut zu leben verstand wie
die unserer Tage.
Im Gegenzug wurde das Risiko, krank zu werden – wie alle übrigen Risiken
auch –, in den Bereich der individuellen Verantwortung delegiert. Und keine
Gesundheitspolitik hätte billiger sein können als die Appelle gegen das
Rauchen (später auch gegen Fastfood). So konnte man vorgeben, sich um das
Wohl der Menschen zu kümmern, während tatsächlich Leistungen gekürzt wurden
und man wieder an den Zähnen zu erkennen begann, aus welcher Schicht jemand
stammte.
Kurz: Alles wurde immer schlimmer. Und diese Entwicklung ist längst nicht
zu Ende. Die nichtsnutzige rot-grüne Landesregierung von
Nordrhein-Westfalen hat kürzlich ein striktes Rauchverbot für Kneipen
beschlossen und an Ostseestränden soll das Rauchen ebenfalls verboten
werden, was nur deshalb nicht weiter schlimm ist, weil dieses Brackwasser
namens Ostsee nicht aussieht wie ein Meer, nicht riecht wie ein Meer und
nicht schmeckt wie ein Meer und es folglich egal ist, dass es als
Planschbecken für mecklenburgische Neonazis dient. Mögen sie alle ersaufen.
Aber, und damit zurück zum Thema, es gibt Hoffnung: Der Neuköllner
Bürgermeister Heinz Buschkowsky demonstriert einmal mehr, warum er im
Karottenkuchenmilieu so verhasst ist und [2][weigert sich stur], ein
Rauchverbot für Spielplätze zu verhängen. In Hollywood wird wieder
geraucht, und zum Krisenkapitalismus passt der Gesundheitswahn auch nicht
mehr.
Besser: Besser ungesund als spaßfrei. Und wo könnten das 12-Jährige besser
lernen als bei den ersten Lungenzügen auf dem Spielplatz.
31 Jul 2012
## LINKS
[1] http://jungle-world.com/artikel/2010/27/41265.html
[2] /Rauchverbot-auf-Kinderspielplaetzen/!95214/
## AUTOREN
Deniz Yücel
## TAGS
Gesundheitspolitik
Rauchverbot
Rauchen
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Comic
Italien
Vegetarismus
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Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
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