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# taz.de -- Unterlagen zum NSU geschreddert: Verfassungsschutz feiert Karneval
> Am 11. November 2011 begann der Generalbundesanwalt zum Naziterror des
> NSU zu ermitteln. An diesem Tag schredderte der Verfassungsschutz
> relevante Akten.
Bild: Ob da auch das Akten-Konfetti des Verfassungsschutzes liegt?
BERLIN taz | Es ist ein Vorgang, der das Vertrauen in die deutschen
Sicherheitsbehörden weiter schwinden lassen wird. Wie am Donnerstag bekannt
wurde, hat ein Referatsleiter im Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln am
11. November 2011 angeordnet, mehrere Akten zu einer groß angelegten
Geheimdienstoperation von 1997 bis 2003 im Umfeld des Neonazitrios Uwe
Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe zu vernichten.
Ein Jahr nach Beginn der Aktion waren die Rechtsextremen untergetaucht und
hatten als Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) eine beispiellose
Mordserie begonnen.
Der Lösch-Vorgang an sich ist schon brisant, noch brisanter aber ist der
Zeitpunkt. Nicht weil an jenem 11. 11. 11 in Köln der Karneval begann.
Sondern weil just an jenem Tag bekannt wurde, dass ein NSU existiert und
für neun Morde an Migranten zwischen 2000 und 2006 verantwortlich ist.
Am Nachmittag jenes Freitags im November teilte der Generalbundesanwalt
mit, dass in der ausgebrannten Wohnung des Trios in Zwickau die Mordwaffe
gefunden wurde und seine Behörde die Ermittlungen übernommen habe.
## Gesichtet – und vernichtet
Der nun im Mittelpunkt des Geheimdienstskandals stehende Referatsleiter im
Bundesamt für Verfassungsschutz hatte eigentlich die Aufgabe, für das
Ermittlungsverfahren gegen den NSU Akten zu sichten. Das tat er auch – und
ließ anschließend dem Vernehmen nach sieben Aktenordner zu der groß
angelegten Geheimdienstaktion „Operation Rennsteig“ schreddern.
Nach seiner Darstellung, weil er gemerkt habe, dass die Löschfristen schon
abgelaufen waren - unter bestimmten Bedingungen darf der Verfassungsschutz
personenbezogene Daten nur maximal 10 Jahre speichern. Doch in dieser
Situation möglicherweise relevante Informationen aus dem Umfeld des NSU zu
schreddern, stößt in Berlin auf Entsetzen. „Es ist völlig unverständlich,
dass jemand zu diesem Zeitpunkt Akten zu diesem Themenkomplex in den
Reißwolf stecken konnte“, heißt es empört in Sicherheitskreisen.
Auch Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) soll nicht erheitert
gewesen sein und verlangt von Verfassungsschutzchef Heinz Fromm lückenlose
Aufklärung. Gegen den verantwortlichen Beamten wurde ein
disziplinarrechtliches Verfahren eingeleitet, zumal er die Amtsspitze
belogen haben und zunächst behauptet haben soll, die Akten seien schon
Monate vor dem Bekanntwerden des NSU vernichtet worden.
## Verdacht auf verwischte Spuren
Die Mitglieder des NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestags, die am
Mittwochabend von der Aktenschredderei erfahren hatten, waren erschüttert
über den Vorgang beim Verfassungsschutz. „Sie sind aufgefordert worden,
Akten zu suchen, sie haben Akten gefunden und sie haben die Akten
vernichtet“, sagte der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD). Der
Obmann der Grünen im Ausschuss, Wolfgang Wieland, sagte: „Hier besteht der
Verdacht, dass Spuren verwischt wurden.“
Mit der 1997 gestarteten und bis 2003 andauernden „Operation Rennsteig“
wollten das Bundesamt für Verfassungsschutz sowie das Thüringer Landesamt
und der Bundeswehrgeheimdienst MAD die Neonaziszene rund um den „Thüringer
Heimatschutz“ aufhellen – aus dieser rechtsextremen Kameradschaftstruppe
stammten auch die späteren NSU-Mitglieder Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und
Beate Zschäpe.
Für die Geheimoperation wurden auch bezahlte Informanten im „Thüringer
Heimatschutz“ angeworben. Sechs waren allein für das Bundesamt für
Verfassungsschutz tätig – Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe sollen aber nicht
darunter gewesen sein, beteuert man in Geheimdienstkreisen weiter.
## Nichts mitbekommen
Auch der Thüringer Verfassungsschutz konnte dem Vernehmen nach zwei weitere
V-Leute anwerben, zusätzlich zu ihrer Top-Quelle Tino Brandt, den das Amt
bereits seit 1994 für Informationen bezahlte – er war der Chef des
„Thüringer Heimatschutzes“. Doch trotz all dieser V-Leute wollen die
Geheimdienste nicht mitbekommen haben, dass sich aus der
Kameradschaftstruppe heraus eine rechtsextreme Untergrund-Terrorzelle
bildete.
Heinz Fromm, der seit dem Jahr 2000 Chef des Bundesamts für
Verfassungsschutz ist, wird kommenden Donnerstag vor dem
NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag aussagen. Er wird viele Fragen zu
beantworten haben.
## BKA-Chef bedauert Versagen
Der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Jörg Ziercke, hat derweil
gravierende Fehler bei den Ermittlungen im Fall der Zwickauer Terrorzelle
eingeräumt. Er bedauere, dass die deutschen Sicherheitsbehörden ihrem
Schutzauftrag nicht nachgekommen seien, sagte Ziercke bei seiner Aussage
vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags. Er fügte hinzu: „Wir haben
versagt.“
Konkrete Fehler wollte Ziercke jedoch nicht zugeben. Auch verteidigte er
die Entscheidung, dass das BKA die Ermittlungen zu dem Fall nicht an sich
zog oder vom Bundesinnenminister übertragen bekam. Dies war zwischen 2004
und 2007 mehrfach thematisiert worden, am Ende blieben aber stets die
bayerischen Ermittler federführend.
Der Ausschuss wollte mit der Befragung klären, welche Rolle Ziercke bei den
Ermittlungspannen im Fall des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU)
gespielt hat. Die Gruppe lebte von 1998 bis zu ihrem Auffliegen 2011
unbehelligt im Untergrund und ermordete zehn Menschen. Ziercke ist seit
2004 Präsident des BKA.
Ziercke sah bei seiner Zeugenvernehmung Versäumnisse vor allen Dingen bei
den Thüringer Behörden, insbesondere beim Landesamt für Verfassungsschutz.
In der dortigen rechtsextremen Szene war das NSU-Trio vor dem Untertauchen
aktiv. „Hier könnten die zentralen Defizite gewesen sein“, sagte Ziercke.
Wenn im föderalen Sicherheitssystem ein Glied nicht funktioniere,
funktionierten die anderen auch nicht. (mit dapd)
28 Jun 2012
## AUTOREN
Wolf Schmidt
## TAGS
Schwerpunkt Rechter Terror
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