# taz.de -- Sexuelle Gewalt beim US-Militär: Verschlusssache Vergewaltigung | |
> Tausende Frauen und Männer werden in der US-Armee Ziel sexuell | |
> motivierter Gewalt. Hilfe gibt es kaum. Nun reden Betroffene im Netz - | |
> "My Duty to Speak". | |
Bild: Weggeschaut: Schätzungsweise 19.000 Fälle sexueller Gewalt soll es im J… | |
BERLIN taz | Michelle hat ein Posttraumatisches Belastungssyndrom, ihre Ehe | |
geht in die Brüche, ihr Vergewaltiger wird nie belangt. Mary wird als | |
mental instabil diagnostiziert und verliert ein Jahr nachdem sie | |
vergewaltigt wurde, ihren Job. Einer Frau sagt ihr Vorgesetzter, man habe | |
Wichtigeres zu tun, als sich mit schlechtem Sex zu befassen. | |
Michael glaubt noch heute, dass man ihm ansieht, dass er von vier Kollegen | |
vergewaltigt worden ist. Meghan erstattet Bericht darüber, dass sie neun | |
Monate lang von einem Vorgesetzten belästigt worden ist, wird verhöhnt und | |
schließlich gekündigt. | |
Michelle, Mary, Michael und Meghan waren alle Angehörige der US-Armee und | |
sind im Dienst vom Kameraden oder Vorgesetzten vergewaltigt worden. Ihre | |
Geschichten erzählen sie im Netz, auf der Seite "[1][My Duty to Speak]": | |
Meine Pflicht zu reden. | |
## Täter unbekannt | |
2.049 Fälle sind bekannt, in denen ein Mitglied der US-Armee im Jahr 2010 | |
sexuell gewalttätig wurde. 1.358-mal richtete sich die Gewalt gegen | |
Kollegen. Und 257-mal fiel ein Armeeangehöriger sexueller Gewalt zum Opfer, | |
ohne dass der Täter identifiziert werden konnte. | |
Dies sind aber nur die Fälle, in denen Ermittlungen innerhalb des Militärs | |
eingeleitet worden sind. Nicht mitgezählt sind jene Fälle, bei denen das | |
Opfer anonym geblieben ist, ganz zu schweigen von denen, die gar nicht erst | |
gemeldet wurden. Schätzungen gehen von insgesamt bis zu 19.000 Fällen im | |
Jahr aus. 90 Prozent der Opfer sind Frauen, 69 Prozent sind zwischen 16 und | |
24 Jahre alt. | |
Sehr wenige Fälle führen zu disziplinarischen Maßnahmen gegen den oder die | |
Täter. Darüber gibt es keine genaue Zahlen, rund 8 Prozent sollen es sein. | |
"Wenn jeder um dich herum sagt, dass du verrückt bist und dass das, was | |
passiert ist, der eigenen Fehleinschätzung geschuldet ist, glaubst du es | |
irgendwann selbst", sagt Katie Weber. | |
Sie wurde im Jahr 1993 vergewaltigt. Sechs Monate zuvor war sie in die | |
Armee eingetreten, und nur eine Woche zuvor war sie in ihrer Kaserne | |
Nürnberg-Fürth angekommen. Sie war 18 Jahre alt, als ein Unteroffizier sie | |
auf der Hintertreppe eines Nürnberger Clubs begrapschte, vergewaltigte und | |
zu Oralsex zwang. | |
## Hass und Selbsthass | |
Weber erzählte einem Major davon. Doch der unternahm nichts. Ihre | |
Zimmergenossin beschimpfte sie als Lügnerin und Schlampe. Ähnlich | |
verhielten sich alle anderen aus ihrer Einheit, die davon erfuhren. "Ich | |
bin jeden Tag aufgewacht und hasste mich selbst, hasste das Militär und | |
fühlte mich ungeschützt und vernachlässigt", sagt sie. | |
Sie blieb noch ein Jahr in ihrer Einheit, dann sorgte ihr Vergewaltiger | |
dafür, dass sie entlassen wurde. Alkohol, Suizidgedanken, Selbsthass und | |
Arbeitslosigkeit folgten. Mithilfe von Therapie und Alkoholentzug schaffte | |
sie es, die Schuldgefühle loszuwerden. "Ich war nicht schuld, ich war doch | |
noch ein Kind", sagt Weber heute. | |
Aufgeschrieben hat sie ihre Leidensgeschichte, weil sie vom Büro für | |
Veteranen-Angelegenheiten Unterstützung brauchte. "Ich musste das tun, weil | |
ich arbeitslos und emotional zerstört war. Es hat vier Monate gedauert, | |
alles aufzuschreiben", sagt sie. Dass sie heute Unterstützung und Therapien | |
bekommt, verdankt sie der Notiz einer Krankenschwester, die sie nach der | |
Vergewaltigung wegen eines Aids-Tests aufgesucht hatte, und ihrem Bericht. | |
"Viele Studien haben gezeigt, dass Schreiben sehr therapeutisch wirken kann | |
bei Menschen, die einen sexuellen Übergriff überlebt haben", sagt Panayiota | |
Bertzikis, Leiterin des Military Rape Crisis Center, das den Blog betreut. | |
"Das Schreiben hat mir geholfen, die Wahrheit, die so lange verschüttet | |
war, auszugraben", sagt auch Weber. | |
## Vergewaltiger können sich sicher fühlen | |
Davon, wie schwer es ist, die Wahrheit zu erzählen und gehört zu werden, | |
berichten fast alle Geschichten auf "My duty to Speak". Für Susan Burke | |
sind es die Strukturen innerhalb des Militärs, die dafür sorgen, dass Opfer | |
nicht sprechen oder nicht gehört werden. Vergewaltiger können sich sicher | |
fühlen, brauchen keine Angst zu haben. | |
Die Staranwältin, die die Kläger im Blackwater-Fall und ehemalige Insassen | |
von Abu Ghraib vertrat, reichte im Februar 2011 gegen die früheren | |
Verteidigungsminister Robert Gates und Donald Rumsfeld Klage wegen | |
mangelnden Schutzes der eigenen Truppe vor sexueller Gewalt ein. 28 Fälle | |
hatte sie dafür aufgearbeitet. Katie Webers Fall war nicht darunter. Der | |
war längst verjährt. | |
Ein Gericht wies die Klage zurück mit dem Hinweis auf die "einzigartige | |
Disziplinarstruktur des Militärs". Eine juristische Einmischung in | |
Angelegenheiten des Militärs sei ohne Aufforderung des Kongresses | |
unangebracht. "Wir sind nicht überrascht von dem Urteil, aber dennoch | |
enttäuscht, dass das Gericht entschied, dass Vergewaltigung eine | |
innermilitärische Angelegenheit ist", sagt Burke. | |
Immerhin ist die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit da, auch die Politik ist | |
alarmiert - schließlich geht es um die Armee. "Wenn sexuelle Gewalt und | |
Vergewaltigungen versteckt oder ignoriert werden, steht das Vertrauen | |
innerhalb der Truppe auf dem Spiel und damit die kollektive Bereitschaft, | |
den Feind anzugreifen", teilte Jackie Speier, die Kalifornien im | |
US-Repräsentantenhaus vertritt, in einer offiziellen Stellungnahme mit. | |
## Vorgesetzte entscheiden | |
Sie gehört zu den Abgeordneten, die sich stark für eine juristische | |
Aufarbeitung einsetzen und Schutz für die Opfer fordern. Mitte Dezember | |
2001 verabschiedete der Kongress ein Gesetz, welches das | |
Verteidigungsministerium dazu verpflichtet, sich mit Gewalt innerhalb der | |
Armee zu befassen und Angestellte zu schützen. Die neue Regelung sieht vor, | |
dass Opfer juristische Beratung bekommen, Vertraulichkeit genießen und an | |
einen anderen Standort versetzt werden. | |
Eine Versetzung erfordert allerdings, dass das Opfer dafür sorgen muss, | |
dass ein "unbeschränkter Bericht" vorhanden ist. Ein solcher Bericht zwingt | |
den Befehlshaber der militärischen Einheit dazu, Ermittlungen einzuleiten. | |
Die Möglichkeit für Betroffene, anonym zu bleiben und trotzdem den Standort | |
zu wechseln, ist damit dahin. | |
Laut [2][SWAN], einer Menschenrechtsorganisation, die sich für Veteranen | |
und Frauen in der US-Armee einsetzt, werden Vergewaltigungen in anderen | |
Ländern wie Israel und Australien nicht innerhalb des Militärs untersucht, | |
sondern an die Polizeibehörden übergeben (siehe Kasten). | |
In der US-Armee ist es der Vorgesetzte, der entscheidet, ob dem Opfer | |
geglaubt wird oder nicht. Und ob er damit zugibt, dass so etwas unter | |
seiner Obhut passiert.Anwältin Burke hat Revision angekündigt. "Jeder, der | |
in diesen Fall involviert ist, weiß, dass es ein langer Kampf im Gericht, | |
im Kongress und innerhalb des Militärs sein wird." | |
"Wir glauben, dass der Kern des Problems die totale Entscheidungsfreiheit | |
des Befehlshabers ist, wie mit einem Fall umgegangen wird und wie das Opfer | |
behandelt wird", schrieb SWAN vergangene Woche in einem [3][offenen Brief] | |
an Verteidigungsminister Leon Panetta. Die US-amerikanische Armee sei die | |
"beste der Welt", ihre Mitglieder benötigten den bestmöglichen Schutz. Eine | |
Antwort bekam sie bislang nicht. | |
4 Jan 2012 | |
## LINKS | |
[1] http://mydutytospeak.com/ | |
[2] http://servicewomen.org/ | |
[3] http://servicewomen.org/2011/12/open-letter-to-secretary-of-defense-leon-pa… | |
## AUTOREN | |
Frauke Böger | |
## TAGS | |
Japan | |
Sexuelle Gewalt | |
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