Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Abzug der US-Truppen aus dem Irak: Und dann sind sie weg
> Leise und unspektakulär endet der Einsatz der US-Armee im Irak. Ein
> Besuch in einer Militärbasis bei Naseriya bei jenen Soldaten, die als
> letzte das Land verlassen.
Bild: Der Krieg ist zu Ende: US-Soldaten bei der Zeremonie zum Abzug in Bagdad.
NASERIYA taz | Es wird keinen Abschied mit Pauken und Trompeten geben,
nicht einmal ein letztes großes Festessen mit Hammelkeule und Reis. "Ich
werde mit einem Vertreter der irakischen Regierung die Inventurlisten
durchgehen und die Übergabe unterzeichnen, sagt Oberst Richard Kaiser, der
Kommandant des Camps Adder.
"Dann steigen wir in unsere Trucks und fahren ab." So leise und
unspektakulär also endet der Krieg im Irak. Am Donnerstag erklärte
Präsident Barack Obama den Krieg offiziell für beendet; in wenigen Tagen
werden auch die letzten 3.500 amerikanischen Soldaten das Land verlassen
habe.
Das Camp Adder, rund zwanzig Kilometer südwestlich von Naseriya, ist eine
der zwei verbliebenen von ehemals 505 US-Basen im Irak. Bis vor wenigen
Wochen war sie das größte Logistikzentrum der US-Truppen im Süden des
Landes; 12.000 Soldaten und rund 6.000 Zivilisten waren hier stationiert.
Wenige Tage vor dem Abzug der letzten Soldaten ist sie nicht mehr als ein
bewaffneter Truckerstopp auf der Straße nach Kuwait.
Verschwunden sind der Burger King und Green Beens Coffee Shop, vom
ehemaligen Supermarkt zeugt nur noch eine verwaiste Lagerhalle. Die letzte
der vier Kantinen schloss am 20. November, seit demselben Tag gibt es
keinen Internetzugang mehr.
## Der schnelle Abzug war eine Illusion
Kaiser und seine Soldaten ernähren sich von MREs, den "Ready to
eat"-Militärrationen, Wasser und den Gemüse- und Fruchtsaftresten, die es
noch gibt. "Wir sind zurück im Feldleben, so wie es sein sollte", sagt
Kaiser. Es sei an der Zeit, zu gehen.
Viele Soldaten der 20. Pionierbrigade aus Fort Bragg in North Carolina, die
Kaiser befehligt, waren in den vergangenen acht Jahren zwei- und dreimal im
Irak stationiert; insgesamt waren es rund 300.000 Soldaten.
Einer von ihnen war Captain Joe Cho. 2004/05 war er in Zentralirak in der
Nähe von Saddam Husseins Heimatstadt Tikrit stationiert. Der Einsatz auf
der Basis sei so langweilig gewesen, dass er sich freiwillig als
Scharfschütze für die Black-Hawk-Flüge gemeldet habe, sagt Cho. Der von den
USA geplante schnelle Rückzug war freilich schon damals eine Illusion: In
West- und Nordirak lieferten sich sunnitische Aufständische im Verbund mit
der Terrorgruppe al-Qaida einen erbitterten Kampf mit den Besatzern, in den
Hochburgen der Schiiten machten Milizionäre mobil.
Ein Jahr später lieferten sich beide Seiten einen Krieg, der so viele Tote
forderte, dass darüber selbst die Verbrechen des Saddam-Regimes in
Vergessenheit gerieten. Die Reden der Amerikaner vom Aufbau der "ersten
Demokratie im Nahen Osten" waren da längst durch die Misshandlung von
Gefangenen in Abu Ghraib diskreditiert.
## Stromkabel und Wasserleitungen kappen
Knapp 5.000 US-Soldaten und schätzungsweise 100.000 Iraker haben in dem
Krieg ihr Leben verloren. War es das wert? "Ich hoffe wirklich, dass sich
dieses Land positiv entwickelt", sagt Captain Cho. "Aber ich weiß nicht, ob
das geschehen wird."
Im Augenblick hat er andere Sorgen. Die Aufgabe seiner Brigade ist die
Abwicklung des Camps Adder. Auf der Basis gab es einst eine eigene
Wasserfabrik, die täglich knapp 4 Millionen Liter Trinkwasser produzierte,
eine Eisfabrik stellte 25.000 Tonnen Kühleis her, und aus einer Pipeline
aus Kuwait kam der Diesel für die Treibstoffversorgung der Truppen im
ganzen Land. Ein Kraftwerk produzierte 10 Megawatt Strom. Zudem gab es 12
Restaurants und 40 irakische Geschäfte.
In einer in der Geschichte des US-Militärs einmaligen Sisyphusarbeit haben
Captain Cho und die Männer und Frauen von seiner Brigade Stromkabel und
Wasserleitungen gekappt, Wertgegenstände sortiert und erfasst.
Mit einem beherzten Griff packt der drahtige Offizier einen Sack mit
Schlüsseln und macht sich auf den Weg zur Inspektion einer der letzten
Wagenburgen, in denen die Soldaten und Zivilisten wohnten. Die CHUs, die
containerized housing units, gehen an die irakische Regierung.
## Material im Wert von rund 100 Millionen Dollar
Auch Dutzende von Generatoren, Hunderte von Autos und Lastwagen, die
Kantinenküchen, Büromöbel sowie Altmetall und das Holz von Buden und
Busstationen bleiben zurück. Es ist Material im Wert von rund 100 Millionen
Dollar, dessen Verschiffung zu teurer gewesen wäre. Um jedes Stück hätten
die Iraker gekämpft, sagt Cho.
Viele Iraker wollten noch immer nicht glauben, dass der Abzug endgültig
ist. Es gibt Gerüchte, dass US-Soldaten heimlich auf den Basen
zurückblieben - wohl das letzte große Missverständnis in diesem Krieg.
Während Cho nach einem Schlüssel sucht, hebt ein Kran wenige Meter entfernt
eine Sprengschutzmauer in die Höhe und schließt die letzte Lücke um eine
Wagenburg. Sorgfältig inspiziert Cho die Spinde, hebt die Kissen und Decken
und die Betten an. "Okay", sagt er zufrieden und schließt die Tür. Auf
einer staubigen Straße macht sich ein Konvoi bereit.
Wann sich der letzte Konvoi auf den Weg nach Kuwait macht, will das
US-Militär nicht sagen. Nach jetzigem Stand können es nur noch wenige Tage
sein. "Ich will sicher sein, dass ich diesen Ort besser hinterlasse, als
wir ihn vorgefunden haben", sagt Oberst Kaiser. "Dann liegt es an den
Irakern, das Beste daraus zu machen."
Sein Job ist das jetzt nicht mehr. Am Freitag übergab er Camp Adder an den
Irak.
17 Dec 2011
## AUTOREN
Inga Rogg
## ARTIKEL ZUM THEMA
US-Armee räumt Kaserne in Rheinland-Pfalz: Lieber Ami, bitte bleib hier!
Erst Nazis, dann Franzosen und seit 60 Jahren die GIs. In der der
Garnisonsstadt Baumholder geht ohne Militär gar nichts. Nun will die
US-Armee abrücken.
Wahlen in Kuwait: Aktivisten setzen auf den Wandel
Nach Demonstrationen und einer Regierungskrise finden in Kuwait zum vierten
Mal in sechs Jahren Parlamentswahlen statt. Auslöser war ein
Korruptionsskandal.
Sexuelle Gewalt beim US-Militär: Verschlusssache Vergewaltigung
Tausende Frauen und Männer werden in der US-Armee Ziel sexuell motivierter
Gewalt. Hilfe gibt es kaum. Nun reden Betroffene im Netz - "My Duty to
Speak".
Irak nach den GIs: Der Traum vom Wandel
Weder sind die US-Amerikaner Orest noch die Iraker das Volk von Argos. Der
irakische Schriftsteller Najem Wali über die Zukunft seines Landes nach dem
Abzug der US-Truppen.
Machtkampf im Irak: Krach in der Regierung
Schiiten und Sunniten sind auf Kollisionskurs: Haftbefehl gegen
sunnitischen Vizepräsidenten – der schiitische Regierungschef Maliki will
seinen Stellvertreter loswerden.
Kongress rettet US-Staatshaushalt: Einigung in letzter Sekunde
Zum dritten Mal sind die USA nur knapp an der Zahlungsunfähigkeit
vorbeigeschlittert. Präsident Obama ist erleichtert, doch der Streit geht
weiter.
US-Abzug aus Irak: Der Letzte nimmt den Müll mit
Die Amerikaner hinterlassen den Irakern Gegenstände im Wert von ungefähr
700 Millionen Dollar. Im Südirak haben die Behörden um jedes Detail
gefeilscht.
Obama würdigt Irak-Krieg: Abzug in stolzer Siegerpose
Der einst als Kriegsgegner angetretene Barack Obama feiert den Irakfeldzug
als großen Erfolg. Er erinnert vor Soldaten an die – US-amerikanischen –
Toten des Krieges.
Kommentar Obamas Irak-Bilanz: Angst vor dem Bürgerkrieg
Der Irak ist, anders als Obama sagt, keineswegs stabil. Viele haben Angst,
dass nun die alten Bruchlinien des Bürgerkrieges zwischen Schiiten und
Sunniten wieder aufbrechen.
An der syrisch-irakischen Grenze: Nachts wird geschossen
Der Aufstand in Syrien sorgt für Unruhe an der gemeinsamen Grenze mit dem
Irak und spaltet die Bevölkerung. Bagdad und Damaskus arbeiten gut
zusammen.
Kritik an Obamas Abzugsplänen im Irak: "Nicht einfach Uniformen austauschen"
Für seine Truppenabzugsankündigung erhält Obama kaum Beifall. Die Rechten
werfen ihm politisches Kalkül vor, die Linken warnen vor nachrückenden
Privatsöldnern.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.