# taz.de -- Debatte sexuelle Gewalt: Sagt sie die Wahrheit? | |
> Vergewaltigung gilt nicht mehr als Kavaliersdelikt. Doch vor Gericht | |
> werden mutmaßliche Opfer oft wie mutmaßliche Täter behandelt. Es fehlt an | |
> Sensibilität. | |
Bild: Bei Anzeigen wegen Vergewaltigung gegen Promis wie Strauss-Kahn, steht di… | |
Im Zweifel für den Angeklagten. So wird in einem Rechtsstaat entschieden. | |
Wenn eine Straftat nicht zweifelsfrei geklärt werden kann, darf der oder | |
die Angeklagte nicht verurteilt werden. Das muss natürlich auch bei | |
Anzeigen wegen sexueller Übergriffe gelten. Trotzdem gibt es gerade bei | |
Prozessen wegen sexueller Gewalt noch einige Probleme. | |
So lassen einen die medial stark beleuchteten Vergewaltigungsprozesse der | |
vergangenen Monate ratlos zurück. Die drei Fälle - der des gerade erst | |
freigesprochenen Exchefs des IWF, Dominique Strauss-Kahn, des | |
Wettermoderators Jörg Kachelmann und des WikiLeaks-Gründers Julian Assange | |
- sind keinesfalls gleichzusetzen. | |
Aber eine Gemeinsamkeit gibt es: Alle drei Männer wurden freigesprochen. In | |
keinem Fall gab es genügend Beweise für die Vergewaltigungen. Außerdem | |
wirkten die mutmaßlichen Opfer in den Augen der Staatsanwaltschaften wenig | |
glaubhaft. | |
Welche Signale gehen von diesen Urteilen aus? Zunächst einmal ein positives | |
für Männer: Keine Frau kann einfach mal so behaupten, sie sei vergewaltigt | |
worden und sich wegen ganz anderer Probleme in der Beziehung rächen. | |
Andererseits gibt es auch für Frauen eine gute Nachricht: Egal, wie viel | |
Einfluss und Geld ein Mann hat und wie prominent er ist - vor einer | |
Strafverfolgung ist er nicht mehr gefeit. | |
## Minirock gilt nicht mehr als "Einladung" | |
Er riskiert seine Karriere, wenn er auch nur in den Verruf gerät, | |
vergewaltigt zu haben. Und: Frauen können die Täter anzeigen, ohne | |
routinemäßig Angst davor haben zu müssen, auf der Polizeiwache und im | |
Gerichtssaal nicht ernst genommen oder gedemütigt zu werden. Die Zeiten, in | |
denen der Minirock und ein Lächeln als "Einladung" galten, sind vorbei. | |
Trotzdem werden sich viele Frauen vor ihrer Aussage mit Fragen herumquälen | |
wie diesen: Wie verhalte ich mich richtig, wenn ich aussage? Soll ich klar | |
und direkt auftreten? Oder besser zurückhaltender und weniger resolut? | |
Denn: Wie auch immer eine Frau es macht, es kann immer jemanden geben, der | |
sagt: Das denkt die sich doch aus. | |
Beharrt eine Frau trotz intensiver Nachfragen auf einer einzigen Variante | |
des Tathergangs, kann es heißen: Das hat die sicher lange vor dem Spiegel | |
geübt. Verstrickt sie sich in Widersprüchen - Vergewaltigungsopfer sind | |
traumatisiert und erinnern sich nicht an jedes Detail - wird so mancher | |
skeptisch die Augenbrauen hochziehen: Die sagt jedes Mal etwas anderes. Was | |
stimmt denn nun? | |
Der Beschuldigte hingegen darf schweigen. Niemand muss eine Aussage machen, | |
wenn sie ihn oder sie belasten könnte. Bei Fällen, in denen Aussage gegen | |
Aussage steht, und das ist bei Vergewaltigungsprozessen in der Regel der | |
Fall, führt dies zu einer Schieflage. Einzig die Widersprüche der Klägerin, | |
die gleichzeitig mutmaßliches Opfer ist, werden beleuchtet und bewertet. | |
## Unbeweisbare Gewalt | |
Und noch etwas werden viele Frauen nach den Promi-Prozessen im Kopf haben: | |
Ob ein Täter verurteilt wird, bleibt fraglich. Wie eine von der EU in | |
Auftrag gegebene Studie der Londoner Metropolitan-Universität von 2009 | |
zeigt, werden nur 13 Prozent der in Deutschland angezeigten Vergewaltiger | |
verurteilt. Das Bundesfamilienministerium spricht sogar nur von 5 Prozent, | |
die Dunkelziffer beträgt demnach 95 Prozent. Und Falschbeschuldigungen? | |
Gibt es laut Studie nur 3 Prozent. | |
Beratungsstellen sehen angesichts dieser Zahlen eine "Gerechtigkeitslücke". | |
Die Anforderungen eines Strafverfahrens sind hoch. Am häufigsten werden | |
Verfahren wegen nicht ausreichender Beweise oder wegen mangelnder | |
Kooperation der betroffenen Frauen eingestellt. Das ist auch für viele | |
Richterinnen und Richter unbefriedigend. Der Kachelmann-Prozess führte das | |
beispielhaft vor: Der Richter sprach den Moderator nicht frei, weil er ihn | |
für unschuldig hielt. Sondern weil die Beweise nicht ausreichten. Am | |
Stammtisch heißt so etwas "Freispruch zweiter Klasse". | |
Nicht wenige Frauen, die Vergewaltigungsprozesse hinter sich gebracht | |
haben, treten aus dem Gerichtssaal und sagen: "Ich würde nie wieder Anzeige | |
erstatten." Klarerweise muss die Verteidigung versuchen, ihre | |
Glaubwürdigkeit infrage zu stellen. Das bedeutet einen enormen Druck und | |
führt in der Praxis häufig dazu, dass das mutmaßliche Opfer als mutmaßliche | |
Täterin behandelt wird. Häufig steht die Frage im Raum: "Haben Sie sich | |
denn richtig gewehrt?" | |
## Lieber Ruhe bewahren? | |
Allein diese Frage weist Restbestände patriarchalen Denkens auf. Denn sie | |
impliziert die Erwartung, dass sich jede Frau körperlich aggressiv wehren | |
muss, wird sie angegriffen. Tut sie das nicht, gilt das auch heute rasch | |
als "Einwilligung". | |
Manche Frauen entscheiden sich in einer Gefahrensituation aber bewusst für | |
eine andere Verteidigungsstrategie: Ruhe bewahren. Je nach Situation, kann | |
sie das vor zusätzlichen Verletzungen schützen. Würde ihnen geglaubt, wenn | |
sie keine eindeutigen Gewaltspuren aufweisen und trotzdem von | |
Vergewaltigung sprechen? | |
Die Empirie zeigt: Eher nicht. Viele ExpertInnen bei Polizei und Justiz | |
beklagen daher diese Diskrepanz. | |
In Deutschland werden im Gegensatz zu anderen EU-Ländern wenige | |
Vergewaltigungen bei der Polizei gemeldet. Der EU-Statistik zufolge kommen | |
knapp 10 gewaltsame Sexualdelikte auf 100.000 Einwohnerinnen. Damit liegt | |
Deutschland im unteren Mittelfeld. In Schweden hingegen werden viermal so | |
viele Vergewaltigungen angezeigt. | |
Offensichtlich ist die Sensibilität gegenüber Vergewaltigungen in Schweden, | |
einem der skandinavischen Musterländer in Sachen Gleichstellung, | |
ausgeprägter als in Deutschland. Schon die jungen Mädchen wissen dort | |
meist: Nein heißt auch nein. Und wenn der Mann sich nicht daran hält, kann | |
ich zur Polizei gehen. | |
Die Debatte darüber, wie sich in Deutschland vergewaltigte Frauen verhalten | |
sollen, ob ihnen geglaubt wird und was sie dafür tun können, damit ihnen | |
geglaubt wird, hat also stark mit dem allgemeinen Geschlechterbild in der | |
Gesellschaft zu tun. Das Bild der jederzeit sexuell verfügbaren Frau sitzt | |
in manchen Köpfen immer noch fest - bei Männern und bei Frauen. | |
29 Aug 2011 | |
## AUTOREN | |
Simone Schmollack | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |