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# taz.de -- Gentechnik in Lebensmitteln: EU entscheidet über Entschärfung von…
> Am Mittwoch entscheidet die EU über eine Kennzeichnungspflicht von
> gentechnisch verändertem Gemüse, Getreide oder Obst. Was steckt dahinter?
Bild: Genverändert? Ohne Kennzeichnung nicht erkennbar: ein Weizenfeld in China
Bis heute ist die Gentechnik fürs Essen umstritten. Die Vorschriften sind
entsprechend streng. Nur: [1][Die EU will sie jetzt entschärfen]. Es wäre
ein weitreichender Schritt. Noch stemmen sich dagegen unter anderem
Handelskonzerne wie Rewe. Am Mittwoch soll eine Entscheidung fallen.
Bereits Ende der 1990er entfaltete sich eine öffentliche Debatte über
gentechnische Arbeiten an Pflanzen von Biotechnologen. Gegner warnten vor
in Laboren kreiertem „Frankenstein-Food“. Es war die Zeit, als die
mittlerweile als „alt“ bezeichneten Methoden auf den Markt kamen: Forscher
schleusten artfremde Gene in das Erbgut einer Pflanze, etwa in Mais ein
Gen, um Gift gegen Insekten zu produzieren.
Seither sind Gentechnikverfahren entwickelt worden, mit denen
Erbinformationen von Pflanzen verändert werden, ohne fremdes Erbgut zu
nutzen. Stattdessen werden vorhandene Gene abgeschaltet oder umgebaut.
Experten sprechen von „neuen genomischen Techniken“, kurz NGT. Berühmt: die
Genschere Crispr/Cas9, für die die Forscherinnen Jennifer Doudna und
Emmanuelle Charpentier 2020 den Nobelpreis für Chemie erhielten.
Bisher müssen Lebensmittel mit gentechnisch veränderten Pflanzen
gekennzeichnet werden und auch eine Risikoprüfung durchlaufen. So sieht es
das derzeit geltende EU-Recht vor. Das will die EU-Kommission nun ändern.
Ihr Vorschlag: Das Gros der Pflanzen, die mit neuen genomischen Techniken
gezüchtet werden, wird konventionell gezüchteten Pflanzen nahezu
gleichgestellt. Die Prüfung, welche Risiken von der Pflanze für die Umwelt
ausgehen, würde entfallen.
## Skepsis der Verbraucher
Verbraucher würden auch nicht erkennen, ob eine genveränderte Pflanze in
einem Lebensmittel steckt, denn sie müssen nicht mehr gekennzeichnet
werden. Saatgutfirmen wie KWS oder Agrarkonzerne wie Bayer, Syngenta und
Corteva investieren bereits in die neuen Technologien. Sie könnten sich
viele langwierige Zulassungsverfahren sparen, sollten sie mit der
Entwicklung neuer Pflanzensorten Erfolg haben.
Blutdrucksenkende Tomaten in Japan, mehltauresistenter Weizen in China,
gegen Klimastress gewappneter Reis mit höherem Ertrag in Indien – [2][noch
sind nicht viele NGT-Pflanzen auf dem Markt], diese schon. Die Brüsseler
Kommission hofft aber auf mehr. Ihr Versprechen: Die neuartigen
Gentech-Gewächse kommen mit Schädlingen und Klimawandel besser zurecht, die
Ernährung wird abgesichert.
Laut Umfragen sind die meisten Konsumenten hierzulande aber nicht
überzeugt. In der „Naturbewusstseinsstudie 2023“ des Bundesamts für
Naturschutz sprechen sich zum Beispiel 94 Prozent der Erwachsenen in
Deutschland „voll und ganz“ oder „eher“ dafür aus, dass Lebensmittel, …
mit neuen gentechnischen Verfahren hergestellt wurden, immer vom Handel
gekennzeichnet werden sollen. Verbraucherschützer fordern das entsprechend.
Aber nicht nur sie.
## Biohändler warnen vor Lockerung
Die Supermarktkette Rewe, die dm-Drogeriemärkte sowie die Bio-Händler
Alnatura, auch Rapunzel und dennree fordern in einem offenen Brief
EU-Abgeordnete der konservativen EVP-Fraktion gemeinsam auf, nur einer
Regelung mit „vollständiger Kennzeichnungspflicht, Rückverfolgbarkeit und
Koexistenzmaßnahmen für NGT“ zuzustimmen. Alles andere sei „eine
unkalkulierbare wirtschaftliche Bedrohung für die gesamte europäische
Lebensmittelbranche, insbesondere für den „Ohne-Gentechnik“-Sektor und die
Bio-Branche“.
Ihre Sorge und die vieler Ökolandwirte: Bald könnten etwa vom Wind verwehte
oder von Bienen verschleppte Pollen der NGT-Gewächse auf andere Äcker
gelangen, gentechnisch veränderte Zutaten sich unbemerkt in ihren Waren
finden. Heute werden nach Angaben des Verbandes Lebensmittel ohne
Gentechnik beispielsweise drei von vier Liter Milch in Deutschland
gentechnikfrei hergestellt.
Und allein im Jahr 2024 wurden hierzulande Eier mit dem „Ohne
Gentechnik“-Siegel für über 1,6 Milliarden Euro verkauft. Die Hühner haben
dann kein gentechnisch verändertes Futter bekommen. Die mit „Ohne
Gentechnik“ gelabelten Produkte und die Biowaren machen insgesamt fast 35
Milliarden Euro Jahresumsatz in Deutschland. Für Biobetriebe ist Gentechnik
nach der EU-Öko-Verordnung grundsätzlich tabu.
Der Vorschlag, den die Europäische Kommission zur Lockerung der Regeln für
die neue Gentechnik vorgelegt hat, kam nicht bei allen gut an. Mit ihm
werde das Vorsorgeprinzip, nach dem alle Risiken einer Technologie im
Vorhinein zu prüfen sind, über Bord geworfen und damit ein Grundprinzip der
EU-Umweltpolitik, sagen Kritiker.
Zumindest müssten Verbraucher entscheiden können, ob sie Produkte kaufen
wollen, die NGT-Pflanzen enthalten. Das Europäische Parlament pochte
jedenfalls auf strenge Kennzeichnungspflichten. Indes sprachen sich die
Mitgliedstaaten der EU im Ministerrat für die Lockerungen aus, wenn auch
nur mit knapper Mehrheit. Am Mittwoch sollen nun Vertreter von
EU-Parlament, Mitgliedstaaten und EU-Kommission im sogenannten Trilog
entscheiden. Die Bundesregierung ist bisher uneins.
2 Dec 2025
## LINKS
[1] /Biobaeuerin-ueber-Regeln-fuer-Genfood/!6134140
[2] /Beschluss-des-mexikanischen-Kongresses/!6074133
## AUTOREN
Hanna Gersmann
## TAGS
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