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# taz.de -- Lesung von David Szalay in Berlin: Der Zustand eines verletzten Kö…
> Der mit dem Booker Prize ausgezeichnete David Szalay stellte in Berlin
> seinen Roman vor. „Was nicht gesagt werden kann“ handelt von einem
> gedanklich einsilbigen Mann.
Bild: Der britische Schriftsteller David Szalay, 2025
Mit seinem Roman „Flesh“ hat David Szalay vor zwei Wochen den Booker Prize
gewonnen, einen der wichtigsten Literaturpreise überhaupt. Wie es ihm
seitdem ergehe? „Very, very tired“ sei er, sagt der
britisch-kanadisch-ungarische Schriftsteller bei einer Lesung am
Dienstagabend im Berliner tak Theater Aufbau Kreuzberg, die die
Buchpremiere der deutschen Ausgabe von „Was nicht gesagt werden kann“
markiert.
Darin begleiten wir István durch vier, fünf Jahrzehnte seines Lebens.
Nachdem er in Ungarn weder Liebe noch Arbeit findet, geht er zur Armee,
dann nach London und fällt fast zufällig die Erfolgsleiter hinauf in die
High Society. Er durchwandert Lebensphasen und Schauplätze wie Klassen. Der
Roman ist ebenso eine Erzählung von Männlichkeit wie des sozialen
Aufstiegs.
## Der Körper erzählt zuerst
Die Vorstellung vom Leben als eine Reihe rationaler Entschlüsse hält Szalay
für ein falsches Bild. Vielmehr würden wir Entscheidungen, die oft auf rein
körperlichen Reaktionen beruhen, nachträglich rationalisieren, sagt er. Als
einen Versuch, etwas zu erklären, das bereits entschieden wurde. Das
verschiebt den Blick.
István ist ein Mann, der spürt, bevor er versteht. „Was nicht gesagt werden
kann“ ist aber auch eine Geschichte des unverarbeiteten Traumas. Als
15-Jähriger geht István eine nicht ganz einvernehmliche sexuelle Beziehung
zu seiner 42-jährigen Nachbarin ein, im Kriegseinsatz verliert er einen
Freund. Der Nachhall davon prägt sein ganzes Leben. Bestimmte Erfahrungen
liegen jenseits des Sagbaren.
Das Buch handelt aber auch von der Schwierigkeit, genau zu wissen, was uns
wozu eigentlich motiviert. Leicht misszuverstehen mit einer Entkopplung von
Gefühlen generell. Ja, István spricht wenig über Gefühle, man erhält nur
indirekte Einblicke, oft über unvermittelte körperliche Reaktionen. Er
bricht sich die Hand, als er gegen eine Tür schlägt. Warum, weiß er nicht.
[1][Auch wenn die gekappte Verbindung zur Gefühlswelt als Erklärung]
naheliegt, bleibt die Frage, ob man Gefühle nur spürt, indem man sie
verbalisiert.
Aktive Sprache, bewegende Dialoge, nahbare Charaktere – nichts davon findet
sich in Szalays Roman. Er erzählt Istváns Leben in fragmentarischen
Episoden, zwischen denen große Lücken liegen. Lesende bleiben oft einen
Schritt zurück, weil entscheidende Erfahrungen wie der Kriegseinsatz, die
Jugendstrafanstalt oder die Hochzeit nur als kurze Spuren aufscheinen.
Die [2][Dialoge bestehen aus Banalitäten], wirken absichtlich gestenhaft.
Dadurch bleibt der Zugang zu Istváns Innenleben versperrt, seine
Innerlichkeit einsilbig. 196-mal sagt er „Okay“, 82-mal „Ich weiß nicht�…
Diese Knappheit erzeugt eine Dissonanz zwischen dem, was geschieht, und der
reduzierten Sprache, die davon erzählt. Auf diese Weise habe er versucht,
die „reale Textur von Gesprächen“ einzufangen, sagt Szalay.Wenn man den
Stil frustrierend findet und sich ihm trotzdem nicht entziehen kann,
erfüllt er seinen Zweck. Szalay dringt aus ungewohnten Blickwinkeln in
seinen Protagonisten. Während István am kuwaitischen Flughafen wartet,
erfahren wir vom Verlust eines Freundes im Irak, [3][jedoch nicht von
Gefühlen der Trauer], die diesen Todesfall ummanteln. Man kümmert sich fast
mehr um István, als er selbst es tut, bleibt bei jemandem, der sich kaum
entwickelt und dessen emotionale Leere erdrückend sein kann. Diese
sprachliche Kargheit ist anstrengend, aber konsequent.
## Dekonstruktion des Männerromans
Der Roman präsentiert Männlichkeit nicht als Identität, sondern als Zustand
eines verletzlichen Körpers, der sich tastend durch Situationen bewegt. Er
habe ein Buch schreiben wollen, das sich mit dem Leben als körperlicher
Erfahrung befasst, sagt Szalay. Zum Ausdruck kommt diese Körperlichkeit vor
allem in Form von Sex und Schmerz, worauf auch der englische Romantitel
„Flesh“ verweise, der zugleich vulgär wirke und doch „biblische und
literarische Untertöne“ trage, so Szalay.
Mit einem durchaus an Hemingway erinnernden Prosastil bricht er bewusst die
Erwartungen, die an einen Männerroman geknüpft sind. Krieg, Gewalt,
Jugendstrafanstalt oder das Türstehermilieu erscheinen nur am Rand und
werden so entdramatisiert. Die männliche Heldenreise bleibt trotz sozialen
Aufstiegs aus.
Vermeintliche Coolness entpuppt sich hier als Sprachlosigkeit, die auf
unverarbeiteten Traumata beruht. István wirkt überwältigt, nicht souverän.
Frauen bleiben Nebenfiguren, doch auch er selbst ist oft keine Hauptfigur
seines eigenen Lebens. Das Ergebnis ist eine unheroische, radikal
körperliche Dekonstruktion dessen, was man normalerweise für männliches
Erzählen halten würde.
27 Nov 2025
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## AUTOREN
Luca Klander
## TAGS
Booker Prize
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