| # taz.de -- Spielfilm „Paternal Leave“: Ciao Sehnsuchtsort | |
| > In ihrem Debütfilm „Paternal Leave“ erzählt Alissa Jung von einer | |
| > Tochter, die ihren unbekannten Vater sucht. Annäherung und Rückzug | |
| > wechseln sich ab. | |
| Bild: Vater und Tochter: Paolo (Luca Marinelli) und Leo (Juli Grabenhenrich) in… | |
| Wenn jemand aus emotionalen Motiven von Deutschland nach Italien aufbricht, | |
| ist Vorsicht geboten. Zu groß das Verklärungspotenzial, im Leben und | |
| natürlich auch im Film. Insofern macht Alissa Jung mit ihrem Debüt | |
| „Paternal Leave“ gleich einiges richtig. Als Leo, die 15-jährige | |
| Protagonistin, nach einem Streit mit ihrer Mutter spontan in den Zug | |
| Richtung Adria steigt, findet sie am Ziel einen wolkenverhangenen Strand | |
| vor. | |
| Das Meer wirkt unruhig, und in der Ferne ragen Industrieanlagen in den | |
| Himmel. Ciao Sehnsuchtsort. Hier ist nichts, das Haut oder Herz erwärmen | |
| könnte, nur eine Strandbude, deren Dach repariert werden muss. Leo ist | |
| hier, um einen Fremden zu treffen, von dem sie nur so viel weiß: Sein Name | |
| ist Paolo. Er ist Surflehrer. Und ihr Vater. „Paternal Leave“ geht von der | |
| Leerstelle aus, die im Leben eines Kindes entsteht, wenn ein Elternteil | |
| sich abwendet. Er erzählt vom Versuch der Tochter, diese Leerstelle zu | |
| begreifen, sie mit irgendetwas zu füllen, das real ist. Vielleicht sogar | |
| schön. | |
| Nachdem die ersten Sätze zwischen ihr und Paolo gewechselt sind, folgt | |
| zunächst echte Ernüchterung: Leo muss sich übergeben. Das könnte leicht | |
| übertrieben wirken, dabei ist ihre Überwältigung wie sehr vieles in diesem | |
| Film gut beobachtet. Fühlen sich nicht gerade die lang ersehnten, endlos | |
| ausgemalten Begegnungen, die ein Leben so hergeben kann, am wenigsten | |
| filmreif an? | |
| Dann wird kein gutes Gespräch geführt, sich in den Armen gelegen, sondern | |
| geschwitzt, gestammelt und manchmal eben gekotzt. Die Regisseurin | |
| inszeniert die drei Tage, die Leo und Paolo gemeinsam verbringen werden, | |
| als Abfolge von Annäherung und Rückzug. So spiegelt die Erzählung das Hin | |
| und Her der Wellen an der kalten Küste von Marina Romea. | |
| Was den Film wärmt, ist die Reibung zwischen Juli Grabenhenrich und Luca | |
| Marinelli. Grabenhenrich spielt Leo – es ist wirklich ihre erste Hauptrolle | |
| – mit der Wut und Verletzlichkeit des verlassenen Kindes und dem rührend | |
| überheblichen Trotz, den Teenager am allerbesten beherrschen. | |
| [1][Marinelli, zu Recht in der A-Liga des italienischen Schauspiels], zeigt | |
| Paolo als ungeschickten Kommunikator mit wachsenden Gefühlen für das | |
| Mädchen, das wie er niesen muss, wenn es Schokolade isst. | |
| ## Den Kindern den Rücken kehren | |
| Als es ihn in einem verhörähnlichen Interview auffordert, endlich Antworten | |
| zu liefern, gibt er in liebenswertem Italiener-Englisch zu bedenken, dass | |
| man sich so nicht kennenlerne. Als Vater kommt er indes nicht allzu gut | |
| weg. Da sind nicht nur die 15 Jahre, in denen er nie versucht hat, sein | |
| Kind kennenzulernen. Er hat noch eine Tochter, die ebenfalls bei ihrer | |
| Mutter lebt. Man würde ihm als Zuschauerin nun gern ein entnervtes stronzo | |
| an den Kopf werfen, doch Jung widersteht der Versuchung, Paolo als | |
| chronisches manchild abzutun. | |
| Sie habe verstehen wollen, warum Menschen ihren Kindern den Rücken kehren, | |
| sagt sie. In der überragenden Mehrheit sind diese Menschen nach wie vor | |
| Väter, allen Debatten über geteilte Care-Arbeit und Elternzeiten zum Trotz. | |
| Sicher hätte Alissa Jung vielen Alleinerziehenden, die täglich | |
| Verantwortung für zwei übernehmen, leicht zu etwas comic relief verhelfen | |
| können, hätte sie Paolo als überflüssigen Mann vorgeführt. Stattdessen | |
| spricht „Paternal Leave“ zu den Kindern dieser Männer, vielleicht ja auch | |
| zu den Männern selbst. | |
| Dem sogenannten Mutterbild gesteht der Film eine wohltuende Pause zu. Damit | |
| reiht er sich in die wachsende Zahl jüngerer Titel wie [2][„Aftersun“] oder | |
| selbst [3][„One Battle After Another“] ein, die sich für die Beziehung | |
| zwischen Vätern und Töchtern interessieren. Idealisiert wird darin nichts, | |
| aber manchmal entsteht etwas Schönes. | |
| 26 Nov 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katharina Böhm | |
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