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# taz.de -- Freedom Day am 27. November: Einsitzen wegen Fahrens ohne Fahrschei…
> Er ist ein Fall von vielen: Jens C. kann sich keine Fahrkarten leisten.
> Am Ende folgt die Freiheitsstrafe. Jetzt kauft ihn der „Freiheitsfonds“
> frei.
Bild: Kein Erbarmen in Oberbarmen? Nur mit Fahrschein: Wuppertaler Schwebebahn
Am 27. November soll Jens C. freikommen. Er sitzt in der
Justizvollzugsanstalt Siegburg eineinhalb Jahre Freiheitsstrafe ab, weil er
bei Kontrollen in öffentlichen Verkehrsmitteln keinen Fahrschein vorweisen
konnte. Normalerweise gibt es dafür eine Geldstrafe. Bei Jens C. hieß es
direkt: Knast.
Fahren ohne Fahrschein ist eine Straftat. Das „Erschleichen von Leistungen“
ist in Paragraf 265a im Strafgesetzbuch geregelt. Möglich sind Geld-, aber
auch Freiheitsstrafen. Offizielle Zahlen, wie viele Menschen wegen Paragraf
265a ins Gefängnis kommen, gibt es nicht. Nach Berechnungen von Nicole
Bögelein, Juristin am Institut für Kriminologie der Universität Köln, sind
es 8.000 bis 9.000 Betroffene. 95 Prozent davon erhalten eine Geldstrafe.
Wer die nicht zahlt, muss per Ersatzfreiheitsstrafe ins Gefängnis. Nur etwa
5 Prozent werden direkt zu Freiheitsstrafen verurteilt, das wären 400 bis
450 Menschen.
C. gehört zu diesen 5 Prozent. Er verlor seine Wohnung in Wuppertal, als er
schon einmal ins Gefängnis musste – zwar nur ein paar Monate, aber so lange
konnte er keine Miete zahlen, erzählt er der taz, als die
Justizvollzugsanstalt endlich ein Telefonat genehmigt. Ganz früher, vor 20
Jahren, habe er mal wegen Diebstahls gesessen und wegen Besitzes von
„Substanzmitteln“. Doch Straftaten begehe er schon lange keine mehr, sagt
er. Außer eben: Fahren ohne Fahrschein.
In Wuppertal musste C. regelmäßig zum Methadon-Arzt, 15 Haltestellen mit
Bus und Schwebebahn den Berg hoch, zu Fuß schaffte er das nicht. Auch wenn
er mal einen Kumpel besuchen wollte, fuhr er Bahn. „Irgendwann habe ich
gemerkt, dass es immer die gleichen Kontrolleure waren“, erzählt C. Auch
sie hätten ihn irgendwann wiedererkannt, rieten ihm, sich ein Ticket zu
kaufen, sagten, er solle nicht mehr ohne fahren. Aber was hätte er tun
sollen? Eine Arbeit hatte er nicht, lebte in einer Notunterkunft, da war es
auch mit staatlichen Transferleistungen schwierig, und für ein Monatsabo
vom Verkehrsverbund – selbst wenn er es hätte bezahlen können – braucht m…
eine Wohnadresse.
## 17-mal ohne Fahrschein kontrolliert
17-mal sei er zuletzt ohne Fahrschein kontrolliert worden, erzählt er. Für
diese 17 Fahrten musste er schließlich ins Gefängnis. Auf C.s
„Vollstreckungsblatt“ sind die Taten nicht im Einzelnen aufgeführt, aber
das jeweilige Strafmaß: 1 Jahr Freiheitsstrafe, dazu eine Geldstrafe von 70
Tagessätzen à 15 Euro, insgesamt 1.050 Euro, abzusitzen als
Ersatzfreiheitsstrafe, weil er den Betrag nicht gezahlt hat. Wie auch.
Damit ist Jens C. nicht alleine. Die meisten Menschen, die wegen Fahrens
ohne Fahrschein im Gefängnis landen, sind arm, oft obdachlos, können sich
keine Fahrkarte leisten.
C.s Ersatzfreiheitsstrafe sollte am 28. November beginnen, bis Anfang
Februar hätte er noch im Gefängnis sitzen müssen. Nun kann er am 27.
November raus. Da endet die Freiheitsstrafe, und nur die
Ersatzfreiheitsstrafe kann aufgelöst werden, indem die ausstehende
Geldforderung gezahlt wird. Die hat der Freiheitsfonds getilgt, eine NGO
aus Berlin, gegründet von Arne Semsrott, die seit 2021 nach eigenen Angaben
rund 1.500 Menschen aus Gefängnissen „befreit“ hat, die wegen Fahrens ohne
Ticket einsitzen.
Vom Freiheitsfonds hatte C. bis vor Kurzem noch nie gehört. Eine
Sozialarbeiterin machte ihn darauf aufmerksam. Sie wandte sich auch an den
Verein. Als C. dann die Information bekam, dass er tatsächlich freigekauft
wird: „Da habe ich mich natürlich gefreut“, sagt er der taz.
## Was der Fonds will
Der Freiheitsfonds will aber eigentlich etwas anderes: Die Initiative
fordert, [1][das Fahren ohne Fahrschein zu entkriminalisieren] und den ÖPNV
kostenlos nutzbar zu machen. In der Vergangenheit gab es immer wieder
Gesetzesinitiativen dazu, zuletzt [2][von der FDP]. Nach den Neuwahlen und
weil die FDP aus dem Bundestag ausschied, wird der Entwurf aber nicht
weiter diskutiert. Stattdessen haben Mitte November sowohl [3][die Linke]
als auch [4][die Grünen] eigene Entwürfe in den Bundestag eingebracht.
Beide Fraktionen wollen alle Taten, die als „Erschleichen von Leistungen“
zählen, entkriminalisieren und auch keine Ordnungswidrigkeit daraus machen.
Der Linken-Abgeordnete Luke Hoß, der den Gesetzentwurf maßgeblich
formuliert hat, sagt der taz: „Die Herabstufung als Ordnungswidrigkeit
ändert nichts an der Doppelbestrafung, denn die Menschen müssen ja schon
das Bußgeld an die Verkehrsbetriebe zahlen.“ Für Menschen, die sich schon
den 3-Euro-Fahrschein nicht leisten konnten, sei auch dieser Betrag „eine
große Bestrafung“. Nun muss sich der Ausschuss für Recht und
Verbraucherschutz mit den Gesetzentwürfen befassen.
Umsetzen müsste das Gesetz letztlich das Bundesjustizministerium. Auf
taz-Anfrage, wie Ministerin Stefanie Hubig (SPD) zur Frage der Abschaffung
des Straftatbestands steht, verweist ein Sprecher auf ein [5][Interview im
Anwaltsblatt vom 18. November]. Dort sagt Hubig: „Ich halte das für eine
berechtigte Frage und könnte mir hier eine Entkriminalisierung durchaus
vorstellen.“
„Justizministerin Hubig will die Justiz entlasten und entbürokratisieren“,
sagt Leonard Ihßen vom Freiheitsfonds der taz. „Dieses Gesetz bedeutet eine
enorme Arbeitslast für Staatsanwaltschaften, Gerichte, Polizei- und
Justizbeamt*innen.“ Hinzu komme, dass ein Hafttag den Staat etwa 200 Euro
koste – Zahlen, die das Justizministerium bestätigt. „Die Regierung ist auf
Sparkurs, hier ließen sich immerhin rund 120 Millionen Euro Steuergeld
jährlich sparen.“
Eine Entkriminalisierung geht übrigens auch ohne Gesetz: Einige Städte
verzichten bereits auf Strafanzeigen, der Freiheitsfonds listet auf seiner
Internetseite 13 auf, darunter Köln, Frankfurt am Main, Mainz und Dresden.
27 Nov 2025
## LINKS
[1] /Fahren-ohne-Ticket/!6054791
[2] https://dserver.bundestag.de/btd/20/142/2014257.pdf
[3] https://dserver.bundestag.de/btd/21/017/2101757.pdf
[4] https://dserver.bundestag.de/btd/21/027/2102722.pdf
[5] https://anwaltsblatt.anwaltverein.de/de/themen/schwerpunkt/interview-justiz…
## AUTOREN
Johanna Treblin
## TAGS
Kostenloser Nahverkehr
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