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# taz.de -- Dancehall tanzen: Bis zum kollektiven Rausch
> Es wird höchste Zeit, dass ich das Tanzen offiziell zu meinem Sport
> erkläre. Aber darf ich Dancehall? Es war jedenfalls zum Vergessen schön.
Bild: Dancehall ist ein urbaner Tanzstil und eng mit dem des Hip-Hops verbunden
Okay, ich geb’s zu. Ich war nicht ganz ehrlich, als ich meinte, [1][ich
könne mich zu keiner Sportart wirklich commiten.] Denn ein Sport begleitet
mich, seit ich denken kann: Tanzen. Ich tanze gern und oft. Eine meiner
frühesten Erinnerungen: Ich auf einer Bühne bei irgendeiner Hochzeit, die
Fäuste geballt, zwischen den Beinen der Erwachsenen tanzend. Die
zweitfrüheste: verschwitzte Nächte in fragwürdigen Clubs mit fragwürdigen
Typen in weißen Sneakern, während Sean Paul und Seeed aus den Boxen
dröhnten. Später dann Raven bis in den Morgen, drei Tage am Stück,
schmerzende Beine inklusive.
Es wird also höchste Zeit, dass ich das Tanzen offiziell zu meinem Sport
erkläre – und zwar mit einer Tanzstunde. Aber nicht irgendeine. Ich will
Dancehall tanzen. Über den Stil weiß ich vor meiner ersten Stunde wenig.
Nur, [2][dass er aus Jamaika kommt,] viel mit Hüfte zu tun hat – und dass
ich ihn eigentlich längst gehört habe. Beim Reinhören erkenne ich etliche
Songs: Auch Sean Paul und Seeed machen Dancehall, sogar Justin Biebers
„Sorry“ hat einen Dancehall Beat.
Im Berliner Tanzstudio sind etwa dreißig Leute, vorne eine Spiegelwand. Ich
bin nervös. Nicht nur, weil ich schlecht im Merken von Choreos bin, sondern
weil ich mich frage: Dürfte ich hier überhaupt sein? Dancehall ist kein
beliebiger Tanzstil, sondern Teil einer Schwarzen, karibischen Kultur. Eine
Kunstform, entstanden in den Communitys Jamaikas – mit politischem,
körperlichem und sozialem Ausdruck. Und ich, weiße Mitteleuropäerin, bewege
mich hier einfach so.
Ich will nichts aneignen, sondern lernen. Aber genau das sagen ja viele
Weiße, die sich dann mit Dreadlocks auf Festivals fotografieren, und wenn
sie keine Lust mehr auf Hippie-Kultur haben, die Haare einfach abschneiden.
Gleichzeitig ist das doch auch das Schöne am Tanzen: dass Menschen mit
unterschiedlichen Geschichten, Herkünften und Körpern in einem Raum stehen
und sich gemeinsam bewegen – und diese Unterschiede für einen Moment
vielleicht egaler werden. Aber auch da hab ich gut reden.
## Den Tanz feiern
Viel Zeit zum Nachdenken bleibt nicht, denn es geht direkt los mit „Miss
Fatty“ von Million Stylez. Ich bin beruhigt. Kenne ich, hab ich schon dazu
getanzt. Kann ja nicht so schwer sein. Spoiler: Doch, kann es. Die Lehrerin
zeigt die Bewegungen: Arme auf Brust und Oberschenkel tappen, Beine öffnen,
schließen, Hüfte kreisen. Ich sehe mich im Spiegel und finde, ich sehe
dabei sehr ungelenk und sehr kartoffelig aus.
Nebenbei erklärt sie, woher die Schritte kommen, ob sie „old school“ oder
„new school“ sind. Sie sagt, man soll den Tanz feiern, Freude haben, aber
sich auch mit dem Kontext beschäftigen – mit der Geschichte und den
Lebensrealitäten, aus denen Dancehall kommt. Armut zum Beispiel.
Es ist ungewohnt bis unangenehm, mich im Spiegel tanzen zu sehen. Das
überlasse ich lieber den anderen, bei denen es so nice aussieht, dass es
schon Spaß macht, zuzuschauen. Mein Lieblingsmove heißt, glaube ich,
„vibing“ – die Hände bewegen sich in wellenartigen Bewegungen um den
Körper, natürlich immer mit Hüfte. Am Ende teilt die Lehrerin uns in zwei
Gruppen. Wir tanzen das Gelernte, und dann ist da das Gefühl, dass ich vom
Tanzen kenne: kollektiver Rausch, Energie, Verbindung. Für einen Moment
denke ich nicht darüber nach, wer ich bin oder woher ich komme oder dass
ich [3][mit dieser Kolumne] schon wieder extrem spät dran bin.
Ob es in Ordnung ist, dass ich hier tanze, weiß ich nicht. Vielleicht ist
es auch okay, die moralische Checkliste zu Hause zu lassen, zuzuhören und
zu lernen. Ich bin jedenfalls dankbar, hier gewesen zu sein.
P.S.: Diese Kolumne wurde zu einem Dancehall-Remix geschrieben.
18 Nov 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Ann-Kathrin Leclere
## TAGS
Kolumne Sportsfroindin
Tanzen
Jamaika
Zeitgenössischer Tanz
Großbritannien
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