Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Palmito brutal
> Spargeltarzan, brasilianischer Mythos, Häftling – Auf- und Abstieg eines
> rechten Menschenhassers namens Jair Messias Bolsonaro.
Bild: Endlich verknackt zu über 27 Jahren: der Messias von Brasilien. Freude
In Eldorado gibt es reichlich faule Zähne zum Ausreißen, Geld gibt es
nicht. Geraldo Bolsonaro, der kein Diplom aber sechs Kinder zu ernähren
hat, nimmt auch Hühner oder Schweine in Zahlung. Er ist der einzige
Zahnarzt in dem ehemaligen brasilianischen Goldgräberstädtchen, wo die
Bolsonaros zum Fußvolk gehören. Reich ist nur der dortige
Großgrundbesitzer.
Jair Messias, der dritte Sohn mit dem prophetischen Zweitnamen, entwickelt
bereits hier Neid und Hass auf die Besitzenden und den wilden Wunsch, es
finanziell weiter zu bringen. „Moral- und Sozialbildung“, wie sie Diktator
Emílio Médici in der Blüte der über 20 Jahre dauernden Militärdiktatur auf
dem Papier vorschreibt, interessieren ihn die Bohne. Schüsse und
Menschenblut hingegen schon.
Jair ist 15, als er 1970 auf dem Dorfplatz einen dreifachen Mord beobachten
darf. Tags darauf marschieren Männer in Eldorado ein, bei deren Anblick
sein Herz schneller schlägt: Muskulöse Uniformierte, an deren Hüften gar
herrliche Waffen baumeln. Sie suchen den linken Staatsfeind und Mörder.
Klar erkennt Jair Messias seine Mission. Militär muss er werden, Herrscher
über Leben und Tod. Er weicht den Fremden nicht von der Seite. Durchkämmt
den Busch mit ihnen, lernt ihre Zoten auswendig, imitiert ihren Gang und
ihre Art zu fluchen. Ist er selbst schon ein Held? Oder kurz davor?
Verflucht egal.
Jair meldet sich bei der Militärakademie an. Die wichtigsten Motti hat er
bis dahin bei den „Männern“ gelernt: „Frauen sind zum Ficken da, Männer
müssen große Schwänze haben, und Schwulsein ist das Allerschlimmste.“ Oder
wie es der katholische Papa Geraldo ausdrückt: „Lieber Nutten als Töchter,
als einen schwulen Sohn.“ Der Messias lässt niemanden das winzige Ding in
seiner Hose sehen. Die anderen nennen ihn trotzdem „Palmito“, zu deutsch
„Palmherz“ – und auf brasilianisch ein Spargeltarzan, der bei Mädchen nie
zur Sache kommt.
## Traumhafte Parallelwelt
Jair ist blass, lang und dünn. Die anderen bringen ihre Erektionen
gelegentlich in ein Schaf oder eine Eselin. Ihm gelingt es nicht einmal,
sich ein Huhn zu greifen. So erschafft sich Palmito, der spätere Chef
Brasiliens, seine erste traumhafte Parallelwelt. Mit einem gefühlt riesigen
Schwanz in Dauererektion. Mit Reichtum, Macht und Ruhm. Vielleicht gar
Präsident werden, warum nicht.
Das Leben in der Kaserne ist ein Rausch aus Schweiß, Disziplin und
Fäkalsprache. Heimlich brüllt der magere Rekrut stundenlang Befehle. Seine
Muskeln mögen nicht wachsen, aber Gott will ihn als Leitfigur, keine Frage!
Beherzt schreibt der Auserwählte einen scharfen Artikel für das
Nachrichtenmagazin Veja: Mehr Sold muss her. Stattdessen stecken seine
Vorgesetzten ihn in den Knast. Der nächste Streich soll mit Bomben im
Kasernenklo aber richtig knallen.
Doch dazu kommt es nicht, man lässt den 34-Jährigen fallen. Angst vor der
Zelle und die Stimmen von Macho-Wählern und Milizen tragen ihn 1989 in die
Abgeordnetenkammer Brasílias. Jahrzehntelang trabt er Selfies schießend
durch die Regierungsgebäude. Was er dort am besten kann, ist den
Frauenfeinden und Gewaltverherrlichern aus der Seele zu sprechen: „Du bist
sogar zu hässlich zum Vergewaltigen!“, krakeelt er schon mal. Jair Messias
Bolsonaro findet Folter super und wünscht sich vier Jahre nach deren Ende
die Militärdiktatur zurück.
Offen fordert er, dass viel mehr Menschen abgeknallt gehören. Jedem eine
Knarre in die Hand, den Kongress schließen und Diktator werden? Einem Teil
der Brasilianer scheint die Idee zu gefallen. Die anderen, Intellektuelle,
Künstlerinnen und Künstler, Schwarze, LGBTQIA + und Linke, versuchen 2018,
seinen Aufstieg zu verhindern.
Doch rechtzeitig vor der damaligen Präsidentschaftswahl sticht ihm ein
geistig Verwirrter eine Wunde in die Herzgegend: So kann er den lästigen
TV-Debatten mit dem intellektuell krass überlegenen Fernando Haddad im
Krankenbett entgehen. Als Märtyrer geadelt, bekommt Jair Messias glatt 55
Prozent der Stimmen. Der Träumer aus Eldorado, er hat es an die Spitze
Brasiliens geschafft. Bolsonaro verspricht seinen Wählern ein neues
Brasilien und das bekommen sie.
Jeder darf seinen Schweinehund von der Kette lassen, Rassismus ist
salonfähig, Schwule klatschen und Frauen verhauen wird nicht verfolgt. Unis
sind Kommunistenschwemmen, Wälder zum Verramschen da und Umweltschutz ist
überflüssig. Da das sonst niemand tut, erklärt sich der Mann einfach selbst
zum Helden. Er ist der Messias, dessen Erektion nie nachlässt, der nie
sterben wird, den niemand fressen kann. Dass sein Spitzname „Mito“ von
„Palmito“ kommt, wird verdrängt von einer neuen Lesart: „Mito“ wie
„Mythos“.
Bolsonaros extreme Positionen spalten die brasilianische Gesellschaft,
Familien zerreißt es. Die einen verehren ihn, die anderen fürchten um die
Demokratie. Der Held berauscht sich an der Popularität, plustert sich auf
wie ein Gockel und mehr. Doch dann kommt die Wahl 2022, in der Lula da
Silva, der „weißhaarige Kommunist“, gewinnt. Der unterlegene „Mythos“ …
wie ein verletztes Tier, zieht sich in eine vermeintliche Depression
zurück, schlägt dann aus dem Hinterhalt zu. Manipulierte Massen stürmen den
Regierungspalast, aus dem der Rechtsaußen raus muss. Verwüsten, was zu
verwüsten ist.
## Die Armee will die Macht nicht
Hätte das Militär damals gespurt, der Gockel wäre wieder König geworden.
Doch das Land ist zu abgewrackt, zu viele Leute sind an Corona gestorben,
manchen sind sogar die Zoten des Messias allmählich zu viel. Die Armee will
die Macht nicht. Und dann wird Bolsonaro zum Angeklagten – vor dem
Internationalen Strafgerichtshof und im eigenen Land.
Oberster Bundesrichter Alexandre de Moraes macht ihm alles kaputt. Zuerst
erklärt der Glatzkopf ihn für unwählbar. Dann sperrt er ihn in Hausarrest.
Und zum Schluss legt er Bolsonaro sogar die elektronische Fußfessel an, als
sei der ein Bandit. Jair Messias muss tagelang nur in das fromme Gesicht
seiner Ehefrau sehen, will unbedingt raus. Stundenlang malträtiert er seine
Fußfessel mit einem Lötkolben. Sein Atem geht schwer, als ein Klingeln
seine Euphorie stört. Die Polizei ist da.
„Neugierig“, stammelt Brasiliens ehemaliger Staatschef, „ich war nur
neugierig“. Keiner kommt ihm zu Hilfe. Keiner erkennt in ihm mehr den
Auserwählten. Da gesteht er mal eben alles. Den Lötkolben. Die Panik.
Paranoia. Halluzinationen. Sie führen ihn trotzdem ab. Vom
Spargeltarzanmythos ist nur ein Haufen Elend geblieben. Und für Brasilien?
Gibt es endlich wieder Hoffnung.
1 Dec 2025
## AUTOREN
Christine Wollowski
## TAGS
Satire
Brasilien
Jair Bolsonaro
Rechtsextremismus
Hass
Frauenfeindlichkeit
Schwulenbewegung
Lesestück Recherche und Reportage
Jair Bolsonaro
wochentaz
## ARTIKEL ZUM THEMA
Unterwegs auf dem Amazonas: Die Lebensader
Unterwegs auf einem turbulenten Transportschiff im brasilianischen
Amazonasgebiet – Richtung Belém, wo bald die COP30, die Weltklimakonferenz,
beginnt.
Bolsonaro zu 27 Jahren Haft verurteilt: Ein neues Brasilien ist möglich
Brasilien symbolisierte das Erstarken des Rechtsextremismus. Nun könnte es
für etwas anderes stehen: den richtigen Umgang mit autoriären Sehnsüchten.
27 Jahre Haft nach Putschversuch: Der Messias soll in den Knast
Jair Bolsonaro wurde für einen versuchten Staatsstreich verurteilt. Als
erster Ex-Präsident Brasiliens. Was heißt das für seine autoritäre
Bewegung?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.