| # taz.de -- Berichterstattung über Anti-AfD-Proteste: Freiheit verpflichtet | |
| > Wie steht es um die Pressefreiheit? Selbstkritische Fragen täten nach den | |
| > Ereignissen bei den Protesten gegen die AfD-Jugend allen Beteiligten gut. | |
| Bild: AfD gehört blockiert – aber Journalismus? Straßenblockade am 29. 11. … | |
| Wirft einer der reichweitenstärksten Journalist*innen selbstkritische | |
| Fragen auf zur Verantwortung der Medien für die aufgeheizte Stimmung in der | |
| Gesellschaft, ist das ein gutes Zeichen. | |
| Noch besser, wenn er auch den Vize-Chefredakteur eines der | |
| reichweitenstärksten und polarisierendsten Medien des Landes danach | |
| befragt, Paul Ronzheimer von der Bild. Bitter jedoch, wenn selbstkritische | |
| Antworten darauf ausbleiben oder reichlich dünn ausfallen. | |
| So passiert [1][in der Markus-Lanz-Talkshow] am Dienstag. Ein Schwerpunkt: | |
| die Proteste gegen die Gründung der AfD-Jugendorganisation „Generation | |
| Deutschland“ am vergangenen Wochenende in Gießen. Genauer, ein Vorfall, der | |
| sich dort ereignete: Als Ronzheimer mit einem Kamerateam für die | |
| Sat1-Sendung „Ronzheimer – Wie geht’s, Deutschland?“ dabei war, während | |
| einer der vielen Demonstrationen gegen den Kongress der Rechtsextremisten | |
| Interviews zu führen, sei er von einigen Menschen erkannt und bepöbelt | |
| worden, erzählt er. Nach einer Durchsage von einem Lautsprecherwagen aus | |
| [2][sei die Sache besonders ungemütlich geworden.] | |
| Eine Person verkündete, dass es Ronzheimer sei, der vor Ort gerade um | |
| Interviews bitte. Und dass die Demonstrierenden es sich überlegen könnten, | |
| ob sie mit ihm sprechen wollten. Dann fügte die Person hinzu, die | |
| Bild-Zeitung habe bei der Demo nichts zu suchen, weil sie „im Interesse der | |
| großen Konzerne den Boden bereitet für eine Koalition von CDU und AfD“. | |
| ## Worüber man hätte reden können | |
| Immer mehr Leute hätten dann gerufen „Haut ab“, „Nazis raus“, „Es gi… | |
| Recht auf Nazi-Propaganda“, so Ronzheimer. Ein Reden mit den Menschen sei | |
| nicht mehr möglich gewesen. Als das Team die Dreharbeiten habe abbrechen | |
| wollen, seien ihnen viele gefolgt. Die Polizei habe das Team schließlich | |
| auf das Gelände der Stadtwerke eskortiert und für eine Stunde isoliert. | |
| Bei Lanz werden Videos eingespielt, die Teile des Vorfalls belegen. Nach | |
| Minuten im Dialog dazu mit Ronzheimer fragt Lanz die „The | |
| Pioneer“-Journalistin Karina Mößbauer, „ob wir [die Medien] in irgendeiner | |
| Form möglicherweise Fehler gemacht haben, Dinge falsch gemacht haben, in | |
| den letzten zehn Jahren, im Umgang miteinander?“ | |
| Davon ausgehend hätte man über vieles reden können. Über toxische Praktiken | |
| wie „rage bait“, die nicht wenige Medienhäuser anwenden, um in Zeiten | |
| sozialer Medien auf einem immer umkämpfteren Markt zu überleben – also | |
| Inhalte publizieren, die gezielt Wut oder Empörung auslösen. Oder über die | |
| aktive Rolle gerade auch der Bild-Zeitung darin, die gesellschaftliche | |
| Spaltung voranzutreiben und Positionen rechtsextremer Kräfte wie der AfD | |
| salonfähig zu machen. | |
| Nach einem Wochenende, [3][an dem die Partei mit der Generation | |
| Deutschland ihre Jugendarbeit neu formieren konnte] und damit ein | |
| handfestes Scharnier zu verfassungsfeindlichen rechtsextremen | |
| Vorfeldorganisationen schuf, wäre das durchaus angemessen gewesen. | |
| ## Guten, aufrichtigen Journalismus braucht es | |
| Eine wirkliche Antwort auf Lanz’ Frage bleibt aber zunächst aus, von | |
| Mößbauer wie von Ronzheimer. Als Lanz nachhakt, sich noch einmal kritisch | |
| auf die Aktionen gegen Ronzheimer bezieht und fragt, was die Medien dafür | |
| tun können, dass man wieder versöhnlicher miteinander ins Gespräch kommen | |
| kann, sagt dieser: „Ich glaube, wir müssen vor allem erst mal Journalismus | |
| machen. Das, was wir heute machen. Wir sprechen darüber, was auf der | |
| linksradikalen Seite passiert ist, so wie wenn es auf der rechtsradikalen | |
| Seite passiert.“ | |
| Und obwohl die Antwort einen wahren Kern hat – dass es guten, aufrichtigen | |
| Journalismus ganz gewiss braucht, um aus der Polarisierung der Gesellschaft | |
| wieder hinauszufinden –, bleibt sie dürftig, oberflächlich. Haftet wie ein | |
| Stück Stahlblech an einem riesigen Magneten namens Hufeisentheorie, an dem | |
| seit Jahren so viele womöglich gut gemeinte Debatten kleben bleiben. | |
| Dabei steckt in dem Vorfall um Ronzheimer eigentlich viel mehr. Die Frage | |
| nämlich, was die Pressefreiheit delegitimiert, gerade in Zeiten immer | |
| weiter erstarkender antidemokratischer Kräfte. Und auch die um | |
| journalistischen Sorgfaltspflichten. Das wird deutlich, spricht man auch | |
| mit den „Widersetzen“-Leuten, die im Lanz-Beitrag bemerkenswerterweise | |
| nicht zu Wort kommen. | |
| Laura Wolf, eine Sprecherin des Bündnisses, hatte das Vorgehen der | |
| Demonstrant*innen gegen Ronzheimer verteidigt. „‚Widersetzen‘ steht | |
| gegen rechte Hetze“, sagte sie der taz. Deshalb seien Ronzheimer und andere | |
| Bild-Leute unerwünscht gewesen. Eine Grundlage für eine journalistische | |
| Zusammenarbeit bestehe aus ihrer Sicht nicht, weil das Blatt regelmäßig vom | |
| Presserat wegen Verstößen gegen den Pressekodex gerügt werde. | |
| ## „Fair, nach bestem Wissen und Gewissen“ berichten | |
| Tatsächlich sprach der Presserat [4][allein in diesem Jahr bislang fast 30 | |
| Rügen gegen die Bild] aus. Mehrere wegen Verstößen gegen die Grundsätze der | |
| Wahrhaftigkeit oder der Sorgfalt in der Berichterstattung. | |
| Die Pressefreiheit ist in Artikel 5 des Grundgesetzes geregelt. Laut der | |
| Bundeszentrale für politische Bildung [5][dürfen die Medien über alles und | |
| wie sie wollen, berichten.] Mit einer Einschränkung: Sie dürfen keine | |
| falschen Tatsachen behaupten. | |
| Der Pressekodex definiert darauf aufbauend eine Berufsethik unter | |
| Journalist*innen. Diese müssten sich ihrer „Verantwortung gegenüber der | |
| Öffentlichkeit und ihrer Verpflichtung für das Ansehen der Presse bewusst | |
| sein“, heißt es in der Präambel. Das bedeute, „fair, nach bestem Wissen u… | |
| Gewissen, unbeeinflusst von persönlichen Interessen und sachfremden | |
| Beweggründen“ zu berichten. | |
| Rechtlich bindend ist der Pressekodex nicht, die gesetzlich verbriefte | |
| Pressefreiheit hingegen weit gefasst. Hendrik Zörner, ein Sprecher des | |
| Deutschen Journalisten-Verbands, bringt es auf den Punkt: „Jeder, der als | |
| Presse erkennbar ist, muss frei recherchieren können.“ | |
| Und doch ist es wie mit jedem Gesetz: Halten Menschen es für illegitim, | |
| kann es sein, dass sie sich dagegen auflehnen. Das kann man skandalisieren | |
| – muss man manchmal sogar. Aber man sollte sich auch fragen, was man selbst | |
| tun kann, um die Legitimität wieder herzustellen – für sich und alle | |
| anderen: Wem die Pressefreiheit am Herzen liegt, der sollte sich an den | |
| Pressekodex halten. | |
| 6 Dec 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.zdf.de/video/talk/markus-lanz-114/markus-lanz-vom-2-dezember-20… | |
| [2] /Eklat-bei-Protesten-in-Giessen/!6135070 | |
| [3] /Polizeieinsatz-in-Giessen/!6134956 | |
| [4] https://www.presserat.de/ruegen-presse-uebersicht.html | |
| [5] https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/lexikon-in-einfacher-sprache/250000/pr… | |
| ## AUTOREN | |
| Tobias Bachmann | |
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