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# taz.de -- Grüne und Linkspartei: Bis zur Selbstaufgabe
> Die Grünen werden für ihre Mittigkeit abgestraft, die Linke profitiert
> davon. Den Schuss scheinen die Grünen bis heute nicht gehört zu haben.
Bild: Ein Herz für (die) Mitte, alternativ sein ist die Vergangenheit: die Ber…
Der Verlust war ein Schock. Ausgerechnet in ihrer Hochburg, dem
symbolträchtigen Wahlbezirk Kreuzberg-Friedrichshain – Prenzlauer Berg Ost,
holten die Grünen bei der Bundestagswahl 2025 zum ersten Mal seit über 20
Jahren kein Direktmandat. Berlins Grünen-Chef Philmon Ghirmai sprach von
einem „herben Schlag“, und Jürgen Trittin sah sogar das „Ende von
Kreuzberg“ heraufdämmern, [1][weil der Linke-Kandidat Pascal Meiser dort am
Ende bei den Erststimmen vorne lag]. Zugleich gewannen die Grünen in der
Hauptstadt aber erstmals drei Direktmandate in anderen, bürgerlichen
Stadtteilen. Man kann das als Zeichen sehen: Die Grünen sind in die
besserverdienende Mitte gerückt. Dafür haben sie Teile ihrer ehemaligen
Stammmilieus verloren.
Kreuzberg war lange Zeit fest [2][mit dem Namen Hans-Christian Ströbele
verbunden]. Ströbele war gegen Aufrüstung, Waffenexporte und
Bundeswehreinsätze im Ausland, für eine Vermögensteuer, für die Trennung
von Amt und Mandat und dafür, den Verfassungsschutz abzuschaffen. Von
solchen Zielen haben sich die Grünen längst entfernt. Sie regieren dagegen
in mehreren Bundesländern inzwischen relativ geräuschlos mit der CDU
zusammen.
Auch ihre Verbindung zur Jugend haben die Grünen verloren. Nicht nur trat
der komplette Vorstand ihrer Jugendorganisation im Herbst 2024 geschlossen
zurück und aus der Partei aus – zwei ehemalige Vorsitzende riefen später
sogar zur Wahl der Linken auf. Und waren Grüne und FDP 2021 unter
Erstwählerinnen und Erstwählern noch am beliebtesten, so war die Linke
knapp vier Jahre später unter jungen Leuten mit Abstand am erfolgreichsten.
Vor allem junge Frauen gaben ihr ihre Stimme.
Die Linke hat von der Enttäuschung über die Ampelparteien profitiert. Dass
die Grünen unter Robert Habeck so stark in die Mitte gerückt sind, in der
Ampelkoalition so viele Abstriche machten und sich trotz alldem noch zu
einer Koalition mit Friedrich Merz bereit zeigten, hatte Folgen. Schon 2022
stimmten die Grünen im Bundestag einem umstrittenen
100-Milliarden-„Sondervermögen“ für die Bundeswehr zu.
Dann wurde in Nordrhein-Westfalen der Weiler Lützerath von der Polizei
geräumt, um den umstrittenen Braunkohleabbau in der Region auszuweiten. Er
wurde zu einem Symbol für den Kampf gegen den Klimawandel und für den
vermeintlichen Verrat der Grünen, die den Kompromiss mit dem Energiekonzern
RWE als Teil der Landesregierung mit ausgehandelt hatten.
Im Sommer 2023 stimmten die Grünen dann den Asylrechtsverschärfungen der
Europäischen Union zu – natürlich, wie immer, mit „Bauchschmerzen“. Die
Haltung der Grünen und ihrer Außenministerin Annalena Baerbock zu Israels
Krieg in Gaza trug zur weiteren Enttäuschung bei: Sie dürfte der Grund
dafür sein, dass die Linke auch bei muslimischen Wählerinnen und Wählern
mit 29 Prozent einen Spitzenwert erzielte. Hätten sich die Grünen weniger
staatstragend gegeben und nicht bis zuletzt auf eine mögliche Koalition mit
Merz spekuliert, wären sie womöglich weiter als Gegenpol zu Union und AfD
empfunden worden.
Dass Robert Habeck [3][kurz vor der Wahl auch noch einen Zehn-Punkte-Plan
für einen härteren Kurs in der Migrationspolitik] präsentierte, war ein
strategischer Fehler. Die Grünen gaben sich selbst bei ihren Kernthemen
Klima und Migration fast bis zur Selbstaufgabe kompromissbereit. Damit
fielen sie als Hoffnungsträger aus und wurden selbst als Teil des
allgemeinen Rechtsrucks empfunden.
In der Schlussphase des Wahlkampfs appellierten Habeck und Baerbock sogar
an junge Wählerinnen und Wähler, doch lieber für eine Partei zu stimmen,
die bereit sei, Verantwortung zu übernehmen, als für eine andere – gemeint
war offensichtlich die Linke. Das ging nach hinten los. Heidi Reichinnek
dagegen empfahl sich mit ihrer Brandrede im Bundestag und auf Tiktok als
Identifikationsfigur für wütende junge Frauen, während Jan van Aken mit
freundlicher Ruppigkeit daran erinnerte, wie rebellisch die Grünen in ihrer
Anfangszeit auch einmal waren. Er wirkte ein wenig wie Joschka Fischer in
jung – oder Robert Habeck in unangepasst und frech.
## Linke gesamtdeutsch, Grüne westdeutsch
Die Linke ist seit 2025 eine neue Partei geworden, die Zahl ihrer
Mitglieder hat sich mehr als verdoppelt. Sie ist jünger, weiblicher und
endlich gesamtdeutsch, während die Grünen eine überwiegend westdeutsche
Partei geblieben sind. Der Erfolg stellt die Linke aber auch vor ein
Dilemma. Denn einerseits verdankt sie ihn vor allem jungen, progressiven
Milieus in den Großstädten. Andererseits möchte sie Leute zurückholen, die
sie an das BSW und an die AfD verloren hat. Will sie die Wählerinnen und
Wähler halten, die von den Grünen und der SPD zu ihr gewechselt sind, darf
sie bei Klimaschutz, Einwanderung und gesellschaftlicher Vielfalt keine
Kompromisse machen.
Will sie Leute vom BSW zurückgewinnen, muss sie sich aber auch beim Thema
Aufrüstung und Waffenlieferungen treu bleiben. Das wird nicht leicht. Vor
allem aber muss die Linke aufpassen, bei Reizthemen wie ihrer Haltung zu
Israel nicht wieder in alte Grabenkämpfe zurückzufallen. Denn der Zank in
außenpolitischen Fragen hat viele potenzielle Wählerinnen und Wähler schon
immer am meisten abgeschreckt.
Was die Linke beruhigen kann: Die Grünen machen auch ohne Annalena Baerbock
und Robert Habeck keine großen Anstalten, wieder stärker nach links zu
rücken. Zwar will Felix Banaszak sie zur „führenden Partei der linken
Mitte“ machen und etwas sozialer aufstellen, wie er sagt. Aber
Partei-Rechte wie Cem Özdemir warnen zugleich vor einem „Linksruck“, und
zum mutmaßlichen Genozid in Gaza haben die Grünen bis heute keine
angemessenen Worte gefunden. Da kann sich die Linke zurücklehnen: Von
diesen Grünen droht ihnen keine Gefahr. Kreuzberg und ähnliche ehemalige
Grünen-Hochburgen dürften ihnen auch in Zukunft weiter sicher sein.
14 Nov 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Daniel Bax
## TAGS
Reden wir darüber
Bündnis 90/Die Grünen
Die Linke
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Grüne Berlin
Grüne Berlin
Schwerpunkt Klimawandel
Schwerpunkt Landtagswahl in Baden-Württemberg
Annalena Baerbock
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