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# taz.de -- Männer und Einsamkeit in der Großstadt: Einer von Millionen
> Männliche Einsamkeit: Der Soziologe Janosch Schobin und der Autor Anton
> Weil geben Einblick in die Ursachen und persönliche
> Bewältigungsstrategien.
Bild: Einsam in Berlin? Berlin bietet eine Vielfalt an Menschen wie an Orten, a…
Berlin, Montagmorgen. Menschen drängen sich in die U-Bahn-Linie 8. Einige
klammern sich an ihre Kaffeebecher, andere starren auf ihr Handy und
scrollen durch News oder Social-Media-Feeds, die Gesichter sind müde,
niemand spricht …
„Man muss in Berlin nur U-Bahn fahren, und wenn man halbwegs sensibel ist,
dann ist man eigentlich schon fertig für den Tag“, sagt der Autor und
Schauspieler Anton Weil, der selbst in der Hauptstadt lebt und im Zuge des
[1][Internationalen Literaturfestivals Berlin] zu einem Panel über
„Männliche Einsamkeit“ eingeladen war. Menschen leben in der Millionenstadt
dicht an dicht, und doch fühlen sich viele isoliert. „Du bekommst viel mit
von prekärer Armut, Stress, Drogen, Wut. Damit eben auch: Ey, denen geht es
so viel schlechter als mir, wer bin ich denn, mich zu beschweren?“
Die Forschung definiert Einsamkeit als Lücke zwischen dem Bedürfnis nach
Nähe und der Qualität der Beziehungen. Man muss also nicht allein sein, um
sich einsam zu fühlen. Der Soziologe Janosch Schobin, Autor von „Zeiten der
Einsamkeit“ und ebenfalls Teilnehmer des Panels, erklärt: „Einsamkeit tritt
in unterschiedlichen Schattierungen auf. Sie kann plötzlich einschlagen,
als dumpfes Dauerrauschen bleiben oder episodisch auftreten.“ In jedem Fall
erfüllt sie eine wichtige Funktion. „Einsamkeit ist wie Hunger oder Schmerz
ein Signal deines Körpers, dass dir etwas fehlt.“
Das Kompetenznetz Einsamkeit (KNE) hat mit dem [2][„Einsamkeitsbarometer
2024“] die Belastung innerhalb der deutschen Bevölkerung gemessen. Frauen
waren häufiger betroffen als Männer, beide Gruppen erlebten während der
Pandemie einen starken Anstieg. Besonders gefährdet sind Alleinerziehende,
Arbeitslose, Geringqualifizierte, chronisch Kranke sowie Menschen mit
Migrations- oder Fluchterfahrung. Stadt-Land-Unterschiede lassen sich
hingegen kaum feststellen. Doch wichtiger als die Frage nach Quoten ist,
wie Menschen ihre Einsamkeit erleben. Welche Rolle spielen männliche und
weibliche Sozialisierung? Welche Unterschiede gibt es zwischen Brandenburgs
Dörfern und Berlin?
## Die Einsamkeit benennen
Genau hier setzt Anton Weil mit seinem Roman „Super einsam“ an. Er erzählt
von seinem Helden Vito, der erst begreifen muss, dass er einsam ist, und
von einem Roadtrip, der nie wirklich beginnt, weil die eigentliche Reise
eine im Inneren des Protagonisten ist.
Der Autor selbst hat eine solche Reise hinter sich. Seine Mutter starb, als
er 17 Jahre alt war. Zehn Jahre vergingen, bis er erkannte, dass er eine
Therapie braucht. Für ihn war entscheidend zu realisieren, dass er in einer
Stadt voller Möglichkeiten lebt – aber nicht mal aus dem Bett kommt. „Der
Turbokapitalismus kickt in Berlin noch mehr, weil du dich mehr vergleichen
kannst und das Gefühl bekommst, wenn du nicht mithältst, dann bist du
raus.“
Dass Anton Weil es mittlerweile geschafft hat, die Einsamkeit zu benennen,
bedeute nicht, dass er sie überwunden habe. „Ich führe jetzt nicht einen
Haufen dieser Freundschaften, wie ich sie gerne hätte. Oder habe im
Privaten den Zugang zu meinen Emotionen, wie ich es gerne hätte. Das ist
nicht gelöst, nur weil man es erkannt hat.“
Der Schritt, sich Unterstützung zu suchen, war dennoch entscheidend. Dass
Weil mit einem Vater aufgewachsen ist, der selbst Psychologe ist und eigene
Verletzlichkeit zeigt, half ihm. „Er hat mir eine Kollegin vermittelt, die
mir Fragen stellte: Welche Therapieform gibt es? Willst du eher mit einem
Mann oder einer Frau sprechen? Das war total schön, da so an die Hand
genommen zu werden.“
Doch nicht jeder hat solche Ressourcen. Hier wird sichtbar, dass Einsamkeit
auch ökonomische Dimensionen hat. Männer aus ärmeren Verhältnissen haben
häufig einen erschwerten Zugang zu Bildung. Sie sind besonders gefährdet
von Einsamkeit, weil Arbeit nicht nur Geld bedeutet, sondern auch
Anerkennung und die Möglichkeit, am sozialen Leben teilzuhaben.
## „Einsamkeit ist ein unangenehmes Gefühl“
Einsame, arme Männer ziehen sich häufiger zurück, greifen eher zu Alkohol
oder Drogen. „Einsamkeit ist ein unangenehmes Gefühl. Eine einfache
Kompensationsstrategie ist, Gefühle abzudämpfen“, sagt Soziologe Schobin.
Oft fehlt eben nicht nur der Zugang zu Arbeit oder Bildung, sondern auch
der zu den eigenen Gefühlen.
Und Rollenbilder werden zum Brandbeschleuniger der Einsamkeit: Sie lehren
Männer, Stärke zu zeigen, wo Verletzlichkeit gefragt wäre. Männer fürchten,
als bedürftig zu gelten und diese Sorge ist nicht unbegründet. Sich von
ansozialisierten Rollenmustern zu lösen, ist ein langer Prozess – auch für
Frauen. „In feministischen Kreisen wurden Männer, die sich verändern
wollten, oft als narzisstisch und bedürftig bezeichnet“, schreibt [3][bell
hooks] (wir übernehmen ihre Eigenschreibweise – Anm. d. Red.) in „Männer,
Männlichkeit und Liebe“: „Einzelne Männer, die ihren Gefühlen Ausdruck
verliehen, wurden als Aufmerksamkeitshascher angesehen.“
Dass diese Haltung weit verbreitet ist, bildet sich auch in
Social-Media-Trends ab, in denen männliche Emotionen verspottet werden.
Memes über den „Performative Male“ gehen viral, wollen den gespielten
Feministen mit bunten Nägeln, Buch und Matcha Latte enttarnen. Dieser Trend
ist eine vielleicht sogar gesunde Abwehr gegen die toxischen Inhalte, die
Influencer à la [4][Andrew Tate] verbreiten. Immer noch üben Männer
strukturell Macht aus, einige stellen den Feminismus als Feindbild dar und
natürlich gibt es Männer, die Gefühle inszenieren. Doch wenn Verwundbarkeit
grundsätzlich unter Verdacht steht, gespielt zu sein, schreckt das nicht
auch die Männer ab, die es ehrlich meinen?
Wie oft hört man den Satz, dass Männer und Frauen nicht befreundet sein
können? Aber das stimmt nicht. Im Gegenteil. „Gerade ab der Pubertät haben
Männerfreundschaften viel mit Dominanz und Konkurrenz zu tun, da hat mir
oft was gefehlt“, sagt Anton Weil. „Und ich habe gemerkt, es sind eher
Frauen, die sich melden, auch wenn man selbst es nicht tut.“
## Diversität bei der Suche nach Freund- und Partnerschaften
Janosch Schobin rät dazu, Beziehungen, die nicht auf Augenhöhe stattfinden,
zu beenden, um Raum für gesunde Beziehungen zu schaffen: „Den vor
Einsamkeit schützenden Effekt von Beziehungen kriegt man nur in relativ
gleichberechtigten Partnerschaften.“ Außerdem ist es hilfreich, Diversität
bei der Suche nach Freund- und Partnerschaften zuzulassen.
Dabei bezieht er nicht nur auf das Geschlecht: „Wenn man sich anschaut, wie
wir via App nach Freund*innen suchen, fällt auf, dass wir die Altersrange
extrem schmal wählen. Wir scheinen Leute zu suchen, die uns ähnlich sind,
und Algorithmen verstärken das.“ Doch gerade Vielfalt eröffnet
Möglichkeiten, überrascht zu werden.
Und Berlin bietet diese Vielfalt an Menschen wie an Orten, an denen man
sich begegnen kann. Überall in der Stadt gibt es Initiativen, die darauf
ausgerichtet sind, Menschen in Einsamkeit zu unterstützen. Der Kreuzbund
Diözesanverband Berlin e.V. bietet [5][Gesprächskreise für Alleinstehende]
an, im Nachbarschaftsheim Schöneberg werden [6][Stammtische nur für Männer]
veranstaltet, der [7][Start with a Friend e.V.] bringt Menschen in
Eins-zu-Eins-Tandems und lokalen Communitys zusammen. Und wer sich
schwertut mit dem Erstkontakt in Persona, dem bieten Apps wie
[8][„HelpCity“] und [9][„Meet 5“] kostenlosen Austausch mit Menschen in
ähnlichen Lebenssituationen sowie die Möglichkeit, sich zu gemeinsamen
Freizeitaktivitäten zu verabreden.
Auf struktureller Ebene bräuchte es laut dem Soziologen Janosch Schobin
allerdings noch bessere Bedingungen für lokale Gemeinschaften. Den
bestehenden Vereinen und Initiativen müsse es leichter gemacht werden, sich
zu vernetzen. Außerdem solle weniger projektbezogen finanziert werden: „Ein
Mensch, der auf der Suche nach Hilfe ist, um die eigene Einsamkeit zu
bekämpfen, braucht eine dauerhafte Anlaufstelle, keine, die nach einem Jahr
eingestellt wird, weil die Finanzierung ausläuft.“
Dafür brauche es Reformen und vor allem den politischen Willen, in soziale
Strukturen zu investieren. Am Ende geht es nicht um Schuld, sondern um
Räume, in den Beziehungen entstehen können, und die Verantwortung,
Beziehungen bewusst zu gestalten.
27 Oct 2025
## LINKS
[1] https://literaturfestival.com/
[2] https://www.bmbfsfj.bund.de/resource/blob/240528/5a00706c4e1d60528b4fed062e…
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Bell_Hooks
[4] /Ermittlungen-in-Grossbritannien/!6090896
[5] https://www.kreuzbund-berlin.de/alleinlebende_menschen
[6] https://www.nbhs.de/aktiv-im-stadtteil/selbsthilfe/maennergruppe-maemiwo
[7] https://www.start-with-a-friend.de
[8] https://helpcity.de
[9] https://www.meet5.de
## AUTOREN
Bianca Nawrath
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