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# taz.de -- Soziale Gerechtigkeit: Mehr Anreize für Privatiers
> 872.000 Deutsche gehen keiner geregelten Erwerbsarbeit nach. Es wird Zeit
> für eine bessere Arbeitsvermittlung und Leistungsentzug für Verweigerer.
Bild: Wer ohne zu schwitzen Profite kassiert, sollte seinen Teil in den Fiskus …
Wie immer war CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann einem großen Skandal
auf der Spur, als ihm auffiel, dass der Wohlstand dieses Landes von tätiger
Arbeit abhängt. Wenn alle Däumchen drehen, kommt das Bruttosozialprodukt
nicht von der Stelle. Dummerweise drehen nach Linnemanns Bauchgefühl
ziemlich viele Däumchen, die eigentlich zur Wertschöpfung bewegt werden
könnten. Wer hält den Laden noch am Laufen? Wo wird wieder in die Hände
gespuckt?
„Man hat manchmal den Eindruck, dass es nicht mehr um Work-Life-Balance
geht, sondern um [1][Life-Life-Balance“, sagte Linnemann], dieser
nimmermüde Schreck aller Faulen und Schlaffen, im Mai dem
Redaktionsnetzwerk Deutschland. Raus aus der sozialen Hängematte: Wer
arbeiten kann, findet Linnemann, der muss auch arbeiten. Recht hat er. Die
Zahl der Menschen, die nicht arbeiten, obwohl sie es könnten, ist in diesem
Land dramatisch gestiegen.
Inzwischen gehen [2][872.000 Deutsche] keiner geregelten Erwerbstätigkeit
mehr nach, sondern leben von Dividenden, Gewinnausschüttungen oder
Mieteinnahmen. Und weil die Aktienkurse gestiegen sind, die Profite
sprudeln und eine gewaltige Erbschaftswelle übers Land rollt, werden immer
mehr Menschen aus dem Arbeitsmarkt gedrängt. Inzwischen lassen sich in
Deutschland doppelt so viele wie vor 20 Jahren auf diese Art ihren
Lebensunterhalt von der Allgemeinheit finanzieren.
Im ersten Moment fallen ihre Bezüge nicht als Transfereinkommen auf, weil
keine staatliche Umverteilungsinstanz dazwischengeschaltet ist; das Geld
wird direkt durch die unsichtbaren Hände auf ihre Konten gelenkt, fast als
handelte es sich um einen natürlichen Prozess. Den Arbeitnehmern sind die
Unternehmensgewinne bereits vom Lohn abgezogen, bevor die
Gehaltsabrechnungen gedruckt werden.
## Nur keine Pauschaldiffamierungen
Dort kann der Normallohnarbeiter nur noch lesen, wie viel
Sozialversicherungsabgaben und Steuern vom Bruttogehalt abgehen. Damit
lässt es sich viel leichter über die Bürgergeldempfänger, die vermutlich
über alle Maßen alimentiert werden, schimpfen, als über die
Besitzbürgergeldempfänger, die ihren Teil längst kassiert haben. Natürlich
tut man den Privatiers Unrecht, wenn man sie pauschal als Drückeberger
diffamieren wollte. Manch einer hat ein hartes Schicksal.
So kommt es bisweilen vor, dass ein Erwerbsloser umziehen muss, weil der
Stellplatz vor dem Mehrfamilienhaus nicht ausreicht, um dort seine sechs
Oldtimer sicher zu parken. Manche Familien kennen seit Generationen keine
sozialversicherungspflichtige Beschäftigung mehr; ihre Kinder haben
Probleme in der Schule, weil sie zu Hause vorgelebt bekommen, dass es auch
ohne Arbeit geht.
Es gibt Erwerbslose, die auf die leistungslose Unterstützung schlicht
deswegen angewiesen sind, weil sie für den regulären Stellenmarkt
ungeeignet sind: zu teure Klamotten, zwei linke Hände, keine Zeit. Manche
argumentieren mit ihrer grundsätzlichen Lebenshaltung, wonach sie
fremdbestimmte Lohnarbeit für menschenunwürdig halten. Also für sich
selbst. Und dem will man natürlich nicht widersprechen.
Für einen Teil der Erwerbslosen konnten immerhin
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gefunden werden, die zwar keinen erkennbaren
produktiven Zweck haben, den Betroffenen aber doch eine Tagesstruktur
ermöglichen. So lässt sich in eigens dafür eingerichteten [3][Family
Offices] so etwas wie eine Beschäftigung vorgaukeln: auf Aktienkurse
starren, Zahlen in Excel-Tabellen übertragen, Immobilienprospekte
durchblättern, Geld von einem Familienkonto zum anderen und zurück
überweisen, den persönlichen Vermögensberater bei der Bank anrufen.
Im Prinzip ein Ein-Euro-Job, ähnlich sinnfrei, aber in der
Aufwandsentschädigung eher gehoben. Eine Lösung auf Dauer ist das nicht.
Und natürlich ist es niemandem zu erklären, dass Menschen, die nicht
arbeiten, mehr haben als die, die sich Tag für Tag ins Büro oder an die
Werkbank schleppen. So etwas ist einfach ungerecht, empörend, ein Skandal –
da liegt Linnemann nicht falsch. Deshalb sollten die Anreize zur
Beschäftigungsaufnahme erhöht werden.
## Vorbild neue Grundsicherung
Vermittlungshemmnisse müssen beseitigt werden, um den
Besitzbürgergeldbeziehern den Weg in den normalen Arbeitsmarkt zu
erleichtern. Die jüngst von der Koalition vereinbarten Verschärfungen beim
Bürgergeld könnten hier als Vorbild dienen: Privatiers, die sich auch nach
dreimaliger Aufforderung nicht zu einem Beratungsgespräch einstellen, muss
ein Leistungsentzug drohen. Wer eine zumutbare Arbeit wiederholt ablehnt,
dem sollten die Bezüge im Extremfall um 100 Prozent gekürzt werden.
Da die Auszahlung nicht von staatlichen Bankkonten erfolgt, müssten in
diesem Fall die Finanzämter Amtshilfe leisten und das Besitzbürgergeld in
Form von Steuern auf Kapitalerträge einziehen. Natürlich muss den
Betroffenen dabei das Existenzminimum zum Leben verbleiben. Darüber wird
das Bundesverfassungsgericht sorgsam wachen. Beim [4][Bürgergeld], da war
sich Hängemattenrüttler Carsten Linnemann sicher, könne man unfassbare
Summen zusammenschütteln, um den Bundeshaushalt zu sanieren.
„Es sind sehr viele Milliarden, da bin ich mir ganz sicher“, hatte er
Anfang Oktober im ZDF gesagt. Von den 30 Milliarden, die die Union
großspurig im Wahlkampf versprochen hat, war da schon keine Rede mehr, auch
nicht mehr von 5 Milliarden, auf die das Sparpotenzial über die Monate
darauf zusammengeschrumpft ist. Was [5][eine Vermögensteuer] in die Kasse
spülen könnte, lässt sich hingegen relativ genau berechnen, je nach Modell
würde der Staat zwischen 25 und 108 Milliarden Euro einnehmen.
Wie gut, dass die Koalition ihren Streit um das Bürgergeld endlich beilegen
konnte. Jetzt sollte sie sich mit der gleichen Hingabe um die Arbeitslosen
am oberen Ende kümmern.
26 Oct 2025
## LINKS
[1] https://www.rnd.de/politik/carsten-linnemann-life-life-balance-produziert-k…
[2] https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Migratio…
[3] https://www.private-banking-magazin.de/aktivsten-family-offices-2022-2023-f…
[4] /Buergergeld/!6123184
[5] https://www.rosalux.de/news/id/53734/vermoegenssteuer-zum-nachteil-der-mitt…
## AUTOREN
Bernd Kramer
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