| # taz.de -- Olivenernte und Klimakrise: Unter Olivenbäumen wächst die Freiheit | |
| > Die Produktion von Olivenöl im Rif-Gebirge Marokkos bringt 300 Bäuerinnen | |
| > Einkommen und Selbstbestimmung. Jetzt bedroht der Klimawandel ihre Ernte. | |
| Bild: Zohra und Sanae von der Anbau-Kooperative Alhouda begutachten die Olivenb… | |
| Harrara taz | Wann immer Hanane Lachehad ihren dunkelblauen SUV durch die | |
| engen Straßen des kleinen Ortes Harrara manövrierte, sorgte das noch bis | |
| vor ein paar Jahren für argwöhnische Blicke und Gerede – vor allem bei den | |
| Männern im Dorf. „Sie verdirbt unsere Frauen“, hieß es dann, wenn Lachehad | |
| mal wieder Frauen einsammelte, um sie zur Arbeit mitzunehmen. „Manche | |
| dachten, es handele sich um eine Verschwörung“, sagt die 46-Jährige, die | |
| Hände fest am Steuer, das runde Gesicht offen lachend. Auf der Rückbank | |
| sitzt Zohra, groß, elegant, im olivgrünen Overall. Gerade noch stand sie | |
| vor ihrem Haus weiter oben im Ort – jetzt wirft sie Lachehad im Rückspiegel | |
| einen wissenden Blick zu. Dann muss auch sie lachen – bei der Erinnerung an | |
| die Anfangszeit der Kooperative Alhouda, als sie begannen, Bio-Olivenöl zu | |
| produzieren – und die Männer sprachlos zurückblieben. | |
| Heute wundert es niemanden mehr, wenn die Präsidentin der GIE Femmes du | |
| Rif, der wirtschaftlichen Interessenvereinigung der Rif-Frauen, in dem | |
| kleinen Douar auftaucht. „Und wie läuft es mit den Oliven?“, ruft ein | |
| älterer Mann mit faltigem, sonnengegerbtem Gesicht einen Esel auf der | |
| Straße vor sich hertreibend, durchs offene Autofenster. Inzwischen weiß | |
| hier jeder: Es geht für die Frauen dann dorfabwärts, [1][vorbei an Äckern | |
| und Olivenbäume]. Unten, in den 2013 entstandenen Räumlichkeiten der | |
| Genossenschaft mit ihrer eigenen Ölmühle, wird gearbeitet. Heute steht das | |
| Herstellen von Seifen aus verschiedenen Ölen und selbst gepflückten | |
| Heilpflanzen auf dem Programm. „Seit der Klimawandel vor allem in den | |
| letzten sieben Jahren zu Ernteausfällen führt, versuchen wir das fehlende | |
| Einkommen zu kompensieren“, sagt Zohra, als der Wagen vor den Mauern der | |
| Genossenschaft zum Stehen kommt. | |
| Im gekachelten Empfangsraum der Genossenschaft ist es kühl, ein Regal | |
| gefüllt mit verschiedensten Produkten zieht den Blick auf sich: ätherische | |
| Öle, getrocknete Kräuter in Plastikpäckchen und Seifen in verschiedenen | |
| Pastellfarben sind darauf angerichtet. Im Zentrum steht eine Reihe von | |
| Olivenölflaschen mit IGP-Siegel – einer geschützten Herkunftsbezeichnung | |
| für regionale Qualitätsprodukte – und Biozertifizierung. Trotz aller | |
| Entwicklungen der letzten Jahre ist es auch heute noch das Herzstück der | |
| Vereinigung. „Mit der Produktion unseres eigenen nativen biozertifizierten | |
| Olivenöl extra hat sich alles verändert“, sagt Lachehad und nimmt andächtig | |
| eine Flasche aus dem Regal. „Es hat den Frauen ein eigenes Einkommen | |
| gebracht, Unabhängigkeit und Entscheidungsfreiheit.“ | |
| Zohra und Sanae, ein weiteres Mitglied der Kooperative Alhouda, eine der | |
| insgesamt acht Kooperativen, die der Vereinigung Femmes du Rif angehören, | |
| nicken. „Hätte ich ohne all das jemals nach Deutschland reisen können?“, | |
| sagt Zohra und ihre großen braunen Augen leuchten bei der Erinnerung an die | |
| Landwirtschaftsmesse in Berlin, die sie damals für die Vereinigung | |
| begleiten durfte. Die 40-Jährige bewirtschaftet zusammen mit ihren beiden | |
| Schwestern acht Hektar Land mit über 600 [2][Olivenbäumen]. Für eine | |
| Familie im Rif-Gebirge ist das eine große Fläche – ungefähr so viel wie elf | |
| Fußballfelder. Zohra ist damit eine von 300 Frauen aus acht Dörfern, die | |
| der Vereinigung der Rif-Frauen angehören und zusammen 400 Hektar Land | |
| bewirtschaften. Die meisten von ihnen besitzen deutlich kleinere Flächen | |
| mit unter 5 Hektar. | |
| Im Rif-Gebirge, nördlich von Ouezzane, sind es seit jeher die Frauen, die | |
| sich um die Olivenernte kümmern. In dieser armen, von der Regierung lange | |
| vernachlässigten Region war das einst vor allem eine Frage der | |
| Notwendigkeit: Während die Männer im Herbst die Felder pflügten, sammelten | |
| die Frauen die Oliven. Lachehad, deren Elternhaus nur wenige Autominuten | |
| nördlich von Harrara liegt, erinnert sich gut an diese Zeit. Schon als | |
| junges Mädchen fuhr sie mit dem Traktor ihres Vaters über die Felder – ein | |
| ungewöhnlicher Anblick in dieser konservativen Gegend. „Die meisten Oliven | |
| nahmen die Frauen mit nach Hause. Es wurde in den umliegenden Souks nur | |
| wenig verkauft und auch nicht immer“, sagt sie. | |
| ## „Besser als die der Männer“ | |
| Noch keine 20 Jahre alt, gründete Lachehad damals eine Frauen-Kooperative | |
| zur Kaninchenzucht. Etwas später suchte die Organisation der Vereinten | |
| Nationen für industrielle Entwicklung (Unido) nach bereits existierenden | |
| Kooperativen, um Entwicklungsarbeit zu leisten. Das war im Jahr 2001. In | |
| der bergigen Region im Norden Marokkos sah man wegen der Bekanntheit der | |
| Oliven großes Potenzial und so fiel die Wahl auf drei Frauen-Kooperativen | |
| der Gegend, die zu diesem Zeitpunkt bereits als gut organisiert galten. | |
| „Besser als die der Männer“, lachen die Frauen, die jetzt an einem kleinen | |
| Tisch Platz genommen haben. Später kamen fünf weitere | |
| Frauen-Genossenschaften aus der Gegend hinzu, die neben den Oliven aber | |
| noch anderen Tätigkeiten nachgingen, wie Kaninchenzucht oder der | |
| Herstellung von Couscous zum Beispiel. | |
| „Die Qualität der Oliven stimmte nicht. Es wurde zum Beispiel kein Wert | |
| darauf gelegt, sie zu sortieren. Es wurden auch keine Netze ausgelegt und | |
| Plastiktüten für den Transport verwendet“, sagt Lachehad über die Zeit | |
| Anfang 2000, in der es auch keinerlei Hygienekonzept bei der | |
| Weiterverarbeitung der Oliven gab. Das Ziel des Projekts war deshalb: Die | |
| Arbeitsschritte so zu verändern, dass die Qualität der Frucht deutlich | |
| besser wird – und hochwertiges Bio-Olivenöl herstellen. Die neue | |
| Rigorosität bei der Ernte und Verarbeitung, die von Lachehad, die den | |
| Prozess überwachte, an den Tag gelegt wurde, sei nicht einfach gewesen für | |
| die Frauen, die vorher keinerlei Richtlinien verfolgten. „ | |
| Sie ist streng, aber gerecht“, sagt eine der Frauen später über die | |
| „Chefin“, die immer mal wieder Olivenlieferungen abwies, wenn die Qualität | |
| nicht stimmte oder das Zeitfenster für Oliven an der frischen Luft nicht | |
| eingehalten wurden. Regelmäßige Schulungen halfen den Bäuerinnen dabei, die | |
| neue, akribische Arbeitsweise zu verstehen und anzuwenden. Manche Frauen | |
| seien durch die Fortbildungen das erste Mal aus ihren Dörfern | |
| herausgekommen, erzählt Lachehad, die nach dem Biologiestudium in ihre | |
| Heimat zurückkehrte. | |
| ## Frauen haben jetzt auch das Sagen | |
| „Unser Weg war von Anfang an: Qualität nicht Quantität“, berichtet die | |
| Mittvierzigerin über die Anfänge des Projekts, das sie ab 2006 als | |
| Gründerin der Wirtschaftsvereinigung Femmes du Rif begleitete. Ein Plan, | |
| der funktionierte. An den Wänden der Empfangsräume erzählen die | |
| Auszeichnungen und Fotografien, besonders prominent die vom Besuch des | |
| marokkanischen Königs Mohammed VI. in der Genossenschaft Alhouda, vom | |
| Erfolg der ersten Jahre. In den frühen 00-er Jahren bis 2010 floriert das | |
| Geschäft, die Frauen fahren auf Landwirtschaftsmessen in die Hauptstädte | |
| Europas, um ihr Öl zu bewerben. 2006 erhält das Öl der Femmes du Rif die | |
| Biozertifizierung – das erste Bio-Olivenöl Marokkos. Die französische Marke | |
| Alter Eco, die nachhaltige Lebensmittel vertreibt, nimmt es bis 2010 in | |
| seinen Bestand auf. „30 bis 50 Tonnen produzierten wir in unseren besten | |
| Zeiten pro Jahr“, erzählt Lachehad. | |
| Inzwischen wird das Öl nicht mehr im Ausland, dafür aber in Marokko | |
| verkauft, manchmal kommen auch kleine Busse mit Touristen oder Großabnehmer | |
| zu der Kooperative, unweit der Schnellstraße zwischen Ouezzane und | |
| Chefchaouen, und erwerben das Öl für Hotels und Restaurants. Das Ende der | |
| Kooperation mit Alter Eco im Jahr 2011 habe auch daran gelegen, dass | |
| Verbraucher verstärkt auf Olivenöl aus Palästina zurückgriffen, um dortige | |
| Projekte zu unterstützen, erklärt Lachehad die Entwicklungen. Das Produkt | |
| anschließend zum ersten Mal auch national zu vermarkten und zu verkaufen, | |
| sei nicht leicht gewesen, weil viele Marokkaner mit Olivenöl in Flaschen | |
| nichts anfangen konnten, das Grundnahrungsmittel eher kanisterweise für die | |
| ganze Familie erworben und generell weniger Wert auf Qualität setzten. „Ist | |
| das ein Schutzmittel für Olivenbäume?,“ seien sie gerade am Anfang häufiger | |
| gefragt worden. | |
| Einer der großen Erfolge für die Frauen: Unter den Männern in den Dörfern | |
| habe ein „Wandel der Mentalität“ stattgefunden, so bezeichnet es Lachehad. | |
| „Früher wollten sie ihre Frauen nicht zu Schulungen lassen oder wenigstens | |
| dabei sein, um die Kontrolle zu behalten. Heute fragen sie uns, ob ihre | |
| Töchter nicht bei uns mitarbeiten dürfen.“ Den Frauen habe die Arbeit mit | |
| dem Olivenöl einen neuen Status in der Familie eingebracht. Am Tisch hätten | |
| sie heute etwas zu sagen. Noch vor 20 Jahren sei das nicht so gewesen. Die | |
| Vereinigung achtet darauf den Frauen ihr verdientes Geld direkt auszuzahlen | |
| und nicht etwa den Männern zu geben. So haben sie Handlungsfreiheit – und | |
| manchmal sogar etwas Geld für sich selbst übrig. „Manche haben entschieden, | |
| ihr Haus zu vergrößern oder ihre Kinder zum Studium zu schicken“, sagt | |
| Lachehad. | |
| Sanae erzählt, dass sie einen Goldbarren hat, den sie sich als Anlage | |
| angeschafft hat. Aber auch soziale Projekte konnten mit dem Geld umgesetzt | |
| werden: In dem Dorf Nefzi, dem entlegensten Dorf der Vereinigung – 3 | |
| Stunden braucht es von dort bis zur nächsten Landstraße – haben Frauen | |
| gemeinsam eine Straße bauen lassen, um den Zugang zum Ort zu erleichtern. | |
| In anderen Regionen Marokkos ist diese Entwicklung hin zu mehr | |
| Selbstbestimmung und Anerkennung für die Arbeit von Frauen, wenn überhaupt, | |
| noch ganz am Anfang. „In den Oasen im Südosten Marokkos nennen sich Frauen | |
| nur selten Chefin. Nach außen hin gilt meistens der Mann als der Chef. | |
| Innerhalb der Familie oder des Betriebs treffen Männer und Frauen die | |
| Entscheidungen aber oft gemeinsam“, analysiert Lisa Bossenbroek vom | |
| Forschungs- und Studienzentrum für zeitgenössische Gesellschaften | |
| (CRESC-Rabat) und Mitarbeiterin am Forschungslabor Ladsis der Universität | |
| Hassan II in Casablanca. | |
| ## Starkregen und Dürre sind Herausforderungen | |
| Bei all den Freiheiten, die die Olivenölproduktion den Frauen gebracht hat, | |
| ist da seit einiger Zeit aber auch die leise Angst davor, dass ihnen diese | |
| wieder abhanden gehen könnte. [3][Grund dafür ist der Klimawandel], der die | |
| Ernte in den vergangenen Jahren unvorhersehbar gemacht hat. „In den letzten | |
| vor allem sechs, sieben Jahren ging die Ernte drastisch zurück. Inzwischen | |
| liegt sie nur noch bei unter fünf Tonnen“, so die Präsidentin der | |
| GIE-Vereinigung. Das ist ungefähr zehnmal weniger als noch in den frühen | |
| 2010er Jahren. Neben der zunehmenden Trockenheit, sind auch extreme | |
| Wetterphänomene wie Starkregen eine Herausforderung für die Landwirtinnen. | |
| 2022 führten in der Kooperative Alhouda ungewöhnlich starke Regenfälle | |
| schon im Mai dazu, dass die Olivenblüten abfielen und sich keine Früchte | |
| bildeten. Die Ernte im November viel dann aus. Auch wenn es nur wenige | |
| offen aussprechen, sorgen solche Ereignisse bei den Frauen für | |
| Verunsicherung. „Bevor die Ernte im November beginnt, trauen wir uns nicht | |
| mehr zu sagen, dass es ein gutes Jahr wird“, sagt Sanae leise. Laut dem | |
| aktuellen Bericht der marokkanischen Wetterbehörde war 2024 das heißeste | |
| Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen: Die Durchschnittstemperatur lag | |
| um 1,49 Grad Celsius über dem Referenzwert für den Zeitraum 1991 bis 2020 – | |
| mehr als doppelt so hoch wie der weltweite Durchschnitt von +0,67 Grad. | |
| Neben der extremen Hitze registrierte die Behörde auch eine Zunahme | |
| extremer Wetterereignisse, darunter Überschwemmungen, Sturzfluten und | |
| Rekordtemperaturen von bis zu 47,7 Grad Celsius. Besonders | |
| besorgniserregend ist die anhaltende Dürre: Bereits im sechsten Jahr in | |
| Folge leidet Marokko unter einem gravierenden Wassermangel. Landesweit | |
| liegt das Wasserdefizit bei fast 25 Prozent – mit spürbaren Folgen für den | |
| Alltag vieler Menschen. | |
| Für viele Familien auf dem Land, die von der Landwirtschaft leben, wird die | |
| Lage zunehmend existenzbedrohend. Besonders regenabhängige Kleinbäuerinnen | |
| und -bauern kämpfen damit, unter diesen extremen Bedingungen ihre Felder zu | |
| bestellen. Ausgetrocknete Böden, Ernteausfälle und mitunter Landflucht sind | |
| die Konsequenz. Weil Olivenöl aufgrund der Auswirkungen des Klimawandels | |
| weniger verfügbar ist, sind die Preise gestiegen: Vor der Coronapandemie | |
| kostete ein Liter zwischen 60 und 75 Dirham, danach 80 bis 90 – heute rund | |
| 100 Dirham (ca. 10 Euro). Ursache dafür sind die anhaltende Dürre und die | |
| schlechten Ernten, durch die es immer weniger Olivenöl gibt, während die | |
| Nachfrage gleich bleibt. | |
| „Man könnte meinen, dass es gut ist, dass die Preise höher sind. Aber es | |
| ist nicht gut. Vor allem für den Verbraucher“, sagt Lachehad und schüttelt | |
| den Kopf. Ein Liter koste inzwischen mehr als das Dreifache im Vergleich zu | |
| früher, als das Öl noch für 30 Dirham zu haben war. Doch trotz des höheren | |
| Preises verdiene sie nicht mehr. Im Gegenteil: Die Kunden bestellten häufig | |
| weniger, sobald sie den Preis hören. Wer früher 200 Liter kaufte, nehme | |
| heute manchmal nur noch 150. Dabei ist nicht nur der Verkauf schwieriger | |
| geworden, auch die Produktion hat sich verändert. Früher brauchte man für | |
| einen Liter Olivenöl etwa sechs bis sieben Kilogramm Oliven. Heute seien es | |
| bis zu fünfzehn. Die Früchte seien kleiner und weniger ergiebig – auch eine | |
| Folge der zunehmenden Dürreperioden. | |
| Hoffnungslos sind die Frauen trotz der Entwicklungen nicht. Im Gegenteil. | |
| Mit derselben Energie, mit der sie auch ihr eigenes Olivenöl zuerst | |
| international, dann erst national bekannt machten, begab man sich auf die | |
| Suche nach Alternativen. Vor vier Jahren hat man in der Genossenschaft | |
| Alhouda damit begonnen, Heilkräuter zu pflücken und diese zu verschiedenen | |
| Kosmetikprodukten zu verarbeiten. Diese seien gerade im Süden Marokkos sehr | |
| gefragt. „Der Vorteil ist, dass die Kräuter wenig Investitionen erfordern | |
| und sie quasi kostenlos sind. | |
| Wir suchen sie in den Wäldern, trocknen und verarbeiten sie“, so Sanae, die | |
| dann noch ergänzt, dass sie ein wenig Geld für ein kleines | |
| Distillationsgerät in die Hand nehmen mussten. Ein großes Gerät konnten sie | |
| im letzten Jahr dank einer staatlichen Förderung anschaffen. Mehrere | |
| Tausend Dirham würden sie im Jahr durch die Produkte auf Heilkräuterbasis | |
| dazuverdienen. Das helfe besonders in den Jahren, wo die Oliven gerade so | |
| für den eigenen Haushalt genügten. Selbst die Kräuter bleiben aber nicht | |
| verschont: Im vergangenen Jahr fiel kaum Regen, in den Wäldern wuchsen nur | |
| wenige Heilpflanzen. | |
| ## Heilkräuter statt Oliven? | |
| Von den acht Kooperativen der Vereinigung haben sich inzwischen zwei auf | |
| Heilkräuter spezialisiert. Eine davon gibt es schon seit 10 Jahren – die | |
| Genossenschaft Azhar in Asjen. Ihre Präsidentin, Rabia, hat heute viel zu | |
| tun. Ihre Tochter hat ihr die lang ersehnte Pilgerreise nach Mekka | |
| finanziert – und die 65-Jährige steht schon seit frühem Morgen in der | |
| Küche, um für die Abfahrt am nächsten Morgen verschiedene Speisen | |
| vorzubereiten. Trotzdem findet Rabia Zeit, in der Ecke ihres großen | |
| Wohnraums, zwischen bunten Kissen und Holzbänken, Oliven, Öl und Brot auf | |
| dem kleinen Tisch zu servieren. Als die Olivenernte kaum noch Ertrag | |
| brachte, suchte Rabia nach Alternativen – und war die erste in der Provinz, | |
| die mit Heilkräutern arbeitete: Tees, Öle, Seifen. | |
| Rabia befüllt mit ihren von der Arbeit gezeichneten Fingern eine Tüte mit | |
| getrocknetem Thymian. „Als wir angefangen haben, nicht nur Heilpflanzen zu | |
| ernten, sondern diese gezielt anzubauen, wurden wir von den Männern | |
| ausgelacht“, erzählt die Frohnatur, deren Genossenschaft 15 Frauen zählt. | |
| „Sie sagten: Jetzt sind die Frauen komplett verrückt geworden, jetzt bauen | |
| sie schon Thymian an.“ Heute bauen auch Männer in der Gegend Thymian an. | |
| Ihr eigener Mann habe sie zwar immer machen lassen, vor allem aber oft auf | |
| der faulen Haut gelegen, deshalb habe sie selbst das Geld für die Familie | |
| aufgetrieben, erzählt Rabia. „Arbeit, Arbeit, Arbeit“, ruft die Frau mit | |
| den freundlichen Gesichtszügen und dunklen Augen und schlägt dabei die | |
| Hände vor sich zusammen. Sie begann so wie Lachehad in jungen Jahren mit | |
| der Kaninchenzucht, später wurde die Genossenschaft in das Projekt von | |
| Onudi und nochmal später in die Vereinigung mit aufgenommen, so kam das | |
| Bio-Öl. „Ich wollte, dass es meine Kinder einmal besser haben“, sagt sie, | |
| die mit 15 ihr erstes Kind bekam und lange Jahre in ärmlichsten | |
| Verhältnissen lebte. Ein paar ihrer Kinder konnte sie viele Jahre später | |
| ein Studium finanzieren und das eigene Haus stetig vergrößern. | |
| Erst zuletzt sei wieder ein neuer Anbau dazugekommen – inzwischen | |
| allerdings nur dank der Hilfe ihrer Kinder. Seit drei Jahren bringt die | |
| Olivenernte nichts mehr ein, sie reicht gerade noch für den Eigenbedarf. | |
| 400 Liter Öl, in einem Jahr, die sie an die Familie verteile. Vorher waren | |
| es 1.000 Liter allein für den Verkauf, also 50.000 Dirham im Jahr – ein | |
| gutes Einkommen. Mit den Heilkräutern aus der Agroforstwirtschaft verdiene | |
| sie jetzt manchen Monat 3.000 Dirham, manchmal 1.000, manchmal aber auch | |
| gar nichts. Es ist ein knappes Auskommen. „Zum Glück arbeitet meine Tochter | |
| als Ärztin, sonst wäre es schwer“, sagt sie und ergänzt nach ein paar | |
| Sekunden: „Wir sind sehr unglücklich mit dem, was der Klimawandel mit | |
| unserer Natur macht.“ | |
| Aufgeben ist keine Option. Die Mutter und Großmutter macht einfach weiter: | |
| Neben dem Anbau von Thymian auf einer Fläche von einem Hektar, sammelt sie | |
| wilde Kamille in den Wäldern. „Meine Kinder sagen immer ‚Mama, du kannst | |
| jetzt ausruhen‘, aber ich kann nicht einfach rumsitzen. Wenn es irgendwo | |
| auch nur einen Dirham zu verdienen gibt, geh ich los“, sagt Rabia, und | |
| zeigt nebenbei noch einen selbst geflochtenen Teppich, den sie verkaufen | |
| will. Keine fünf Minuten später schiebt sie ihren Besuch aus der Tür. Sie | |
| will sich jetzt in Ruhe auf ihre Reise vorbereiten. „Wenn es ganz schlimm | |
| kommt, muss ich halt zurück an den Anfang und Kaninchen züchten“, sagt sie | |
| noch. Es scheint als vertrauten die Frauen hier vor allem in eines: die | |
| eigene Widerstandskraft. | |
| 29 Oct 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Olivenernte-auf-Kreta/!5996674 | |
| [2] /Gewalt-im-Westjordanland-/!6108739 | |
| [3] /Olivenernte-und-Klimakrise/!6004916 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefanie Ludwig | |
| Augustin Campos | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Olivenöl | |
| Dürre | |
| Marokko | |
| Landwirtschaft | |
| Westjordanland | |
| Genuss | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Gewalt im Westjordanland: Militär und wohl auch Siedler zerstören Olivenbäume | |
| Tagelang wird das palästinensische Dorf Al-Mughayyr nach einem Angriff auf | |
| Siedler belagert. Das Militär reißt hunderte Olivenbäume – Lebensgrundlage | |
| lokaler Bauern – nieder. | |
| Olivenernte auf Kreta: Rütteln, prasseln und pressen | |
| Unsere Autorin hat auf Kreta bei der Olivenernte mitgeholfen, | |
| Rüttelmaschinen bedient und den größten Feind der Olivenbauern kennen | |
| gelernt. | |
| Olivenernte und Klimakrise: Der andere Ölpreis | |
| Der Preis von Olivenöl hat sich mehr als verdoppelt. In Spanien führen die | |
| großen Dürren zu kleineren Ernten. Doch es könnte besser werden. |