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# taz.de -- Mit dem Trauma leben: Was Heilung kostet – und wie sie gelingen k…
> Katastrophen zu überstehen heißt auch, keine Ruhe mehr zu finden in der
> Welt. Ein Beispiel dafür war die Holocaust-Überlebende Dita Kraus.
Bild: Dita Kraus während der Gedenkfeier zum 79. Jahrestag der Befreiung des K…
Healing begins with support.“ Ich las diesen Satz auf einem Werbebild der
[1][Internationalen Organisation für Migration (IOM)] und blieb daran
hängen. Ein schöner Satz, dachte ich, fast tröstlich. Aber auch einer, der
in diesen Tagen falsch klingt. Denn was, wenn die Wunde gar nicht aufhört
zu schmerzen? Was, wenn die Gewalt weitergeht, während mancher schon von
Heilung spricht?
Ich hing diesen Gedanken nach, an einem Morgen, nachdem ukrainische Städte
massive russische Angriffe erlebt hatten. Wieder. In einem Bericht
schilderte das IOM das Schicksal des 88-jährigen Yuri, der vor dem Krieg in
der Ukraine nach Moldau geflohen war und seitdem seine Tage im Zentrum für
psychische Gesundheit in Chișinău verbringt. Er spricht von Einsamkeit,
davon, bis heute keine Freunde gefunden zu haben.
Ich musste an [2][Dita Kraus] denken, die Shoah-Überlebende aus Prag, die
vergangenes Wochenende mit 96 Jahren in Israel gestorben ist. Auf sie wurde
ich aufmerksam, weil ich mich während meines Studiums intensiv mit
Literatur aus und über das Ghetto Theresienstadt beschäftigt hatte – Bücher
von Ruth Klüger, Petr Ginz, Josef Bor, Eva Mändl Roubíčková. Jahre später
stieß ich auf Kraus’ Memoiren [3][„Ein aufgeschobenes Leben“], und ihre
Geschichte habe ich seitdem behalten.
Kraus stammte aus einer jüdischen Familie in Prag. 1942 wurde sie nach
Theresienstadt deportiert, überlebte das Vernichtungslager
Auschwitz-Birkenau, die Außenlager des KZ Neuengamme, bis sie aus dem KZ
Bergen-Belsen befreit wurde.
## Keinen weiteren Krieg erleben
Über ihre Erlebnisse zu sprechen, fiel ihr lange Zeit schwer. Später fühlte
sie sich verpflichtet, Zeugnis abzulegen. „Die, die erzählen können, müssen
weitermachen, solange es geht“, sagte sie einmal. Sie pflegte engen Kontakt
zur Gedenkstätte Neuengamme, sprach vor Jugendlichen, gab Interviews. Wie
herausfordernd das für sie gewesen sein muss, lässt sich nur erahnen. In
ihren Memoiren schrieb sie: „Es ist, als könnte ich immer nur die
Randerscheinungen erzählen, nie die Wunde selbst.“
Nach dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 verlegte sie ihren
Lebensmittelpunkt von Israel nach Prag, weil sie die Ereignisse nicht
ertrug, keinen weiteren Krieg mehr erleben wollte.
Es liegt mir fern, die Shoah mit den heutigen Kriegen zu vergleichen. Doch
schieben sich diese Ereignisse für Betroffene manchmal übereinander; lassen
sich Gedanken formulieren, Schlüsse ziehen: aus den Erfahrungen derjenigen,
die Extremes erlebt und überlebt haben. Überleben kann heißen, keine Ruhe
zu finden, Einsamkeit zu spüren und zu erkennen, dass die Welt oft so
weiterläuft, als ob das eigene Trauma beliebig wäre. Heilung braucht Zeit,
Ruhe und Stabilität. Bedingungen, die inmitten von Krieg selten sind.
Die geopolitische Realität zeigt das deutlich. Das geplante Treffen
zwischen US-Präsident Donald Trump und Russlands Machthaber Wladimir Putin
in Budapest fällt aus, und manche Medien nennen es eine „geplatzte Hoffnung
auf Frieden“. Dabei war abzusehen, dass dieses Treffen keinen Frieden
bringen würde: Putin spielt weiter auf Zeit, Trump sieht den Konflikt eher
als lästig. Die Ukraine muss auf sich selbst und auf Europa setzen. Und
dennoch: Ohne die USA geht es nicht.
Wenn man also von Heilung sprechen will, braucht es einen Moment des
Stillstands, ein Ende, damit ein Danach möglich ist. So erlebte es Israel,
als gerade die letzten Geiseln nach Hause kamen. Doch auch für sie wird das
Leben nicht einfach. Auch sie sind Überlebende.
Heilung, wenn man sie ernst nimmt, bedeutet Arbeit, und auszuhalten, dass
das Böse, Teil dieser Welt ist. Heilung durch Unterstützung kann auch
heißen, Waffen zu liefern, die ein Überleben überhaupt erst möglich machen.
Eine Aufgabe, die fortbesteht, solange die Welt Gewalt kennt.
25 Oct 2025
## LINKS
[1] https://germany.iom.int/de
[2] https://www.kz-gedenkstaette-neuengamme.de/nachrichten/news/dita-kraus/
[3] https://www.wallstein-verlag.de/9783835336506-ein-aufgeschobenes-leben.html
## AUTOREN
Erica Zingher
## TAGS
Kolumne Grauzone
Holocaust
Trauma
NS-Straftäter
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
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