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# taz.de -- Pierre Laval: Der Pazifist, der mit den Nazis kollaboriert hatte
> Vor 80 Jahren wurde Pierre Laval hingerichtet. Der Ministerpräsident des
> Vichy-Régimes ließ Juden deportieren, um sein Land aus dem Krieg
> rauszuhalten.
Bild: Pierre Naval bei seiner ersten Radioansprache in Paris, am 31. Oktober 19…
Hätte er mal auf seine Frau gehört. Jeanne hatte Pierre Laval im Frühjahr
1942 bekniet, bloß nicht erneut in die französische Regierung einzutreten,
als Nummer zwei in Marschall Philippe Pétains Kollaborationsregime in
[1][Vichy], das er konzipiert hatte. Aber er war in seinen Augen eben der
einzige, der Frankreichs Selbstständigkeit würde retten können. Als treuer
Schüler von Nobelpreisträger [2][Aristide Briand], hielt er sich für den
Garanten des Friedens. Das Mittel, sein besetztes Land aus dem weiteren
Krieg herauszuhalten, war für ihn die Umarmung des Besatzers.
„Je hais la guerre d'une façon tenace et maladive“, [3][zitiert ihn der
früh verstorbene Zeithistoriker Fred Kupferman], selbst
Auschwitz-Überlebender: „Ich hasse hartnäckig und geradezu krankhaft den
Krieg“. Der Pazifismus gehört zu den wenigen Konstanten in Lavalles
politischer Biografie.
Und darum wird am 18. April 1942 der 1883 in einem Dorf in der Auvergne
geborene Metzgerssohn, den das Time Magazine nach Gandhi und vor Franklin
D. Roosevelt zum [4][„Man of the Year“ des Jahres 1931] gekürt hatte, zum
dritten Mal Premierminister Frankreichs und drei Jahre später dann
hingerichtet, – vor nun genau 80 Jahren – am 15. Oktober 1945.
## Die Jagd auf Juden
Kein falsches Mitleid. Laval hatte Frankreich [5][zum Mittäter der Shoah
gemacht]. Um die Autonomie des Pétain-Regimes zu beweisen, mussten statt
SS-Leuten [6][französische Polizisten die Jagd auf Juden übernehmen]. Die
Behauptung, er habe die von den Nazis gar nicht geforderte Deportation auch
ihrer Kinder aus humanitären Erwägungen angeordnet, um nur ja keine
Familien auseinander zu reißen, war schon 1942 zu durchsichtig: Es ging
darum, Aufsehen durch tränenreiche Abschiede zu vermeiden – und darum, dem
Staat keine Versorgungsfälle ans Bein zu binden. Laval war eben durch und
durch ein Pragmatiker, kaum Antisemit und ganz sicher kein Faschist.
In den 1930ern ist Laval noch der beliebteste Politiker Frankreichs. Dem
Rest der Welt ist er eine Figur der Hoffnung für Europas Zukunft: Erstmals
Ministerpräsident wird er 1931. Als Krisenlöser holt man ihn 1935 noch
einmal an die Spitze der Regierung, aber bevor die Maßnahmen greifen, ist
die Mehrheit futsch.
Laval hatte als Kommunist angefangen, aber die totalitäre Versuchung
verfängt bei ihm nicht. „Ideologie hat er abgelehnt“, so [7][fasst der
Geschichtsprof Renaud Meltz zusammen], der mit einer monumentalen Biografie
das französische Mysterium Laval ergründet hat.
Der entspricht dem Politikermodell Danton: Schlau, mit Blick auf den
eigenen Vorteil, korrupt, moralbefreit, aber leutselig, ein echter
Bürgermeister: Das Amt hat er in seinem Wahlkreis Aubervilliers von 1923
bis 1944 die ganze Zeit inne.
## Die Kühe selbst versorgt
Nein, so jemandem nimmt keiner krumm, wenn er nebenher einen Radiosender
erwirbt, ein Schloss und einen landwirtschaftlichen Betrieb. Dass er dort
die Kühe mitunter selbst versorgt und melkt zahlt dagegen aufs
Beliebtheitskonto ein.
Und doch ist das 1945 geräumt: Da wünschen 78 Prozent der Franzosen Laval
die Todesstrafe. Mit der Judenverfolgung hat das nichts zu tun. Keine Rolle
spielt sie auch beim Prozess, dem seine Anwälte aus Angst um ihren Ruf
fernbleiben, während ihm Geschworene während der Beweisaufnahme eröffnen,
er verdiene zwölf Kugeln in den Rücken. So wird er wegen „Verschwörung
gegen die innere Sicherheit des Staates und Geheimdienstarbeit mit dem
Feind“ zum Tode verurteilt.
## Die Hinrichtung mit unverbundenen Augen
Die Hinrichtung gerät zur grausamen Farce. Sie findet, ungewöhnlich, erst
mittags statt, weil Laval Zyankali geschluckt hat, allerdings nur die
Hälfte der Kapsel. Das reicht nicht. Also pumpt man ihm den Magen aus und
doktert an ihm herum, bis er, wacklig, in den Hof geführt werden kann, zur
Exekution.
Er trinkt noch einen Schluck. Kotzt. Dann Schlussworte mit Pathos. Die
Gnade, dem Erschießungskommando mit unverbundenen Augen gegenüber zu
treten, wird ihm gewährt. Unerfüllt bleibt sein Wunsch, ihm nicht ins
Gesicht zu schießen. „Today, justice has been served“, resümiert die
Wochenschau der United Newsreel Corporation.
15 Oct 2025
## LINKS
[1] /Sigmaringen-als-franzoesische-Hauptstadt/!6037640
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Aristide_Briand
[3] https://fr.wikipedia.org/wiki/Fred_Kupferman
[4] https://time.com/vault/issue/1932-01-04/page/1/
[5] /Judenverfolgung-in-der-Nazi-Zeit/!5865427
[6] https://www.sciencespo.fr/mass-violence-war-massacre-resistance/fr/document…
[7] https://www.youtube.com/watch?v=YcCg0O8TLuY
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
## TAGS
Schwerpunkt Frankreich
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Pazifismus
Todesurteil
Hinrichtung
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