| # taz.de -- Werbekampagne der Deutschen Bahn: Der Witz kommt zu spät | |
| > Mit selbstironischen Werbespots versucht die Deutsche Bahn einen | |
| > Imagewechsel. Ein Ablenkungsmanöver, das dem Personal gar nichts bringt. | |
| Bild: Eine Bahnfahrt, die ist lustig, eine Bahnfahrt, die ist schön … Leider… | |
| Die Bahn ist wie das Wetter: Verlässlich nur da, wo sie als Smalltalk-Thema | |
| funktioniert – [1][und auch das nur in verärgertem Ton]. Bis vor Kurzem | |
| konnten Bahn-Apologeten wenigstens noch mit dem abgehangenen | |
| Marketingbegriff der Familienfreundlichkeit argumentieren. Im Vergleich zur | |
| Restinfrastruktur in diesem Land beeindrucken Kleinkindabteile und | |
| kostenlose Tickets für unter 14-Jährige die Deutschen schnell. | |
| Aber spätestens mit der Abschaffung der [2][pauschalen Reservierungsgebühr] | |
| für Familien hat das Unternehmen sich auch diese Fanbase kaputt gemacht. | |
| Eine neue Imagekampagne könnte nun die Weichen hin zu mehr Beliebtheit | |
| stellen. [3][Die Miniserie „Boah, Bahn!“] auf Instagram, Tiktok und Youtube | |
| zeigt in 3-Minuten-Werbeclips einen überzeichneten ICE-Alltag aus Sicht des | |
| Bahnpersonals. | |
| Comedie-Päpstin Anke Engelke verschüttet als Zugchefin Tina slapstickhaft | |
| Kaffee, plagt sich mit mies gelaunten Kunden herum und muss für jeden | |
| Ober-, Unter- oder Zwischenleitungsschaden geradestehen, der mal wieder für | |
| massive Verspätung sorgt. Mit rheinischem Dialekt ruft sie ihr Team voll | |
| klassischer Antiheld:innen tapfer zum Durchhalten zusammen. Leute wie | |
| Du und ich, statt farb- und humorloser Beamt:innen. Wer kann da noch über | |
| eine veränderte Wagenreihung meckern? | |
| Im Gegenteil: Die menschliche Seite des Dauerversagens erzeugt Empathie und | |
| verdrängt die ohnmächtige Wut, die man als Bahnkundin permanent verspüren | |
| muss. | |
| Die Armen, denkt man, die haben es ja auch nicht leicht. Und man erinnert | |
| sich an [4][die besoffenen Fußball-Hooligans] oder die Horde Banker, mit | |
| denen man mal von Frankfurt am Main nach Stuttgart gefahren ist, und die | |
| das Abteil in Schutt und Asche gelegt haben. Aufrichtiges Mitleid mit den | |
| Leuten, die vollgekotzte Klos wischen müssen, über Bierdosen stolpern und | |
| arrogante Kunden bedienen müssen, fühlt sich halt auch besser an, als der | |
| Frust über ein gesichtsloses Management. | |
| ## State of the Art-Ästhetik | |
| Gleichzeitig hat man fast ein bisschen Respekt vor dieser ganz neuen | |
| Fehlerkultur. Mit den Clips will das Unternehmen zeigen, dass es nicht nur | |
| zu seinen unzähligen Fails steht, sondern so reflektiert ist, sich auch | |
| noch darüber lustig zu machen, wie das für urbane City-Werbung à la | |
| Berliner BVG mittlerweile State of the Art ist. | |
| Den User:innen wird damit signalisiert: Ihr seid nicht nur nachsichtige | |
| Menschen, ihr seid auch intelligent genug, die Selbstironie zu verstehen | |
| und zu schätzen. Das funktioniert, wie sich an den Kommentarspalten ablesen | |
| lässt oder an den Likes: Mehr als 155.000 allein für Folge 2 der „Boah, | |
| Bahn!“-Serie. | |
| Aber das Ablenkungsmanöver ist doch zu durchsichtig. Die echten Probleme, | |
| ihre Ursachen und Verantwortlichen werden durch die Parodien nämlich nur | |
| scheinbar thematisiert. Und die bahntypische Business-Strategy, bei Zügen | |
| wie bei Menschen auf Verschleiß zu fahren, hört auch nicht deshalb auf, | |
| weil es eine geile Videokampagne gibt. Rund 30.000 Stellen will die Bahn in | |
| den nächsten Jahren einsparen. Und trotzdem kostet das Snickers im | |
| Bahn-Bistro 2,50 Euro. | |
| In Wirklichkeit ist es ja auch nicht das Zugpersonal, das für schlechte | |
| Stimmung sorgt, sondern das Gefühl, einem Laden ausgeliefert zu sein, der | |
| mit seinen Geld-aus-der-Tasche-zieh-Methoden wie ein windiges | |
| Gebrauchtwagenunternehmen wirkt, das trotz Quasimonopolstellung und | |
| Steuerfinanzierung keine Systemänderung hinbekommt, erst recht keine | |
| Entlastung des eigenen Personals. | |
| Die Zugbegleiter müssen nun nicht nur Hooligankotze aufwischen, sondern | |
| auch noch die auf der Strecke gebliebenen Sympathiepunkte für ihr materiell | |
| und immateriell marodes Unternehmen aufsammeln. | |
| Das Beste, was nach dieser Kampagne passieren kann, ist, dass sich | |
| möglichst viele Passagiere künftig einfach besser benehmen. Der Weg zu mehr | |
| Anerkennung führt aber nicht über teure Imagekampagnen, sondern indem man | |
| die Reisenden ernst nimmt. Solange es für Zugreisende aber keine | |
| Alternative zur Deutschen Bahn gibt, haben sie nur die Wahl zwischen | |
| Ohnmacht und Lachen. Danke, Anke. | |
| 14 Oct 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Bahnstrategie-des-Verkehrsministers/!6112679 | |
| [2] /Petition-fuer-Familienreservierung/!6115406 | |
| [3] https://www.youtube.com/playlist?list=PLD46GgfzSvy9rvPD1zWMw1CfRb9TQBjyK | |
| [4] /Toxische-Maennlichkeit/!6039029 | |
| ## AUTOREN | |
| Sunny Riedel | |
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