| # taz.de -- Schenkung eines Lesers: Fast eine Tonne taz | |
| > Es gibt nur wenige Orte, an denen die komplette Print-taz zu finden ist. | |
| > Einer davon ist das Internationale Zeitungsmuseum in Aachen. | |
| Bild: Hier gibt es noch Gedrucktes: das Zeitungsmuseum in Aachen | |
| Aachen taz | Andreas Düspohl, 58, der Leiter des Internationalen | |
| Zeitungsmuseums Aachen, führt mich gleich zu zwei taz-Pretiosen seines | |
| Hauses: Eine der Nullnummern von 1978 („Null-Nr 1, 22. 9. 1978“) und | |
| [1][die Ausgabe mit der dicken Schlagzeile „Heute gibt’s Kohl“] zum | |
| 25-jährigen Jubiläum 2004, die der Genosse Kai Diekmann verantwortet hatte. | |
| „Wenn ein Mann von Bild die taz macht, fanden wir das sehr besonders.“ Und | |
| eben ausstellenswert. | |
| Beide Originaltitelseiten sind hinter Glas archiviert, an Schubladen | |
| herauszuziehen. 30 solcher Laden gibt es hier im ersten Ausstellungsraum; | |
| die taz belegt also zwei von 30, das ist ganz schön viel. Daneben ist etwa | |
| die Times aus London vom Tag nach der Waterloo-Schlacht 1815 ausgestellt, | |
| Bismarcks Emser Depesche oder der Amsterdamsche Courier, der seine | |
| Anzeigen, auch auf Seite 1, zur Unterscheidung vom redaktionellen Teil | |
| gedreht um 90 Grad gedruckt hat. Und auch die weltweit erste Zeitung: Aviso | |
| Relation von 1609 aus Straßburg ist hier. | |
| ## Durchhalteparolen der NSDAP | |
| Das Zeitungsmuseum, untergebracht in einem massiven Steinhaus von 1495, | |
| sammelt seit 1962 vor allem Erst- und Letztausgaben. Die Aachener | |
| Nachrichten waren am 24. 1. 45 die erste deutsche Nachkriegszeitung, | |
| erschienen drei Monate nach der Befreiung der Stadt. Headline: „Russischer | |
| Siegeszug rollt weiter“. Währenddessen herrschten in den Blättern im großen | |
| Rest des Reiches noch Durchhalteparolen der NSDAP vor, hier dokumentiert | |
| durch eine Zeitung vom April 1945 „Der Panzerbär – Kampfblatt für die | |
| Verteidigung Gross-Berlins“. | |
| „Kulturhistorisch viel wertvoller“ als politische Aussagen findet Düspohl | |
| die Kleinanzeigen: „Was ist den Menschen wichtig, welche Mode wird | |
| beworben, wer verkauft was? So entsteht das Bild einer Zeitkapsel.“ In | |
| Aachen ging es in den ersten Wochen nur ums Überleben, Tauschangebote, | |
| Kleindeals, wer hat Eier oder Kartoffeln? „Bis im April plötzlich jemand | |
| inserierte: Klavierlehrer gesucht. Da ging es erstmals um etwas Neues.“ | |
| Düspohls Fazit: „Kleinanzeigen sind Geschichtsstunde.“ | |
| Einen Raum weiter ist auf einem mehrere Quadratmeter großen Display eine | |
| Weltkarte zu sehen, auf der aus jedem Land eine Beispieltitelseite | |
| hinterlegt ist, die durch Berührung herangeholt werden kann – etwa | |
| [2][<i>Asahi Shimbun</i> aus Japan], die einst auflagenstärkste Zeitung der | |
| Welt mit 7,9 Millionen Exemplaren (heute noch 4). Und auch ein Blatt aus | |
| Nordkorea: „Meine Lieblingszeitung“, sagt Düspohl und zeigt auf das | |
| halbseitige Titelbild eines stramm kommunistischen Kaders mit geschätzt 300 | |
| winzigen Köpfen. „Schick, oder? Und da, ein Kopf ist rausretouchiert.“ | |
| Auf die erdenweite Vollständigkeit ist der Museumsleiter durchaus stolz. | |
| Aber dann entdecken wir das Bild einer walisischen Zeitung, im Nachweis | |
| steht: Schottland. Glatt daneben, aber kann man doch ändern, oder? „Oje, | |
| das wird schwierig“, sagt Düspohl, dem als Historiker große Genauigkeit | |
| wesenseigen ist. Die Digitalisierung lasse nicht immer eine einfache | |
| Korrektur zu, weil die Zugriffsmöglichkeiten auf das System erst geklärt | |
| werden müssen. | |
| Immer wieder gab es im Zeitungsmuseum Sonderausstellungen: Mal zu den | |
| 68ern, zu Fake News oder 2017, sehr beeindruckend, zur Rolle des heimischen | |
| Fußballklubs Alemannia in der Nazizeit. Derzeit ruhen ärgerlicherweise die | |
| Sonderevents. Grund: Das städtische Standesamt ist marode, das | |
| Museumsterrain für Spezialausstellungen wird als Trauraum gebraucht. | |
| ## Der taz-Leser aus Marburg | |
| Alle Ausgaben der Print-taz gibt es komplett im taz-Archiv, in der | |
| Staatsbibliothek Berlin und als Mikrofilm im Institut für Zeitungsforschung | |
| Dortmund. Und jetzt im Internationalen Zeitungsmuseum. Denn taz-Leser | |
| Christian Weingran aus Marburg, ehemals wohnhaft in Aachen, hat dem Museum | |
| seine komplette Sammlung geschenkt. | |
| „Von der ersten Nullnummer an“ sei er taz-Leser, sagt Weingran am Telefon. | |
| Lückenlos habe er alles aufgehoben. „Ich bin halt so’n Sammler.“ Die ers… | |
| rund 35 Jahrgänge habe das Museum vor Jahren per Transporter in Marburg | |
| geholt, „seitdem liefere ich nach, einmal im Jahr, wenn ich mal wieder nach | |
| Aachen fahre. Sind so anderthalb Bananenkartons jedes Mal.“ Demnächst kommt | |
| er locker mit einem halbvollen Karton aus, wegen der „Seitenwende“, dem | |
| Ende der gedruckten Werktags-taz. | |
| Aktuell zählt das Zeitungsmuseum 13.133 taz-Exemplare. Andreas Düspohl | |
| führt mich in den Keller eines Nebengebäudes. Hier lagern sie, in | |
| hellgrauen, säurefreien Stülpschachteln, umgeben von dem leichten | |
| Säuregeruch, den Druckwerke halt so ausströmen. 60 Regalmeter voll. Fast | |
| eine Tonne taz, schätzen wir. | |
| 12 Tonnen anderer Blätter, an die 300.000 Exemplare, sorgen auch hier für | |
| eine prominente Umgebung: jahrzehnteweise Times, auch Prawda, Iswestija und | |
| andere. Die taz-Katalogisierung ist abgeschlossen, nach und nach werden | |
| alle Ausgaben gescannt. „Aber“, sagt Andreas Düspohl, „die fragileren | |
| Schriften aus dem 19. Jahrhundert gehen vor.“ Papier mag geduldig sein, | |
| aber es hält nicht ewig. | |
| 15 Oct 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /fileadmin/verlagsdateien/pdfs/titelseiten/Heute_gibt_s_Kohl_27_9_03.pdf | |
| [2] /Massive-Kritik-an-japanischer-Zeitung/!5031582 | |
| ## AUTOREN | |
| Bernd Müllender | |
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