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# taz.de -- Immobilienmakler vor der Tür: Bedrohte Punks im Ausgehviertel
> Seit den 80er Jahren gibt es das Hausprojekt Friesenstraßen 94, mitten in
> Bremens beliebtem Steintorviertel. Doch seine Zukunft ist ungewiss.
Bild: Im Hochparterre wohnt sie mit ihrem Freund Marius
Bremen taz | Nein, hinein können Sie hier eigentlich nicht, jedenfalls
nicht ohne persönliche Einladung. Die Friesenstraße 94 ist ein Wohnhaus.
Neun Menschen wohnen hier in einem sogenannten Alt-Bremer-Haus mit
Hochparterre, mitten in einem idyllisch wirkenden Kiez mit
Kopfsteinpflasterstraßen. Außer ein paar wilden Graffiti an der Fassade
weist wenig darauf hin, dass das Haus mit der Nummer 94 etwas Besonderes
sein könnte.
Drinnen sieht das schon anders aus. Türen und Wände sind mit Plakaten
geschmückt, für Punk-Konzerte und Demos, der Treppenteppich hat schon
bessere Zeiten gesehen. Klassischer WG-Charme also.
In der Küche im ersten Stock liegt Spielzeug herum. Der kleine Sohn einer
Bewohnerin fragt, ob ich mit ihm Billard spielen will. Er hat dafür schon
ein paar Blatt Papier sorgfältig zu Kugeln geknüllt und auf dem Küchentisch
verteilt. Aber wir müssen uns ja noch das Haus ansehen, wo Susi, eine
Mitbewohnerin, im Souterrain eine Krankenstation für verletzte Tauben
eingerichtet hat. Im Hinterhof hat sie ein paar Käfige aufgestellt, in
denen sie Igel aufpäppelt.
## Taube auf dem Schoß
Im Hochparterre wohnt sie mit ihrem Freund Marius, den sie seit einem
schweren Unfall pflegt. Bei unserem Besuch schaut er fern, auf seinem Schoß
eine Taube, die sich auch von dem großen Hund nicht einschüchtern lässt,
der auf dem Boden liegt und neugierig aufschaut. Die zweite Ebene mit
Hochbett hat Marius damals selbst eingebaut, erzählt Susi.
Auch die anderen Menschen im Haus sind vielfältig engagiert, zum Beispiel
beim Kunstprojekt „Köfte Kosher“, das mit einem Gedenkpavillon an die Opfer
rechter Gewalt erinnert. Sie machen Musik, kochen in der Volksküche oder
organisieren Konzerte im Alten Sportamt und dem selbstverwalteten
Freizeitheim „Die Friese“.
Dass dieses Engagement heute besonders wichtig ist, versteht sich
eigentlich von selbst. Auch und gerade in einem Stadtteil wie dem Steintor,
der mit dem benachbarten Ostertor das wohl wichtigste Bremer Ausgehviertel
ist. Er ist deshalb ein Brennpunkt der Gentrifizierung geworden, auch wenn
er wegen offenem Drogenhandel und Leerstand immer wieder ins Gerede kommt.
Schon in den 1980er Jahren sorgte in der Friesenstraße der Drogenstrich für
Unmut, alle Jahre wieder [1][lieferten sich Angehörige der autonomen Szene
Kämpfe mit der Polizei] auf der 500 Meter weiter gelegenen
Sielwall-Kreuzung, dem Herzstück des „Viertels“, wie Ostertor und Steintor
von Bremern meist liebevoll genannt werden.
Damals hatte Ortsamtsleiter Dietrich „Hucky“ Heck (Grüne) die Idee, ein
„Punk-Haus“ einzurichten, in dem „langzeitarbeitslose Jugendliche unter
Aufsicht malochen“ sollten. Der Verein Klick e. V., ein von dem rührigen
Journalisten Erwin Bienewald gegründetes Zeitungsprojekt für Kinder und
Jugendliche, kaufte das Haus in der Friesenstraße für 180.000 Deutsche
Mark, die Stadt steuerte weitere 140.000 Mark bei, die Punks sollten via
Arbeitsbeschaffungsmaßnahme das Haus renovieren. „Punks essen keine
Kinder“, versicherte Heck den Mitgliedern einer „Anwohnerinitiative“, die
im Winter 1988 ihre Sorgen an die Öffentlichkeit getragen hatte.
## Wohnungsmarkt gesättigt
Heute präsentiert sich das Quartier zwar nach wie vor bunt, mit Boutiquen,
Kiosken, Dönerläden, Burger-Restaurants, Cafés, Clubs und Kneipen, aber der
Wohnungsmarkt ist gerade im Steintor gesättigt. Studierende ziehen längst
in weniger zentrale Stadtteile, während das eingesessene alternative
Bildungsbürgertum [2][sich über den Lärm des Ausgehpublikums beschwert].
Das Haus in der Friesenstraße 94 gehört heute Erwin Bienewalds Stiftung
Maribondo di Floresta, die in Bremen und Umgebung eine Reihe von Projekten
betreibt, in denen Menschen mit Beeinträchtigung oder anderen
Schwierigkeiten Unterstützung erhalten.
Damit wäre eigentlich also alles in Butter, und die Punks aus der
Friesenstraße könnten weiter in Frieden leben und den Stadtteil bereichern.
Allerdings tauchte das Haus 2019 plötzlich auf dem Immobilienmarkt auf. Die
Stiftung sei damals schnell zurückgerudert, Bienewald habe den
Bewohnerinnen und Bewohner per Handschlag versichert, sie könnten bleiben,
erzählt Gunnar Melchers, der lange in dem Haus wohnte.
Vor zwei Wochen gab es allerdings erneut Unruhe, als ein Makler mit
Kaufinteressenten vor der Tür stand. Die Stiftung habe davon anscheinend
nichts gewusst, erzählen die Bewohnerinnen und Bewohner. Welche
Konsequenzen ein Verkauf für sie haben würde, ist unklar. Dass sie auf dem
Bremer Wohnungsmarkt etwas Vergleichbares finden könnten, ist
unwahrscheinlich. Für das Viertel wäre das Ende des Projekts ein weiterer
Schritt in Richtung kultureller Verödung.
4 Oct 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Andreas Schnell
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