| # taz.de -- Klimakrise eskaliert: Die Angst vor drei Grad Erderhitzung | |
| > Deutsche Klimaexpert*innen warnen davor, dass die Klimakrise noch | |
| > deutlich schneller eskaliert als erwartet. Das ist in der Fachwelt | |
| > umstritten. | |
| Bild: Die Schornsteine des Harrison-Kohlekraftwerks in Haywood, West Virginia i… | |
| Berlin taz | Das hat für Furore gesorgt: „Bereits bis 2050 besteht das | |
| Risiko einer Erwärmung um 3 Grad“, warnten die Deutsche Meteorologische | |
| Gesellschaft und die Deutsche Physikalische Gesellschaft in einem | |
| gemeinsamen [1][Aufruf] vom Donnerstag. Es mehrten sich die Anzeichen, dass | |
| die globale Erwärmung schneller als bisher erwartet fortschreitet. „Daher | |
| ist dringendes Handeln geboten.“ | |
| Eine Erderhitzung um 3 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau hätte | |
| katastrophale Auswirkungen: Im Sommer würden Hitzewellen mit unerträglichen | |
| und gesundheitsgefährdenden Temperaturen die Regel. Manche Regionen der | |
| Welt, in denen es jetzt schon heiß ist, dürfte der weitere | |
| Temperaturanstieg unbewohnbar machen. Zudem wären alle Küstenregionen | |
| weltweit bedroht, weil mit einem enormen Meeresspiegelanstieg zu rechnen | |
| wäre. | |
| Der Anbau von Lebensmitteln wäre deutlich erschwert, etwa durch die | |
| Ausbreitung von Wüsten oder das Verschwinden der Gletscher, deren | |
| natürliches Schmelzwasser bislang zur Bewässerung von Feldern und Äckern | |
| beiträgt. Heftigere Sturmfluten wären zu erwarten. Die Liste an schweren | |
| Folgen für alle Lebewesen ließe sich noch lange fortführen. | |
| Deshalb hat sich die internationale Gemeinschaft mit dem Pariser | |
| Weltklimaabkommen das Ziel gesetzt, die Erderhitzung auf „deutlich unter 2 | |
| Grad“ und möglichst sogar bei 1,5 Grad zu begrenzen. | |
| ## 2024 schon über der 1,5-Grad-Grenze | |
| Die nötigen Schlussfolgerungen, nämlich ein schnelles Ende der fossilen | |
| Energienutzung einzuleiten, hat aber bislang kaum eine Regierung wirksam | |
| gezogen. Deshalb sind Warnungen über eine Erderhitzung von durchschnittlich | |
| 3 Grad nicht neu – bezogen sich aber bisher meist auf 2100. | |
| Der [2][Climate Action Tracker], ein Projekt der Thinktanks Climate | |
| Analytics und New Climate Institute, kommt beispielsweise zu dem Schluss: | |
| Wenn es bei den klimapolitischen Maßnahmen bleibt, die bisher umgesetzt | |
| sind, ist die Erde bis 2100 um 2,7 Grad heißer als vor der | |
| Industrialisierung. Wäre der Punkt schon ein halbes Jahrhundert vorher | |
| erreicht, nämlich in nur 25 Jahren, bliebe viel weniger Zeit für die | |
| Anpassung an die neuen Gegebenheiten. | |
| Die Frage, ob und wie stark sich die Klimakrise gegenüber vorherigen | |
| Annahmen beschleunigt, wird in der Fachwelt allerdings kontrovers | |
| diskutiert. Auf ein erhöhtes Tempo weisen vor allem die Temperaturrekorde | |
| der vergangenen Jahre hin. [3][2024 war beispielsweise das erste | |
| Kalenderjahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, das durchschnittlich | |
| mehr als 1,5 Grad heißer war als das vorindustrielle Niveau]. | |
| In der Klimaforschung gilt erst ein Zeitraum von 30 Jahren als ausreichend, | |
| um statistisch robuste Aussagen über das Klima treffen zu können. Das ist | |
| also schlicht noch nicht möglich. Was sagen Fachkolleg*innen aus der | |
| Klimaforschung zu der Warnung vor einer Erderhitzung um 3 Grad schon im | |
| Jahr 2050? | |
| Christian Franzke, Klimaphysiker an der südkoreanischen Universität Busan, | |
| weist darauf hin, dass Klimaforscher*innen mindestens 30 Jahre | |
| brauchen, um sicher über Trends reden zu können. „Andererseits sehen wir | |
| keine Anzeichen, dass sich die Erwärmung abschwächt“, so der | |
| Wissenschaftler. „Von daher können wir 2050 einer Erwärmung von drei Grad | |
| Celsius nah sein, da die meisten Länder – auch Deutschland – nicht schnell | |
| genug ihre Treibhausgasemissionen auf null reduzieren; eher emittieren wir | |
| immer mehr.“ | |
| ## „Kein wissenschaftlicher Konsens“ | |
| Andere sind deutlich skeptischer. „Aus meiner Sicht gibt es keine fundierte | |
| wissenschaftliche Grundlage für die Annahme, dass sich die Welt bis 2050 um | |
| drei Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Niveau erwärmen | |
| könnte“, sagt Bjorn Stevens, der die Abteilung Klimaphysik am Hamburger | |
| Max-Planck-Institut für Meteorologie leitet. „Aus historischen | |
| Aufzeichnungen wissen wir, dass die Temperatur nicht von Jahr zu Jahr | |
| gleichmäßig ansteigt, sondern oft größere Sprünge erlebt, auf die eine | |
| geringere Erwärmung oder eine Erwärmungspause folgt.“ | |
| Die globale Erwärmung verlaufe ziemlich genau wie vorhergesagt. „Ein großer | |
| Unterschied zur Vergangenheit besteht darin, dass sie nun einen Punkt | |
| erreicht hat, an dem die Veränderungen deutlicher spürbar werden“, so der | |
| Wissenschaftler. Es gebe keinen wissenschaftlichen Konsens darüber, dass | |
| sich die Erwärmung beschleunigt. | |
| „Nicht für unmöglich, aber doch für sehr unwahrscheinlich“ hält Helge | |
| Gößling, Klimaphysiker am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven, eine | |
| Erwärmung um drei Grad Celsius bis 2050. „Dazu müssten wohl mehrere ‚worst | |
| cases‘ zusammentreffen: Ein starker weiterer Anstieg der | |
| Treibhausgaskonzentrationen durch starke Emissionen und schwache | |
| Kohlenstoffsenken kombiniert mit einer Klimasensitivität am oberen Ende des | |
| Unsicherheitsbereichs, sowie ein starker weiterer Rückgang der | |
| Aerosolkonzentrationen kombiniert mit einer stark kühlenden Aerosol-Wirkung | |
| – welche dadurch wegfällt.“ | |
| Mit Aerosolen sind Kleinstpartikel in der Luft gemeint. Sind sie dunkel, | |
| zum Beispiel Ruß, absorbieren sie Sonnenlicht und tragen zur Erderhitzung | |
| bei. Hellere Teilchen reflektieren das Sonnenlicht hingegen und kühlen die | |
| Erde so. Wie stark, ist noch Gegenstand der Forschung. Aerosole landen auf | |
| natürlichen Wegen in der Atmosphäre, etwa bei Vulkanausbrüchen. | |
| Sie entstehen allerdings auch bei der Verbrennung fossiler Energieträger, | |
| zum Beispiel in der Industrie, in Autos, Schiffen und Flugzeugen. Nutzt man | |
| diese weniger oder stellt sie auf sauberere Technologien um, fällt neben | |
| dem (überwiegenden) erderhitzenden Effekt von Kohle, Öl und Gas auch der | |
| kühlende weg. | |
| Dass sich die Erderwärmung beschleunigt, hält Gößling aber grundsätzlich | |
| für plausibel. „Die längerfristige Erwärmungsrate lag seit den 70er Jahren | |
| bei ungefähr 0,2 Grad Celsius pro Dekade, wohingegen sie in den letzten 10 | |
| bis 20 Jahren eher im Bereich von 0,25 bis 0,3 Grad Celsius pro Dekade | |
| lag“, so der Wissenschaftler. | |
| ## „Kein Grund zum Zurücklehnen“ | |
| Auch Karsten Haustein vom Institut für Meteorologie an der Universität | |
| Leipzig sieht „valide Indizien“ dafür, dass sich die Erderwärmung | |
| möglicherweise beschleunigt. Aber: „Die drei Grad Celsius bis 2050 halte | |
| ich für etwas schwieriger, da der Temperaturanstieg sich auf deutlich über | |
| 0,5 Grad pro Dekade erhöhen müsste, was die derzeitige Tendenz von 0,3 Grad | |
| pro Dekade nicht hergibt.“ | |
| Haustein warnt aber davor, aus dieser Unsicherheit das falsche politische | |
| Fazit zu ziehen: „Selbst 2 bis 2,5 Grad im Jahr 2050 sind kein Grund zum | |
| Zurücklehnen.“ | |
| Der Feststellung der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft und der | |
| Deutschen Physikalischen Gesellschaft in ihrem Aufruf, dass dringendes | |
| Handeln geboten sei, widerspricht keiner der Experten. | |
| 26 Sep 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://extremwetterkongress.org/wp-content/uploads/2025/09/DPG_Klimaaufruf… | |
| [2] https://climateactiontracker.org/global/cat-thermometer/ | |
| [3] /Klimakrise/!6055254 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Schwarz | |
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