| # taz.de -- Die Wahrheit: Ade, Sommerloch, es wird kalt und kälter | |
| > Die Wahrheit-Sommerserie „Wahre Originale“ (Ende): Das legendäre | |
| > taz-Sommerloch-Team (TST), dechiffriert vom Aushilfshausmeister. | |
| Bild: Der Vogelsberg ist auch zur sommerlichen Hochsaison idyllisch, aber ereig… | |
| Es gibt Menschen oder Dinge, die sind einzigartig. Wahre Originale oder | |
| Unikate. Die herausragen aus dem flachen Tal des Alltags. Und dennoch nicht | |
| sofort in ihrer außergewöhnlichen Schönheit oder überraschenden Wirksamkeit | |
| erkannt werden. Aber dafür gibt es ja die Wahrheit. Die einige Exemplare | |
| dieser irisierenden Ausnahmeerscheinungen ins strahlende Licht der | |
| Wahrnehmung rückt. | |
| Das sogenannte Sommerloch der Medien erklärt sich aus den Schulferien der | |
| Kinder von Redaktionsmitgliedern. Weil diese im Sommer verreisen, sind die | |
| Redaktionen personell ausgedünnt und haben wenig Stoff, sodass sie jeden | |
| Scheiß wegdrucken. Zur Freude der Autoren, deren Manuskripte in dieser Zeit | |
| nicht lange liegen. Als die taz 1985 noch täglich die Kacke des Seins | |
| umgraben wollte, versuchte sie etwas gegen diese gefürchtete Flaute zu | |
| unternehmen – und gründete das taz-Sommerloch-Team, kurz TST. | |
| Die fünfköpfige Mannschaft, hinzu kam noch ein „Hämewart“ (Edda Urban), | |
| nahm also vor 40 Jahren auf dem Dauercamperareal des Zeltplatzes am | |
| Nieder-Mooser See in Hessen Quartier und berichtete täglich (!) über das | |
| aktuelle Geschehen dort im Naturpark Hoher Vogelsberg. | |
| Als Erstes interviewten sie den Bürgermeister Wyrtki im nahen Herbstein. | |
| Dort hatte der WDR den Mittelpunkt der BRD ermittelt. Wyrtki erzählte: „Wir | |
| haben dazu eine Ehe-Allee angelegt – jedes Ehepaar, das hier getraut wird, | |
| bekommt drei Birken und eine Flasche Bier, und die pflanzen sie dann ein, | |
| dadurch ist mit der Zeit eine richtige Allee entstanden. Die kommen von | |
| überall her die Leute, um sich bei uns trauen zu lassen.“ | |
| ## Niederlage in der Anglerecke | |
| Weil es dann eine Woche lang regnete, durchforstete das TST erst einmal in | |
| der Lauterbacher Stadtbibliothek Literatur über den vulkanischen | |
| Vogelsberg. Erwähnt sei hier ein landschaftliches Zitat des Automobilisten | |
| mit SS-Vergangenheit und späteren Porsche-Aushängeschilds Fritz Huschke von | |
| Hanstein: „Ich hatte mir das alles hier viel flacher vorgestellt. Beim | |
| Rückwärts-Einparken am Hang hatte ich doch leichte Schwierigkeiten.“ | |
| Als es rund um den Nieder-Mooser See dann endlich wieder aufklarte, zeigte | |
| der Bürgermeister Wyrtki dem TST das tiefste Bohrloch Hessens, das er | |
| finanziert hatte für das Herbsteiner Thermalbad. Danach versuchte das TST | |
| Kontakte zu den Campern zu knüpfen. Am Stammtisch der Zeltplatz-Gaststätte | |
| Neukum wurde gerade diskutiert, ob das „griechische Terrorurteil“ („einen | |
| Hund einmal baden lassen = 110 Mark Strafe“) auch auf Nieder-Mooser | |
| Verhältnisse übertragbar sei. In der „Anglerecke“ wurden für badende Hun… | |
| sogar noch härtere Strafen gefordert. Dort musste das TS-Team auch den | |
| ersten Punkt auf seinem Niederlagenkonto bonieren: Eine erste | |
| Kontaktaufnahme erstickte im Gelächter der Petrijünger, als einer von uns | |
| mutmaßte, bei dem auf Holz genagelten Karpfenkopf handele es sich um ein | |
| Robbenbaby. | |
| Über Zeltplatzlautsprecher wurde den Campern am 14. August 1985 die | |
| Teilnahme an einer Waldbegehung – veranstaltet von den Naturfreunden | |
| Lauterbach und den Grebenhainer „Grünspechten“ – nahegelegt. „Es ging | |
| darum, sich von dem immer kritischer zuspitzenden Zustand der Wälder – auch | |
| im Vogelsberg – ein realistisches Bild zu verschaffen. Euer TS-Team“, las | |
| man damals in der taz, „natürlich mittenmang …“. | |
| ## Strolch-Exkursionen nach Helgoland | |
| Ich kürze ab: Zwar ging es noch eine ganze Weile so weiter mit dieser Art | |
| von Sommerlochberichten, doch als der Sommer zu Ende ging und sich das | |
| Personalloch langsam wieder füllte, bedeutete man dem TS-Team, seine | |
| Kolumnentätigkeit langsam einzustellen. Es hatte aber Blut geleckt qua | |
| öffentlicher Aufmerksamkeit, vieler Leserbriefe und heftiger Kontroversen – | |
| und wollte nicht mehr aufhören. | |
| In seiner Verzweiflung besuchte das TST erst einmal die „ ‚Strolch‘-Woche… | |
| in der Kreisstadt Lauterbach (der „Strolch“ ist ein Weichkäse aus der | |
| Region), verbunden mit einer Einkaufsexkursion zu Aldi. Käsesensibilisiert, | |
| wie es inzwischen war, entdeckte es dort einen Aldi-Käse, dem man eine | |
| „Benno-Martiny-Medaille“ in Bronze für guten Käse verliehen hatte (Martiny | |
| hatte einst die Milchprüfung eingeführt). Die Medaille prangte auf der | |
| Verpackung. Das TST kaufte den Käse, schnitt die Medaille aus und machte | |
| daraus eine „Benno-Martiny-Medaille in Bronze für sauberen Journalismus“. | |
| Diese klebte es auf das Manuskript für die nächste TST-Kolumne vom | |
| Nieder-Mooser See. | |
| Sie handelte davon, dass man dem TST im Rahmen der Lauterbacher „ | |
| ‚Strolch‘-Woche“ diese Medaille verliehen hatte. Nachdem es die Seiten in | |
| die Redaktion geschickt hatte, kam prompt ein „Glückwunsch!“ aus der | |
| Berliner Zentrale zurück, verbunden wenig später mit einer zugesagten | |
| Verlängerung der TST-Berichterstattung – allerdings nicht mehr täglich, | |
| sondern wöchentlich. Und weil es mittlerweile kalt geworden war, widmete | |
| sich das TS-Team einfach anderen Themen: So wandelte man etwa in der | |
| „grauen Stadt am Meer“ Husum, auf den Spuren von Theodor Storm. | |
| Anschließend ging es nach Helgoland – auf den Spuren eines ausgefallenen | |
| Tote-Hosen-Konzerts. | |
| Zuletzt, bereits nach der Wende, schickte mich die taz allein als | |
| taz-Sommerlochteam los: Ich sollte täglich von Urlaubsorten an der Nord- | |
| und Ostsee berichten. Weil ich nirgends ein Hotelzimmer vorbestellen | |
| konnte, hatte ich für die Recherche am Ende 8.000 DM ausgegeben, aber von | |
| der taz bekam ich insgesamt nur 4.000 DM wieder. Und so kam es, dass mir im | |
| Lohnbüro nahegelegt wurde, um meine taz-Schulden loszuwerden, sollte ich | |
| doch im nächsten Sommer den Hausmeister vertreten, der Kinder hatte und mit | |
| ihnen Urlaub machen wollte. Das tat ich dann auch. Meine Recherchereisen | |
| reichen allerdings seitdem nicht mehr weiter als bis zum nächsten Baumarkt. | |
| Zudem schob man meine Kolumne schon bald in die damals neuen taz-Blogs ab – | |
| unter der großsprecherischen Überschrift [1][„Hier spricht der | |
| Aushilfshausmeister“]. | |
| 6 Oct 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/ | |
| ## AUTOREN | |
| Helmut Höge | |
| ## TAGS | |
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