| # taz.de -- Die Wahrheit: Kaltblütig im Paradies | |
| > Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (227): Die Meerechsen | |
| > der Galapagos-Inseln sind einfach zu cool für ihre Fressfeinde. | |
| Bild: Seit Jahrmillionen schon setzen Meerechsen auf den bewährten Godzilla-Lo… | |
| Die Meerechse ist eine nur auf den Galapagos-Inseln vorkommende Leguanart, | |
| die sich wie alle Leguane von Pflanzen ernährt. Sie ist jedoch die einzige, | |
| die ihre Nahrung im Meer sucht. Auf animalia.bio heißt es: „Als | |
| wechselwarme Tiere können die Meerechsen nur eine begrenzte Zeit auf | |
| Futtersuche im kalten Meer verbringen. Sie tauchen bis zu einer halben | |
| Stunde im flachen Wasser bis zu einer Tiefe von 15 Metern und weiden Algen | |
| ab. Danach müssen sie sich wieder in der Sonne aufwärmen.“ Um unter Wasser | |
| nicht von Haien angegriffen zu werden, können sie ihren Herzschlag so stark | |
| verlangsamen, dass die Raubfische sie nicht mehr wahrnehmen. Viele Haiarten | |
| orten ihre Beute über deren Herzschlag. | |
| Die Biologin Carmen Rohrbach wurde in der DDR ausgebildet und wollte dann | |
| schwimmend nach Dänemark flüchten, wurde dabei jedoch verhaftet. Nachdem | |
| die BRD sie aus dem Gefängnis freigekauft hatte, arbeitete sie ab 1979 als | |
| Verhaltensforscherin am Max-Planck-Institut in Seewiesen und erforschte von | |
| 1980 bis 1982 Meerechsen auf einer der Galapagosinseln. Danach war sie sich | |
| sicher: | |
| ## Monster der vollkommenen Friedfertigkeit | |
| „In meinem Beruf als Biologin werde ich nicht weiterarbeiten. Zu deutlich | |
| ist mir meine fragwürdige Rolle geworden, die ich als Wissenschaftlerin | |
| gespielt habe. Ich kann nicht länger etwas tun, dessen Sinn und Nutzen ich | |
| nicht sehe.“ Sie erlebte zwar ein wunderbares Forschungsjahr auf „ihrer“ | |
| kleinen unbewohnten Insel, „doch ich habe es auf Kosten der Meerechsen | |
| getan, gerade dieser Tiere, die die Friedfertigkeit und das zeitlos | |
| paradiesische Leben am vollkommensten verkörpern. Ausgerechnet diese Tiere | |
| musste ich mit meinen Fang- und Messaktionen verstören und belästigen. Da | |
| ich nun einmal diese vielen Daten gesammelt habe, werde ich sie auch | |
| auswerten und zu einer Arbeit zusammenstellen. Diese Arbeit wird zugleich | |
| der Abschluss meiner Tätigkeit als Biologin sein, denn ich kann nicht | |
| länger etwas tun, dessen Sinn und Nutzen ich nicht sehe. Und erst recht | |
| könnte ich es nicht mehr verantworten, Tiere in Gefangenschaft zu halten | |
| und womöglich sogar mit ihnen zu experimentieren. […] Ich werde nach | |
| Deutschland zurückkehren und versuchen, eine Aufgabe zu finden, die mir | |
| sinnvoll erscheint,“ schrieb sie in ihrem Bericht „Inseln aus Feuer und | |
| Meer: Galapagos – Archipel der zahmen Tiere“ (1999). Sie wurde dann | |
| Reiseschriftstellerin. | |
| Der Direktor des Max-Planck-Instituts in Seewiesen Martin Wikelski hielt | |
| sich danach auch einige Jahre auf den Galapagos-Inseln auf und erforschte | |
| ebenfalls Meerechsen. In seinem Buch „The Internet of Animals“ (2024) | |
| schreibt er: Obwohl sein Team sich dort bemühte, „die Tierwelt so wenig wie | |
| nur irgend möglich zu beeinflussen …, kommt es immer zu einer massiven | |
| Störung des natürlichen Gleichgewichts, sobald irgendwo Menschen | |
| auftauchen“. Erst recht, wenn sie die Tiere fangen und vermessen. | |
| Während der Paarungszeit kommt es zu einer weiteren „massiven Störung“. A… | |
| animalia.bio heißt es dazu: „Während der Fortpflanzungszeit im Dezember und | |
| Januar bilden die Männchen Reviere, in denen sie möglichst viele Weibchen | |
| versammeln und gegen andere Männchen verteidigen.“ Wenn jedoch Männchen von | |
| einer anderen Insel zu den Weibchen herüberschwimmen, die größer als deren | |
| Männchen sind, müssen sie sich zurückziehen. | |
| ## Giganten der sexuellen Selektion | |
| Wikelski veröffentlichte 2005 in den „Proceedings of The Royal Society“ | |
| eine Studie zur „Evolution der Körpergröße bei den Meeresleguanen der | |
| Galapagosinseln“. In der Zusammenfassung heißt es: „Hier gebe ich einen | |
| Überblick über den aktuellen Wissensstand zur Evolution der Körpergröße bei | |
| einer Gruppe von Inselreptilien und versuche, allgemeine Aussagen über die | |
| Mechanismen zu treffen, die die Körpergröße beeinflussen. | |
| Galapagos-Meeresleguane besiedeln alle 13 größeren Inseln dieses | |
| pazifischen Archipels und haben ein maximales Körpergewicht zwischen 900 | |
| und 12.000 Gramm. Die Verteilung der Körpergrößen entspricht nicht den | |
| mitochondrialen Kladen [Abstammungsgemeinschaften], was darauf hindeutet, | |
| dass sich die Körpergröße unabhängig von der genetischen Verwandtschaft | |
| entwickelt. Meeresleguane unterliegen keiner intra- und interspezifischen | |
| Nahrungskonkurrenz, und ihre Fressfeinde sind nicht größenabhängig, sodass | |
| diese Faktoren als selektive Einflüsse auf die Körpergröße ausgeschlossen | |
| werden können. Stattdessen stelle ich die Hypothese auf, dass die | |
| Körpergröße den Kompromiss zwischen sexueller und natürlicher Selektion | |
| widerspiegelt. Wir haben festgestellt, dass die sexuelle Selektion | |
| kontinuierlich größere Körpergrößen begünstigt. | |
| Große Männchen errichten Reviere und einige erzielen überproportionalen | |
| Fortpflanzungserfolg in den Paarungsgemeinschaften der Leguane. Weibchen | |
| wählen Männchen aufgrund ihrer Größe und Aktivität aus und sind somit für | |
| die beobachtete Verzerrung der Paarung verantwortlich. Allerdings werden | |
| große Individuen während El-Niño-bedingter Hungersnöte stark selektiert, | |
| wenn die Algen aus den Nahrungsgebieten im Gezeitenbereich verschwinden. | |
| Wir haben gezeigt, dass Unterschiede in der Höhe der Algenwiesen (‚Weiden‘) | |
| und thermische Einschränkungen für große Körpergrößen ursächlich für | |
| Unterschiede in der maximalen Körpergröße zwischen Populationen | |
| verantwortlich sind. Ich stelle die Hypothese auf, dass die Körpergröße | |
| vieler Tierarten einen Kompromiss zwischen Nahrungsbeschränkungen und | |
| sexueller Selektion widerspiegelt […].“ | |
| ## Spezialisten für weltweites Wohlbefinden | |
| Am Ende des Galapagos-Kapitels schreibt er: „Ich habe es mir zur | |
| Lebensaufgabe gemacht, die Verbindung zwischen Mensch und Tier von der | |
| menschlichen Seite aus zu verstehen.“ Die Verbindung von der Tierseite aus | |
| zu verstehen, wäre interessanter gewesen. Es geht ihm jedoch darum, „wie | |
| viel wir von der Natur lernen können […] auch und vor allem von dem | |
| Verhalten der Tiere. Die Verhaltensmuster, die sie entwickelt haben und die | |
| kurzfristigen Verhaltensanpassungen, zu denen sie fähig sind, werden der | |
| Menschheit den Weg in eine bessere Zukunft weisen. Ich denke, wir stimmen | |
| alle darin überein, dass eine Verbesserung unseres eigenen Wohlbefindens | |
| auf dem gesamten Planeten eine der wesentlichen Herausforderungen ist, mit | |
| denen wir es als Spezies zu tun haben.“ Eher müsste es ihm doch um eine | |
| Reduzierung oder Vereinfachung unserer ressourcenverschwendenden | |
| Lebensweisen gehen, aber vielleicht meint er das mit der „Verbesserung | |
| unseres Wohlbefindens“. Immerhin war er 2004 Co-Autor eines Berichts für | |
| die Max-Planck-Gesellschaft über den „Schutz der Galapagos-Meerechsen“. | |
| 22 Sep 2025 | |
| ## AUTOREN | |
| Helmut Höge | |
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