| # taz.de -- Evakuierungen aus der Ostukraine: Mit verängstigten Katzen und Pap… | |
| > Auf internationaler Bühne wird über die Ukraine verhandelt. Doch die | |
| > Menschen im Donbass wissen, dass ihr Schicksal sich eher in Pokrowsk | |
| > entscheidet. | |
| Bild: Die Familie des 43-jährigen Oleksij bereitet sich auf die Evakuierung au… | |
| Sorjane taz | Es regnet, ein grauer Himmel hängt über Feldern mit reifen | |
| Sonnenblumen. Solch ein Wetter wird normalerweise als unangenehm empfunden, | |
| nicht aber so im Donbass. Je mehr Wolken am Himmel, desto weniger russische | |
| Drohnen. Schlechtes Wetter für Drohnen ist gutes Wetter für die Menschen. | |
| In diesem Sommer wurde es auf den ukrainischen Straßen gefährlich: Drohnen | |
| fliegen auf Städte und Autobahnen, die im Frühjahr noch als abgelegene | |
| Gebiete galten. Die Autobahn Kramatorsk-Dobropillja ist für den zivilen | |
| Verkehr gesperrt. Die Umwege sind lang und in schlechtem Zustand. „Neue | |
| Karten alter Gebiete“, heißt es im ukrainischen Radio. Das melodische Lied | |
| wird von einem scharfen Signal unterbrochen – eine weitere ballistische | |
| Bedrohung für die östlichen Regionen kündigt sich an. | |
| Entlang der Straßen sind Arbeiten in vollem Gange: Mitarbeiter der | |
| kommunalen Verwaltung mähen den Rasen und flicken den Asphalt, das Militär | |
| rammt Holzpfähle in den Boden [1][und spannt Anti-Drohnen-Netze]. | |
| Bushaltestellen, Fußgängerüberwege, der zivile Verkehr sowie die Ausrüstung | |
| der ukrainischen Streitkräfte gehören zu ihren Aufgaben. | |
| Fast im gesamten Donbass sind Straßen mittlerweile mit Netzen überspannt, | |
| die vor Drohnen schützen sollen. Wie ein Bauernmädchen aus einem Märchen | |
| der Gebrüder Grimm – „weder angezogen noch ausgezogen“, weder vollständ… | |
| besetzt noch völlig frei. | |
| ## Zahl der Evakuierungen stark gestiegen | |
| Und während es im Osten der Ukraine in den letzten Wochen mehrfach Versuche | |
| gab, die ukrainische Frontlinie zu durchbrechen, und Meldungen von | |
| russischer Seite, [2][sie hätten den strategisch wichtigen Ort Dobropillja | |
| eingenommen], sprechen die Bewohner der Region Donezk fast gleichgültig | |
| über die große Politik. [3][Ihre Gedanken sind auf die Front gerichtet], | |
| die sich ihren Häusern nähert. „Das Schicksal unserer Region entscheidet | |
| sich in der Nähe von Pokrowsk, nicht auf der Weltbühne“, sagt der Fahrer | |
| des Evakuierungsbusses Serhij. In diesen Tagen sitzt er ständig am Steuer. | |
| Die Anzahl der Evakuierungen in der Ostukraine hat sich im letzten Monat um | |
| das 15-fache erhöht. Besonders betroffen sind die Regionen Donezk und | |
| Dnipropetrowsk, seit russische Truppen zehn Kilometer vorgerückt sind. Ein | |
| weißer Bus [4][der Mission Proliska] fährt die Dörfer an der Grenze der | |
| Regionen ab. Familien mit Kindern steigen ein, alte Menschen, verängstigte | |
| Katzen und sogar Papageien in Käfigen werden mitgenommen. Je härter ein | |
| Dorf getroffen wird, desto eher stimmen die Menschen einer Evakuierung zu. | |
| In Sorjane in der Region Dnipropetrowsk wartet der 43-jährige Oleksij seit | |
| dem Morgengrauen mit seiner Frau und seinen vier Kindern auf einen Bus. | |
| Davor hatte er versucht, nicht in Tränen auszubrechen, und sich darauf | |
| konzentriert, sein ganzes Leben in Taschen zu packen. Hinein passen jedoch | |
| nur Sachen für die Kinder. Oleksij hilft seiner Frau und dem Baby in den | |
| Bus und verabschiedet sich von seiner Mutter. Sie bleibt im Dorf, um auf | |
| die Tiere aufzupassen. | |
| Am Horizont sind Explosionen zu hören. Jetzt kann Oleksij seine Tränen | |
| nicht mehr zurückhalten. „Wir sind schon lange im Krieg, elf Jahre, aber | |
| zum ersten Mal ist er so nah an unserer Heimat“, sagt er, schließt die | |
| Türen des Kleinbusses und starrt aus dem Fenster, bis das Dorf um die Ecke | |
| verschwindet. | |
| ## Ständig neue Evakuierungsanfragen | |
| Nach dem dritten Dorf ist der Minibus überfüllt. Ständig erhalten die | |
| Freiwilligen neue Evakuierungsanfragen. Die letzte kommt aus dem Ort | |
| Meschowa, der derzeit angegriffen wird. Dort sind die Menschen nicht mehr | |
| telefonisch zu erreichen. Irgendwo dort versteckt sich eine Mutter mit | |
| einem elf Monate alten Kind auf dem Arm im Keller eines Hauses. Sie hat den | |
| Freiwilligen eine Sprachnachricht mit der Bitte geschickt, sie | |
| herauszuholen. Danach ist die Verbindung abgebrochen. | |
| „Sie soll einen Eimer oder einen Lappen in der Nähe des Kellers aufhängen, | |
| damit wir sie finden können. Wenn nicht morgen, dann übermorgen, aber wir | |
| werden sie auf jeden Fall herausholen“, sagt Jewhen Kaplin, [5][Leiter der | |
| humanitären Mission Proliska], zuversichtlich am Telefon. | |
| Die Evakuierten werden in ein Logistikzentrum in der Region Dnipropetrowsk | |
| gebracht. Dort herrscht ständig Gedränge. Erwachsene stehen Schlange, um | |
| Hilfe zu bekommen. Kinder spielen auf dem sonnenverbrannten Gras zwischen | |
| den Zelten der Hilfsorganisationen. | |
| ## Evakuierungskolonne unter Beschuss | |
| Aus der Menge sind aufgeregte Rufe zu hören. Busse, die an diesem Tag bei | |
| der Evakuierung von Menschen aus Biloserske unter Beschuss geraten sind, | |
| treffen im Zentrum ein. Hundert Meter von der Evakuierungskolonne entfernt | |
| ist eine Lenkbombe eingeschlagen. Alle Passagiere sind in Sicherheit, aber | |
| sichtbar verängstigt. Sie steigen aus dem beschädigten Bus und schütteln | |
| Glas- und Granatsplitter aus ihren Taschen und Kleidern. | |
| Eine blonde Frau, Tetjana aus Biloserske, überreicht dem Fahrer ein | |
| Metallstück, das an ihr vorbeigeflogen ist und das Busfenster zerbrochen | |
| hat: „Nur wenige Zentimeter von meinem Ohr entfernt. Ich habe nur ein | |
| Pfeifen gehört.“ | |
| Jetzt ist fast ganz Biloserske am Packen. Die Stadt hat kein Wasser mehr | |
| und wird mit russischen Präzisionsbomben und Drohnen beschossen. „Wir haben | |
| schon vergessen, wann wir das letzte Mal geschlafen haben. Die letzten | |
| sieben Tage haben wir im Keller gelebt. Glaub mir, es war mir egal, wohin | |
| ich gehen würde, solange ich bloß da herauskam“, sagt Tetjana und beginnt | |
| zu weinen. Vor einigen Tagen sind zwei ihrer Kollegen bei einem Angriff | |
| getötet worden. Sie hatten früher zusammen in einer Cafeteria gearbeitet. | |
| Und dann regneten russische Bomben auf die Stadt herab. | |
| Bis zum Ende der Woche schaffen es die ukrainischen Streitkräfte, die | |
| Frontlinie bei Dobropillja zu stabilisieren. Freiwilligen gelingt die | |
| Evakuierung der Mutter mit ihrem Baby aus Meschowa. Führenden Politikern | |
| gelingt es aber nicht, ein Friedensabkommen zu unterzeichnen. Der Sommer | |
| wird kürzer, das Gebiet des Donbass kleiner. Vorerst entscheidet sich das | |
| Schicksal der dortigen Menschen in der Nähe von Pokrowsk und [6][nicht auf | |
| der internationalen Bühne]. | |
| Aus dem Russischen Barbara Oertel | |
| 5 Sep 2025 | |
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| [4] https://ukrainecharity.org/projects/proliska-humanitarian-aid-for-personal-… | |
| [5] https://proliska.org/about-the-humanitarian-mission-2/ | |
| [6] /Koalition-der-Willigen/!6108157 | |
| ## AUTOREN | |
| Julia Surkowa | |
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