Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Liebling der Massen: Es knirscht überall im Wirtschaftsgetriebe
> Engpässe, Engpässe, Engpässe: Kaum auszuhalten sind die Zustände. Wenn
> sogar im Rewe der Crémant ausverkauft ist, schnürt sich mir das Herz
> zusammen.
Bild: Das waren noch glückliche Zeiten: gefüllte Regale im Supermarkt
Ein Schock erwartet mich im Bioladen: Wo sonst immer der gute Crémant für
15 Euro steht, klafft nur eine hässliche Leerstelle im Regal. Vorübergehend
ist mein ganzer Lebensmut dahin – ich fühle mich wie ein Luftballon, aus
dem auf einmal sämtliche Luft entwichen ist. Doch dann straffe ich mich.
Woanders herrscht Krieg und Hunger. Wenn man sieht, mit wie viel Zähigkeit
und Mut die Leute dort ihr Los ertragen, kann ich das auch versuchen.
Also mache ich den Umweg von locker drei Minuten rüber zu dem großen Rewe,
der ja ebenfalls ein paar passable Tröpfchen im Angebot hat, und nicht nur
diesen pissigen 7-Euro-Crémant de la Loire, mit dem wir immer die
Scheibenwischanlage befüllen, seit unsere Peers von der Jungen Union
erzählt haben, dass das den Vogeldreck besser wegätzt als einfaches Wasser,
zum Beispiel von Gerolsteiner oder Apollinaris.
Da gibt es noch mindestens vier weitere ganz okaye Sorten zwischen 12 und
17 oder 18 Euro, weiß nicht so genau, ist ja auch egal jetzt. Wenn du keine
Plörre trinken willst, darfst du eh nicht auf den Cent schauen.
Und dann haben die beide (!) Marken ebenfalls nicht. Das ist schon krass.
Ist ja Montag, die Regale sind leer. Langsam ist die Kacke aber mal so
richtig am Dampfen. Ich spüre, wie sich mir ganz komisch das Herz
zusammenschnürt, das hat fast schon was von einer Panikattacke. Eine
psychische Ausnahmesituation, die ich meinem ärgsten Feind nicht wünsche.
Was soll ich denn jetzt tun? Soll ich zu den Jakobsmuscheln Wasser saufen?
Nichts funktioniert mehr
Ich habe keine Ahnung, was da noch immer mit den Lieferketten los ist.
Engpässe, Engpässe, Engpässe. Und mit dem neuen Carbon-Spoiler für unseren
Porsche ist es genau dasselbe. In der Werkstatt sagen sie, der kommt
einfach nicht, obwohl sie dreimal nachgehakt und dabei jedes Mal 100 Euro
mit in die Mail reingelegt haben.
Seit drei Wochen fahre ich schon in so einem schäbigen Leasing-A6 durch die
Gegend – die Nachbarn tuscheln schon. Spätestens seit der Pandemie knirscht
überall der Sand im Wirtschaftsgetriebe. Nichts funktioniert mehr; frische
Thunfischsteaks auf dem Winterfeldmarkt sind manchmal schon mittags
ausverkauft. Man kommt sich vor wie ein Idiot.
Mangel allerorten, ob Hilfsgüter für die Hungernden, Flugabwehrraketen oder
vernünftiger Crémant. In der Beziehung sitzt die Menschheit ausnahmsweise
echt mal in einem Boot. Der Verzicht ist zur universellen Grenzerfahrung
geworden. So was erdet ja auch.
Ich kann nun endlich nachvollziehen, wie sich das anfühlt, wenn irgendwo
die Lebensmittel nicht verteilt werden können. In dem Moment denkst du, dir
schlägt da einer immer wieder mit dem Hammer auf den Kopf. So geht es mir
zumindest ohne den Crémant. Ich könnte echt heulen.
Die fatale Spirale des Wohlstands
So schlimm die Zustände dort sind, aber die Leute im Sudan haben das
Problem immerhin nicht. Das muss man schon mal sagen. Die ahnen gar nicht,
was das mit einem macht, wenn die hochgeschraubten Ansprüche – für die man
ja nichts kann, weil man praktisch machtlos zusehen muss, wie die fatale
Spirale des Wohlstands quasi von selbst eskaliert – ständig enttäuscht
werden. Das Ausmaß dieser seelischen Belastung können die sich nicht
vorstellen.
Im Grunde beneide ich alle unbehausten Menschen für ihr unkompliziertes
Leben. Die haben nicht den Mordsstress mit der Hausverwaltung und den
anderen Eigentümern, nur weil wir in der Remise im Hof eine Sauna einbauen
wollen, die wir über Airbnb auch zusätzlich als Gästezimmer vermieten
können. Kein Haus, kein Ärger. Und wer braucht schon einen Kühlschrank,
wenn es keinen akzeptablen Crémant mehr gibt?
9 Sep 2025
## AUTOREN
Uli Hannemann
## TAGS
Wirtschaft
Lieferketten
Konsum
Berlin Kultur
Reden wir darüber
Kolumne übrigens
Trashkultur
Erdbeeren
## ARTIKEL ZUM THEMA
Ameisenplage: Die kleinen Tiere, ihre Angriffslust und ich
Ameisen sind klein, aber oho. Sie denken, sie seien stärker als der Mensch.
Aber da haben sie sich geschnitten. Schließlich ist der Mensch viel größer.
Pro7-Show „Deutschlands dümmster Promi“: Existenzielle Fragen, prominent b…
Die neue TV-Show „Deutschlands dümmster Promi“ müsste eigentlich ganz
anders heißen. Aber wäre das nicht schon zu viel Gedankenaufwand?
Liebling der Massen: Der Erdbeermann soll sterben
Die Früchte waren beim letzten Mal ziemlich schnell oll. Trotzdem will ich
schon wieder ins Erdbeerhäuschen. Irgendwann muss es ja mal klappen. Oder?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.