# taz.de -- Architektur in Rotterdam: Ästhetisch freche Superquader | |
> Die vom Architekten Piet Blom erbauten Kubushäuser sind ikonische Gebäude | |
> in Rotterdam. Man kann auch behaglich und geborgen in ihnen übernachten. | |
Bild: Die Kubushäuser sind an manchen Stellen funktional gedacht, an anderen s… | |
Rotterdam taz | Man steht mitten [1][in der großen Hafenstadt] und könnte | |
meinen, man stehe im Wald. Wie Baumhäuser wirken die Kubuswohnungen oder | |
gleich wie Bäume. Auf dicken Betonstämmen thronen die quadratischen | |
Wohneinheiten in Gelb, Grau und Weiß, doch liegen sie nicht wie gewohnt auf | |
einer Längsseite, sondern sind auf Eck gekippt, sodass alle Wände, Fenster | |
und Dächer Schrägen bilden. | |
38 dieser Kubushäuser formen das Ensemble, sie schmiegen oder stapeln sich | |
aneinander, formen mitunter Lichtungen. Hier rahmen die Baumkronen | |
[2][den grauen Rotterdamer Himmel] charmant ein. Eine irgendwie anheimelnde | |
Dörflichkeit als Bollwerk gegen die Halbmetropole, ein wenig Center Parcs | |
auch. | |
Oder gleich ein Rummelplatz, wie es [3][der niederländische Architekt] Piet | |
Blom selbst einmal vorschlug. Sein über eine Hauptstraße gespanntes | |
Gebäudeensemble, fertiggestellt 1984, gehört zu den bekanntesten | |
Aushängeschildern einer Stadt, die an extravaganten Bauten nicht spart. | |
[4][Rotterdam] ist architektonisch selbstbewusst. Auf großen Bannern steht | |
zu lesen, was hier gerade wieder ästhetisch freches am Entstehen ist. | |
[5][Wie das im Mai eröffnete Fenix-Museum für Migration], gekrönt von einer | |
riesigen begehbaren Skulptur, die an eine verzwirbelte Schwimmbadrutsche | |
erinnert. Oder das Museumsd[6][epot Boijmans van Beuningen], das erste | |
dauerhaft begehbare der Welt, untergebracht in einer Riesenschüssel mit | |
Spiegelfassade. Hinzu kommen unzählige Hochhäuser. Pittoreske Grachten | |
findet man anderswo. | |
## Von kleinen Kanälen zu Schnellstraßen | |
Zu tun hat das ungewöhnliche Erscheinungsbild mit dem deutschen | |
Angriffskrieg. In einer Nacht im Mai 1940 [7][zerbombte die Wehrmacht einen | |
Großteil der historischen Altstadt]. Aus kleinen Kanälen wurden | |
Trümmerberge und später Schnellstraßen. | |
Das komplette Neudenken einer Großstadt machte Rotterdam rasch zum | |
Experimentierfeld einer Nachkriegsmoderne, die menschenfreundliche Lösungen | |
für den Alltag suchte – die damals revolutionäre erste Fußgängerzone der | |
Welt, die [8][Lijnbaan], ist hier entstanden. Und seit den 1980er Jahren | |
eben auch die dottergelb-grauen Kuben, von denen ein extragroßer | |
„Superkubus“ heute als Hostel betrieben wird. | |
Die Zimmer sind schlicht, aber mit allem Nötigen ausgestattet. Der Star ist | |
fraglos der Kubus, der auch eine ziemlich gute Lobby ist. Von morgens bis | |
spät in die Nacht wird in aberwitzigen Winkeln und Fensternischen gelesen, | |
gespielt und gegessen. | |
An [9][eine stromlinienförmige Einrichtung] ist nicht zu denken bei | |
variierenden Formen in mehreren Dutzend Zimmern über drei Etagen. Betten | |
und Regale schmiegen sich an stürzende Wände und zwängen sich zwischen | |
stützende Pfeiler. Piet Bloms Kubushäuser erlauben keine Lösungen von der | |
Stange. Obwohl nur der äußere Bau denkmalschutzrechtlich geschützt ist, | |
nicht das Innere. | |
## Sagenhaft unpraktisch | |
Abends, wenn die Tagesbesucher aus der Wohnanlage abgezogen sind, hat man | |
den kubistischen Dorfplatz nahezu für sich alleine. Nur das Miauen einer | |
schwarzen Nachbarkatze hallt durch die Gänge. | |
Morgens ist dann wieder alles voll, die Miniläden öffnen ihre Türen, und | |
der Herr im benachbarten [10][Kijk-Kubus] wird abermals Tourist*innen | |
rausschmeißen, die mit Selfiestick vorbeikommen, aber keinen Eintritt | |
zahlen wollen. Dabei sind die 3,50 Euro gut investiert: In der | |
Museumswohnung kann man sehen, wie sich die Bewohnerinnen und Bewohner mit | |
den vielen Ecken so einrichten. | |
Die Kubushäuser sind an manchen Stellen funktional gedacht, an anderen | |
sagenhaft unpraktisch. Dabei liegt in den Beschränkungen natürlich ihr | |
eigentliches Geheimnis. [11][Man muss sich ihrer Architektur anpassen], | |
nicht umgekehrt. | |
Als Lohn wecken die Häuser der spitzen Winkel, was angeblich doch nur | |
Rundungen können: den Höhlenmenscheninstinkt. Sie schaffen archaische | |
Geborgenheit trotz Außenwandkippwinkel über der Schnellstraße. Und wenn | |
von der Nordsee die nächste Regenfront anrückt und unvermittelt von allen | |
Seiten und Winkeln aufs Gebäude schlägt, dann ist es drinnen behaglich wie | |
auf einem holländischen Segelschiff. | |
Ab Mitte Oktober wird das Hostel für ein halbes Jahr schließen, um drinnen | |
mehr Platz und einige Macken weniger zu bieten. Bis dahin und dann wieder | |
ab dem Frühjahr ist so ein Kubushaus der sicherlich beste Ausgangspunkt, | |
[12][um Rotterdam zu entdecken]: diese eigensinnige, zugleich auch sehr | |
niederländische Stadt mit ihren seltsamen Schichten, den sich kreuzenden | |
Sichtachsen und Baustilen, die sich gegen jede Idylle sträubt und dabei | |
selbst manche neu definiert. | |
13 Sep 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Neues-Museum-fuer-Migration-in-Rotterdam/!6085875 | |
[2] /Sklavereigeschichte-der-Niederlande/!5940388 | |
[3] /Idee-einer-kollektivistischen-Gesellschaft/!5431589 | |
[4] /Kohleumschlag-im-Hafen-Rotterdam/!5487265 | |
[5] /Neues-Museum-fuer-Migration-in-Rotterdam/!6085875 | |
[6] https://www.boijmans.nl/en/depot | |
[7] /Liberation-Route/!5253469 | |
[8] https://www.rotterdamcentrum.nl/en/discover/shopping/shopping-areas-rotterd… | |
[9] /Megaprojekte-des-Architekten-Ole-Scheeren/!5921722 | |
[10] https://www.kubuswoning.nl/en/ | |
[11] /Hype-um-brutalistische-Architektur/!6108015 | |
[12] /Architekturbiennale-in-Rotterdam/!5040773 | |
## AUTOREN | |
Katharina J. Cichosch | |
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