# taz.de -- Wie authentisch ist Patagonia?: Das Geschäft mit dem reinen Gewiss… | |
> Die Outdoor-Marke verkauft nachhaltige Funktionskleidung mit rebellischen | |
> Etiketten – und belieferte mal das US-Militär. Ein Blick hinter den | |
> Mythos. | |
Bild: Wenn man in die Berge zum Wandern geht, sollte die Ausrüstung stimmen | |
Neulich habe ich eine Bekannte seit einer geraumen Weile wieder gesehen. Zu | |
meinem Erstaunen trug sie eine Bauchtasche der Marke Patagonia. Früher | |
lästerte sie regelmäßig über [1][Outdoorkleidung]. Sie fand es lächerlich, | |
dass Leute bei Wanderungen oder in der Stadt so was tragen, was | |
verständlich ist, wenn man wie sie nur einmal um den Block läuft. | |
Sicherlich ging es ihr auch um [2][den Style]. Sie, die früher keine zehn | |
Gämsen auf einen Berg bekommen hätten. War das anders geworden? | |
Nun kann ich nur Vermutungen darüber anstellen, warum sie plötzlich die | |
Bauchtasche eines hippen Unternehmens trägt, das dafür bekannt ist, | |
Ausrüstung für draußen zu liefern. Nicht nur nachhaltig, sondern | |
„verantwortungsvoll“, wie Michael Austermühle, der [3][Deutschland-Chef von | |
Patagonia] sagte. Was für meine Bekannte schon immer bedeutsam war. Auch | |
oder gerade, weil es sich nicht jede:r leisten kann. | |
Patagonia nähte 2020, vor der Wahl Trumps, Etiketten in die Klamotten ein | |
mit der markigen Parole „Vote the assholes out“. Das Unternehmen fordert | |
schon mal zum Black Friday 2011 „Don’t buy this jacket“ in einer Anzeige … | |
der New York Post. Diese Form der Antiwerbung zündet und unterstreicht ihr | |
punkiges Image. Hinzu kommt, dass die Kleidung durchaus hübsch ist und | |
Mensch auch in der Wildnis gestylt ist, selbst wenn das Fuchs und Hase | |
ziemlich wurscht sein dürfte. | |
Viel relevanter wäre da die Funktionalität: wasserdicht und schnell | |
trocknend. Wie bei Tieren die Federn oder das Fell. Bei menschlichen Tieren | |
gilt das vor allem für Regenjacke und Bergschuhe. Wenn die Jacke dann noch | |
glitzert und dicht ist, gerne. Wenn die Schuhe aber fancy aussehen, drücken | |
und dicke Blasen produzieren: Nein, danke! Aber wenn Patagonia-Kleidung das | |
erfüllt, fein. | |
Für Bürgergeldempfänger:innen dürfte diese Marke aufgrund des hohen | |
Preises nicht zur Debatte stehen. Dann müssten sie noch häufiger auf das | |
Essen zugunsten ihrer Kinder verzichten. Die greifen dann | |
verständlicherweise lieber auf die Ausrüstung aus dem Discount-Outdoorladen | |
zurück, selbst wenn ihnen der Planet am Herzen liegt. | |
## Berge im Kopf | |
Falls meine Bekannte überhaupt in die Berge gehen würde, wäre es bei ihr | |
gefühlt wie bei einigen Bergsteiger:innen, die ich auf Hütten treffe und | |
die mich zurückversetzen ins 19. Jahrhundert, wo „in den Bergen zu sein, | |
nichts anderes (bedeutete), als eine Rolle zu spielen“, wie der | |
Schriftsteller Robert McFarlane in „Berge im Kopf“ schreibt. „Die Berge | |
lieferten […] eine alternative Welt, in der man sich selbst neu erfinden | |
und sein konnte, wer immer man sein wollte.“ In dem Fall: | |
Konsument:innen mit reinem Gewissen, die vor dem Marienmarterl keine | |
drei Vaterunser beten müssen, da man den Ablass bereits im Outdoorladen | |
bezahlt hat. | |
Bei meiner letzten Hüttentour traf ich auf ein junges Pärchen. Er: | |
Patagonia-T-Shirt und Pulli. Sie: Patagonia-Jacke, das Shirt sah ich nicht. | |
Sie trugen einen Goldbarren am Leib. Zu meinem Erstaunen aßen sie lediglich | |
das Bergsteiger:innen-Essen, das es glücklicherweise auf jeder DAV-Hütte | |
für Mitglieder des DAV geben muss. Ich dagegen labte mich nach einem Tag | |
voller Müsli- und Proteinriegel am Berg mit meiner vegetarischen | |
Halbpension: Pfannkuchensuppe, Kichererbsencurry und Eis. Jede:r setzt | |
halt seine Prioritäten anders. | |
Ich packe in meinen Rucksack: eine leichte Regenjacke mit einer möglichst | |
hohen Wassersäule, also möglichst dicht, die ich meist im Sale erwerbe. | |
Dazu: ein billiger Windbreaker, selbst die beste Jacke ist irgendwann | |
durch. Ein Sherpa aus Nepal erzählte einmal, er ziehe eine Mülltüte über | |
sich und den Rucksack. Außerdem Regenhose und natürlich meine geliebten | |
Bergschuhe, die sogar wieder neu besohlt werden können. Ein schnell | |
trocknendes T-Shirt und eine warme leichte Jacke, falls der Regen bei der | |
Watzmannüberschreitung am Gipfelkreuz der Südspitze auf 2.712 Meter zu | |
Schnee wird. Dazu ein Notfallbiwacksack des DAV, den ich bis jetzt noch nie | |
auspacken musste. | |
Glücklicherweise würde mich die Bergrettung auch ins Tal holen, ohne fett | |
gestylt zu sein. Denn die scheren sich weder um sexuelle Orientierung | |
(hetero cis-Mann), noch um Herkunft (oberbayerischer Migrationshintergrund) | |
oder Klasse (Lumpenproletariat). Die werden nur grantig, wenn ich in | |
Bademantel und Stöckelschuhen auf die Zugspitze hatsche. | |
Mit Patagonias PR-Agentur hatte ich einen regen Mailverkehr auf meine | |
Fragen hin. Sie waren sehr interessiert an dem Grundthema des Artikels. Und | |
ob es rein um Patagonia oder auch noch um andere Unternehmen gehen würde. | |
Als ich antwortete, dass es auch um andere Unternehmen gehen würde, kam die | |
Frage, um welche Unternehmen. | |
Warum auch immer, handelt es sich bei Patagonia doch um ein Unternehmen wie | |
aus dem Bioladen-Bilderbuch. Ich erfuhr einiges über ihre | |
„verantwortungsvolle“ Produktion und das soziale Engagement des heute | |
86-jährigen Gründers Yvon Chouinard. 2022 Firma verschenkt, 100 Prozent des | |
Gewinns gehen fortan in das Engagement gegen die Klimakrise und damit in | |
den Umweltschutz. Respekt! | |
## Unterhemden für die US-Militär-Kälteeinheiten | |
Man kann Kleidungsstücke einschicken und sie werden repariert, zeitweise | |
fuhr sogar ein Reparaturmobil durch die USA. In einem Spiegel-Artikel | |
erfuhr ich, dass die Firma nicht nur die Reisekosten in andere US-Staaten | |
bei Abtreibungen übernähme, sondern auch „mögliche Kautionskosten“ trage | |
„für Mitarbeiter, die friedlich für ‚reproduktive Gerechtigkeit‘ | |
demonstrierten und festgenommen würden“. | |
Dürfen Richter:innen am Bundesverfassungsgericht jetzt überhaupt noch | |
Patagonia tragen? Worauf ich nur unbefriedigende Antworten erhielt, waren | |
die Fragen nach der Ausstattung von Spezialeinheiten des US-amerikanischen | |
Militärs. Meine Frage, ob die US-Amerikanische Abschiebetruppe ICE | |
Halstücher zum Vermummen oder andere Kleidung aus deren Produktion trägt, | |
blieb unbeantwortet. | |
Es wurden lediglich Auszüge aus der Firmenchronik auf Englisch geschickt. | |
Darin steht, dass 1974 das Marine Corps Mountain Warfare Training Center | |
ausfallsichere Eispickel testete und einige Jahre später die US Special | |
Operations Forces feuchtigkeitstransportierende Unterhemden für ihre | |
Kälteeinheiten kauften. | |
Es folgten Bestellungen für starre Steigeisen, Eispickel, Steigklemmen, | |
Tricams und Schneeschuhe. 2004 hätten sie endlich den Anschluss gefunden | |
und ihre Abteilung für Regierungsverkäufe formalisiert. „Anschluss | |
gefunden“ und „Abteilung für Regierungsverkäufe formalisiert“? | |
Bei einem derartigen Sprech habe ich das Gefühl, der oder die Sprechende | |
trägt Camouflagekleidung. 2022 wurde der seit 2016 Lost Arrow Project | |
genannte Produktionszweig an einen ehemaligen Kollegen von Patagonia | |
verkauft und in Forgeline Solutions umbenannt. | |
Natürlich hätte man es in Zeiten, in denen das US-Militär noch Seite an | |
Seite mit der Armee des selbstverwalteten Rojava gegen den IS kämpfte, als | |
moralisch integer bezeichnen können, wenn ein Outdoor-Unternehmen die | |
Truppen ausrüstet. Und was wäre, wenn die Marke in den nächsten Jahren mit | |
AfD und CDU/CSU „Regierungsverkäufe formalisieren“ und die Rechtsnationalen | |
einen Krieg anzetteln? | |
Dann wäre ich natürlich erleichtert, wenn mein Sohn aufgrund dessen nicht | |
in einem Sarg aus dem Krieg heimkehren würde. Der würde allerdings eher | |
desertieren als feuchtigkeitstransportierende Unterhemden zu tragen. | |
Dennoch sind Kriege alles andere als nachhaltig, die Umweltverschmutzung | |
durch Kampfflugzeuge und Granaten ist enorm und deren ökologischer | |
Bombenkrater noch nicht einmal erfasst. | |
Nietzsche nannte Tage, in denen Seelenruhe herrscht, Halkyonische Tage. | |
Nach dem Mythos der Alkyone, die nach dem Tod ihres Gatten in einen | |
Eisvogel verwandelt wurde. | |
Für manchen Menschen herrscht Seelenruhe, wenn er korrekt konsumiert, sich | |
ein gutes Gewissen kauft und damit auch noch trendy ist. Die Dissonanz zu | |
ertragen, oder ertragen zu müssen, aufgrund der Klasse kein richtiges Leben | |
im Falschen führen zu können, erinnert eine:n vielleicht daran, dass durch | |
Konsum die Welt nicht gerettet werden kann. Lifehack: Ganz im Sinne | |
Patagonias gar keine Produkte kaufen. | |
3 Sep 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Outdoorkleider-mit-Chemikalien-belastet/!5999280 | |
[2] /Rueckkehr-der-2010er-Mode/!6106526 | |
[3] /Marke-Patagonia-geht-an-Umwelt-Stiftung/!5879504 | |
## AUTOREN | |
Leonhard F. Seidl | |
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