# taz.de -- Geschäft mit Gewaltvideos: Tod im Stream | |
> Während eines Livestreams, in dem ein Franzose misshandelt und erniedrigt | |
> wurde, starb dieser. Das Geschäft mit Gewaltvideos ist jetzt im Fokus. | |
Bild: Jean Pormanove alias JP | |
Paris taz | Der Tod von Frankreichs bekanntestem Streamer der australischen | |
Plattform [1][Kick] ist ein Aufreger. Jean Pormanove alias JP ist in der | |
Nacht auf den Montag vergangener Woche nach einer zwölftägigen | |
Live-Übertragung in einem südfranzösischen Dorf bei Nizza gestorben. Was | |
vor dem tragischen Ende des Streamers geschehen war, konnten Zehntausende | |
von Schaulustigen live verfolgen. In den fast 300 Stunden wird JP von zwei | |
Kumpanen immer wieder beschimpft, in Wort und Tat gedemütigt, gewürgt, am | |
Schlafen gehindert und immer wieder geschlagen. | |
Mehrfach beklagt sich der sichtlich ausgezehrte und geschwächte 46-Jährige | |
über Schmerzen und Erschöpfung, er sagt, er habe genug und wolle die | |
Polizei oder Feuerwehr anrufen oder weggehen – was ihm aber von einem als | |
Befehlsgeber auftretenden Mann mit dem Pseudonym Naruto nicht erlaubt wird. | |
Stattdessen wird JP gezwungen, vor der Kamera die benutzte Toilette zu | |
putzen. Ein anderer Mann, Safine, reißt ihn aus dem Schlaf, indem er neben | |
seinem Ohr Flöte spielt oder ein Motorrad anwirft. Und wieder und wieder | |
erhält er – zur Belustigung und auf Wunsch der Zuschauenden – Ohrfeigen, | |
wenn er beim Video-Game einen Fehler macht. | |
Alles soll laut den Beteiligten bloß ein „Spiel“ gewesen sein. Aber zuletzt | |
wundert sich einer der neben ihm Anwesenden, dass sich der auf einer | |
Matratze liegende JP nicht mehr bewegt. Er wirft eine Plastikwasserflasche | |
auf ihn und konstatiert, dass er tot ist. Hier bricht der Livestream ab. | |
Die Diskussion über dieses der Öffentlichkeit bisher weitgehend unbekannte | |
Geschäft mit den im Internet zu kommerziellen Zwecken übertragenen Videos | |
mit Gewalt und Erniedrigungsszenen beginnt erst jetzt. | |
Noch am Anfang steht mit ihren Ermittlungen die Justiz, obschon ihr das | |
französische Onlinemagazin [2][Mediapart ] bereits Ende 2024 Hinweise auf | |
dieses Business mit unerträglichen Sadomaso-Streams auf der Plattform Kick | |
geliefert hatte. Die Ursache des Tods des Streamers war noch unklar. Nach | |
einer ersten Autopsie erklärten zwei Gerichtsmediziner, sie hätten nichts | |
wie namentlich eine innere Blutung, Hirnerschütterung oder äußere | |
Verletzungen gefunden, was auf eine für den Tod verantwortliche | |
„Intervention von Dritten“ schließen lasse. Weitere Analysen seien aber | |
notwendig. | |
## „In einem Todesspiel gefangen“ | |
Unabhängig davon, ob die Brutalitäten im Prinzip inszeniert und vom Opfer | |
„freiwillig“ akzeptiert waren, stellt sich die Frage, ob die wiederholten | |
Kränkungen, Quälereien und der Schlafentzug für den Tod des angeblich | |
herzkranken JP verantwortlich waren. Die Staatsanwaltschaft erwägt die | |
Einleitung einer Untersuchung wegen Tötung ohne Vorsatz gegen die neben JP | |
am Streaming beteiligten Personen, die wie JP selber von den Einnahmen auf | |
Kick lebten. | |
Dass er sein Einvernehmen zu den demütigenden Streams gegeben hat, bedeutet | |
keineswegs, dass nicht dennoch ein Verstoß gegen das Gesetz vorliegen kann. | |
Kurz vor seinem Tod soll JP seiner Mutter mitgeteilt haben, er sei „in | |
einem Todesspiel gefangen“ und halte das nicht mehr aus. | |
Im Vergleich mit dem Konkurrenten Twitch teilt Kick einen größeren Teil der | |
Einnahmen (laut Firmenangaben 95 Prozent statt 50 Prozent bei der | |
Konkurrenz) mit den Produzenten der Livestreams und überwacht viel weniger, | |
was da gestreamt wird. Kick wurde 2022 in Australien von den | |
Internet-Unternehmern Ed Craven und Bijan Tehrani nach ihrem Ausschluss von | |
Twitch gegründet. Seither zieht ihre Plattform skrupellose Streamer an, die | |
von einer mangelnden Moderation profitieren wollen. Wie das Online-Casino | |
und die Wetten, die Craven und Tehrani bereits zu Milliardären gemacht | |
haben, findet die Verbreitung von Misshandlung und Gewalt ein | |
Millionenpublikum zahlender Voyeure. | |
Tod und Folter als Faszination und Spektakel, das sei nichts Neues, das gab | |
es schon im antiken Rom mit der Arena im Zirkus, bei den mittelalterlichen | |
Hinrichtungen sowie vor 25 Jahren mit den „Jackass“-Videos und ohnehin habe | |
die Gewalt in Film und Videospielen immer mehr Raum, meint auf FranceInfo | |
Laurent Bègue-Shankland, Professor für Sozialpsychologie an der Universität | |
Grenoble. Erschreckend sei auf Kick die „Banalisierung der Gewalt, welche | |
die Schwellen des Schockierenden modifiziert“. Zudem werde dies dank den | |
Netzwerken zu einem „Massenphänomen“ mit einem erleichterten Zugang für | |
daran Interessierte, die sich von jeglicher Verantwortung frei fühlten. | |
## Business mit Sadomaso | |
Den zuständigen Behörden in Frankreich, die durchaus über gesetzliche | |
Aufsichts- und Aktionsmittel verfügen, scheint dieses Geschäft mit | |
Sadomaso-Szenen bisher entgangen zu sein. Die Vizeministerin für | |
Digitalwirtschaft, [3][Clara Chappaz], spricht von einem „absoluten Horror“ | |
in einem „Far West“, gesteht aber, dass ihr Kick und diese Streamer vorher | |
nicht bekannt gewesen seien. Bei der französischen Regulierungsbehörde | |
Arcom, die trotz der Informationen des Onlinemagazins Mediapart vor acht | |
Monaten nichts unternommen hatte, meldete sich schließlich im Kontext des | |
Skandals aus Malta ein Rechtsvertreter von Kick. | |
Er versichert, Kick wolle mit den französischen Behörden „kooperieren“ und | |
habe bis auf Weiteres alle Beteiligten am Livestream, der mit dem Tod von | |
JP endete, gesperrt. | |
Die Regierung will sich nicht fahrlässige Unachtsamkeit vorwerfen lassen. | |
Vizeministerin Chappaz kündigt mögliche „Sanktionen“ gegen Kick und andere | |
Plattformen und eventuell sogar die „Schließung“ an, wenn diese ihre | |
Pflicht zur Kontrolle der Inhalte nicht beachten sollten. | |
Die Behörde Arcom meinte allerdings in einem Kommentar, sie habe gar nicht | |
die „Kompetenz“, eine Plattform mit Sitz in Australien zu „schließen“. | |
28 Aug 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://kick.com/ | |
[2] https://www.mediapart.fr/en/journal/france/220825/questions-surrounding-onl… | |
[3] https://www.lemonde.fr/en/france/article/2025/08/26/france-to-sue-kick-plat… | |
## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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