# taz.de -- CO₂-Zertifikate in Guyana: Klimaschutz, der sich auszahlt | |
> Guyana setzt konsequent auf den Handel mit CO₂-Zertifikaten. Ein Teil der | |
> Einnahmen fließt in indigene Gemeinden. Was bedeutet das für die Menschen | |
> vor Ort? | |
Bild: Wassermelonenplantage in Toka, Guyana | |
EAST BANK ESSEQUIBO taz | Als die Macushi, eines der neun indigenen Völker | |
Guyanas, erfuhren, dass sie einen Anteil am Verkauf von CO2-Zertifikaten | |
erhalten würden, kauften sie eine ungewöhnliche Maschine: einen Minibagger. | |
Keines der 14 Dörfer im nördlichen Rupununi besaß bisher einen. Doch der | |
Bagger ist wichtig, denn damit graben sie Wasserreservoire. | |
„In der Trockenzeit können die Rinder nun Wasser bekommen und die Bauern | |
haben eine verlässliche Wasserquelle für ihre Felder“, sagt Terry Ellis, | |
stellvertretender Häuptling von Toka. | |
Das Dorf liegt etwa 650 Kilometer von Guyanas Hauptstadt Georgetown | |
entfernt. Es befindet sich in den [1][Rupununi-Feuchtgebieten], einem | |
weitläufigen Gebiet an der Grenze zu Brasilien, das eine Verbindung | |
zwischen dem Amazonas und Guyanas längstem Fluss, dem Essequibo, bildet. | |
Die Trockenzeit kann für Dörfer wie Toka, die auf Wasser angewiesen sind, | |
katastrophale Folgen haben. Die Mittel aus dem Verkauf von CO2-Zertifikaten | |
kamen daher gerade recht. | |
## Ein Bagger für den Brunnenbau | |
Heute gedeiht im Zentrum des Dorfes eine riesige Wassermelonenfarm – ein | |
Beweis dafür, dass die Wasserreservoire funktionieren. Der Dorfchef, Micah | |
Davis, berichtet, dass der Bagger für Aufsehen sorgte: „Die Gemeinden im | |
nördlichen Rupununi wollen, dass wir den Bagger auch in ihre Dörfer | |
bringen, um Wasserbecken für ihre Rinder zu graben und Brunnen zu bauen, | |
damit sie ihre Wassermelonen bewässern können.“ | |
CO2-Zertifikate sind handelbare Nachweise dafür, dass eine Tonne CO2 | |
vermieden oder gespeichert wurde. Meist läuft es so: Eine bestimmte Fläche | |
Land wird nicht abgeholzt, und dafür wird eine Zahlung geleistet. Besonders | |
im Amazonas, dem größten Regenwald der Welt, gibt es zahlreiche solche | |
Projekte – auch in Guyana, das zu fast 90 Prozent von Wald bedeckt ist. | |
Ann Marie Da Silva, 64, Witwe, war verzweifelt, weil ihre Tochter schwer | |
alkoholabhängig war. Da Silva, Bewohner der Gemeinde Santa Rosa, sah keinen | |
Ausweg. Doch dann traf die Dorfgemeinschaft eine gemeinsame Entscheidung: | |
einen Teil des erhaltenen Geldes für die Entzugsklinik zu nutzen. | |
Das war aber noch nicht alles. Eine Bewohnerin erhielt ein neues Haus, | |
nachdem ihr altes kurz vor dem Einsturz stand. Außerdem wurden | |
Infrastrukturprojekte umgesetzt, darunter Regenwassertanks und die | |
Befestigung von Dammufern, damit Kinder auch bei Regen trocken zur Schule | |
gelangen können. | |
## Landrechte der Indigenen ignoriert | |
Nicht alle begrüßen jedoch die CO2-Zertifikate. Einige indigene | |
Vertreter:innen in Guyana kritisieren, dass ihre Landrechte im Rahmen | |
des CO2-Handelsabkommens ignoriert wurden und ihr Recht auf freie, | |
vorherige und informierte Zustimmung verletzt sei. Die Führerein der | |
Wapichan, Immaculata Casimero, erklärte lokalen Medien, ihr Volk fürchte | |
Einschränkungen bei der traditionellen Nutzung des Landes für Jagd und | |
Fischfang. „Wir sind auf das Land für unseren Lebensunterhalt angewiesen“, | |
sagte sie. „Wir befürchten, dass Regeln festgelegt werden könnten, die | |
vorschreiben, wie wir unsere Wälder zu nutzen haben.“ | |
Der National Toshaos Council, der alle Dorfchefs vertritt, unterstützt | |
allerdings das Abkommen. Vorsitzender Derrick John betont, dass die | |
Dorfbewohner in Versammlungen und Konsultationen selbst entscheiden, wie | |
das Geld verwendet wird. Und er wies die Vorwürfe zurück, es sei keine | |
ordnungsgemäße Zustimmung für den Prozess eingeholt worden. | |
Die Gelder, die indigene Gemeinschaften erhalten, stammen aus Guyanas Low | |
Carbon Development Strategy (LCDS), die erstmals 2009 eingeführt wurde. | |
Ziel der Strategie ist es, zu zeigen, wie Länder ihre Wirtschaft entwickeln | |
und gleichzeitig ihre Wälder schützen können. | |
Norwegen war das erste Land, das Guyana für den Erhalt seiner Wälder | |
bezahlte und 250 Millionen US-Dollar bereitstellte. Das Geld floss unter | |
anderem in Landabgrenzungen in indigenen Gemeinden und andere Projekte. Ein | |
UN-Mechanismus zur Belohnung von Ländern, die ihre Wälder erhalten, ist | |
bislang jedoch nicht verbindlich und wird von wohlhabenden Nationen nur | |
zögerlich umgesetzt. | |
## Erster Käufer war ein US-Ölkonzern | |
Trotzdem setzte Guyana seine LCDS konsequent um und entwickelte einen Plan | |
für kohlenstoffarme Entwicklung bis 2030. Die Regierung ist überzeugt | |
davon, dass die Wirtschaft wachsen kann, während der Wald – so groß wie | |
England und Schottland – erhalten bleibt. | |
Um Zahlungen zu sichern, entwickelte Guyana ein System zur Messung und | |
Überprüfung des in seinen Wäldern gespeicherten Kohlenstoffs, der mehr als | |
19 Gigatonnen beträgt. 2022 war Guyana das erste Land weltweit, dessen | |
gesamter Wald nach dem System Architecture for REDD+ Transactions (ART) | |
zertifiziert wurde. Das Land trat damit in den freiwilligen | |
Kohlenstoffmarkt ein, in dem Länder und Unternehmen Projekte bezahlen, um | |
ihre Emissionen zu kompensieren. | |
Der erste Käufer war der US-Ölkonzern Hess Corporation. Er ist einer von | |
drei Unternehmen, die vor fünf Jahren mit der Offshore-Ölproduktion vor | |
Guyana begonnen hatten. Das Unternehmen vereinbarte mit der Regierung, ein | |
Drittel der Zertifikate im Wert von 750 Millionen US-Dollar zu kaufen. | |
Die Mittel werden jährlich in Tranchen ausgezahlt, und die Regierung | |
verpflichtet sich, 15 Prozent der Einnahmen an indigene Gemeinschaften | |
weiterzugeben, unabhängig von Größe, Lage oder Waldanteil. Sogar Dörfer mit | |
nur 40 Einwohnern erhalten Mittel. Dies wurde vom National Toshaos Council, | |
der rechtlichen Vertretung aller Dorfchefs, vereinbart. Die Dörfer | |
entscheiden selbst, wie sie das Geld verwenden. In diesem Jahr wurden | |
insgesamt 22,9 Millionen US-Dollar überwiesen, dieselbe Summe wie im | |
Vorjahr. | |
## Ressourcen für die eigene Zukunft | |
„Die Dörfer erleben direkte Veränderungen. Sie planen ihre eigene Zukunft, | |
weil sie nun die Ressourcen haben“, sagte Shane Cornelius, Häuptling des | |
Dorfes Karrau, kürzlich auf einem öffentlichen Treffen. | |
Guyanas Präsident Irfaan Ali betrachtet die Mittelweitergabe als | |
gemeinschaftliche Investition zur wirtschaftlichen Entwicklung. Ehemalige | |
Bergleute, die früher für massive Umweltzerstörung verantwortlich waren, | |
bleiben heute in den Dörfern, da sich dort neue Möglichkeiten bieten. | |
Auch das Dorf Toka an der Grenze zu Brasilien hat bereits Pläne die | |
nächsten Auszahlungen. So sollen weitere Maschinen angeschafft werden – um | |
widerstandsfähiger gegenüber dem Klimawandel zu werden. | |
Neil Marks ist ein Journalist aus Guyana. Er arbeitet für die | |
Medienplattform [2][News Room Guyana]. | |
Übersetzt aus dem Englischen von Niklas Franzen | |
15 Sep 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://en.wikipedia.org/wiki/North_Rupununi | |
[2] https://newsroom.gy/all-news/ | |
## AUTOREN | |
Neil Marks | |
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