# taz.de -- Indigene in Suriname: Die neue Kolonialisierung | |
> Im kleinsten Land Südamerikas bedrohen Gold- und Holzfirmen die indigene | |
> Bevölkerung. Zwei Aktivistinnen wollen sich davon nicht einschüchtern | |
> lassen. | |
Bild: Goldabbau und Umweltzerstörung in Suriname | |
PARAMARIBO taz | Es war der 2. Mai 2023, als die Situation im kleinsten | |
Land Südamerikas eskalierte. Im indigenen Dorf Pikin Saron, rund 80 | |
Kilometer von Surinames Hauptstadt Paramaribo entfernt, zündeten indigene | |
Männer Holztransporter und eine Polizeistation an. Sie nahmen mehrere | |
Arbeiter als Geiseln, lieferten sich einen Schusswechsel mit Polizisten. | |
Zwei indigene Männer starben. | |
„Das ist der Preis, den wir zahlen müssen, wenn wir für unsere Rechte | |
einstehen“, rief eine Mutter bei der Beerdigung ihres Sohnes. Ihr Schrei | |
ging damals vielen unter die Haut. Die indigene Bevölkerung in Suriname wie | |
auch die [1][Maroons, Nachfahren geflohener Sklaven], hat bis heute keine | |
kollektiven Landrechte. | |
Suriname ist das einzige Land Südamerikas, das solche Rechte nicht | |
gesetzlich anerkennt. Generationen leben auf ihrem traditionellen Land in | |
Amazonien, doch sie können jederzeit vertrieben werden. Ohne Mitsprache, | |
ohne Entschädigung. Vom Reichtum der Holz- oder Goldkonzessionen sehen sie | |
keinen Cent. Stattdessen verschmutzen Quecksilber und andere Chemikalien | |
ihr Land. Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung, Strom oder sauberem | |
Trinkwasser? Oft nicht vorhanden. | |
Charmaine Artist ist 35 Jahre alt und stammt aus einer Region, rund 50 | |
Kilometer vom Ort der Proteste entfernt. Sie nennt sich selbst | |
„Erdverteidigerin“. Gerade hat sie ein Trainingsprogramm über grüne | |
Energien in indigenen Dörfern abgeschlossen. Und sie will nicht mehr | |
tatenlos zusehen, wie ihre Kultur und Identität langsam verschwinden. | |
## Mehr als 90 Prozent von Wald bedeckt | |
„Unsere Identität gibt uns eine spirituelle Verbindung zur Natur und zur | |
Erde“, sagt sie. Diese Verbundenheit hat mit dazu beigetragen, dass | |
Suriname heute noch zu über 90 Prozent von Wald bedeckt ist. Umso | |
schmerzlicher sei es, dass die Männer, die sich im Mai 2023 für ihre Rechte | |
eingesetzt hatten, zu acht Jahren Gefängnis verurteilt wurden. An ihrer | |
prekären Lage habe sich nichts verändert. | |
Für Artist beginnt das Unrecht mit der Kolonialisierung Surinames im Jahr | |
1667 durch die Niederlande. Die indigene Bevölkerung wurde versklavt, in | |
die Wälder getrieben, viele starben an eingeschleppten Krankheiten. Auch | |
nach der Unabhängigkeit 1975 blieben die Rechte der Indigenen | |
unberücksichtigt. 1976 marschierten sie in einem viertägigen Protestmarsch | |
145 Kilometer bis nach Paramaribo – ohne Erfolg. Genauso wie beim | |
„Aufstand“ im Jahr 2023 änderte sich nichts. | |
Artist nennt das heute eine neue Form der Kolonisierung. „Es sind nicht | |
mehr die Weißen, die unser Land unbewohnbar machen, sondern Konzerne, | |
Kapital, großes Geld.“ | |
Über die internationale NGO Conservation International nahm Artist am | |
[2][„Amazonia Indigenous Women’s Fellowship Program“] teil. In dem Dorf | |
Powakka führte sie biohydroponischen Anbau ein, eine umweltfreundliche, | |
klimaresiliente Landwirtschaftsmethode. Ihr Projekt vernetzt inzwischen | |
indigene Jugendliche in ganz Suriname. „Gemeinsam suchen wir nach Lösungen | |
für neue Herausforderungen wie den Klimawandel“, sagt sie. | |
## Starre Geschlechterrollen | |
Auch Jupta Itoewaki, 37, kämpft an vorderster Front. Sie gründete die | |
[3][Mulokot-Stiftung] und wirkt ganz anders als das zurückhaltende Bild | |
vieler Indigener: scharfer Blick, schnelle Worte, klare Haltung. Sie stammt | |
aus dem Wayana-Dorf Kawemhakan, tief im Südosten des Landes. Drei Tage | |
dauert die Reise per Boot, ein Flug etwa eine Stunde. | |
Schon früh wusste sie, dass sie eine besondere Rolle spielen würde. „Als | |
die Kirche in unser Dorf kam, wurden die Geschlechterrollen noch starrer: | |
Jungs sollten Chancen bekommen, Mädchen Kinder.“ Ihre Großmutter hatte | |
einen Traum: dass nicht ein Junge, sondern ihre Enkelin zur Schule nach | |
Paramaribo gehen solle. | |
Nach ihrem Studium arbeitete sie bei einer NGO, die sich für indigene | |
Rechte einsetzte. Doch bald merkte sie: „Nach all den Schulungen hatte noch | |
immer kein einziger Indigener eine Führungsposition.“ Und obwohl die | |
Indigenen den Wald schützen sollten, durften sie nicht mehr wie früher | |
jagen. „Ich konnte das nicht mehr mittragen.“ | |
Nach UN-Schulungen und Netzwerkprogrammen ist die Mulokot-Stiftung heute | |
ein anerkannter Partner der Regierung. Doch die Herausforderungen bleiben. | |
Die Region ist reich an Gold, aber es fehlt an Infrastruktur. „Schauen Sie | |
sich an, wie viele Goldkonzessionen auf unserem Gebiet vergeben wurden, | |
ohne unsere Zustimmung“, sagt sie und zeigt auf ihren Laptop. | |
## Der Klimawandel erschwert alles | |
Itoewaki wirkt angespannt, als sie erzählt, dass der Fluss, den ihre | |
Gemeinschaft seit Generationen nutzt, heute durch Quecksilber verseucht | |
ist. „Deshalb haben wir mit Fischzucht begonnen, für gesunde Ernährung.“ | |
Doch das Projekt wurde aus Geldmangel gestoppt. Mithilfe von Spenden konnte | |
die Stiftung eine eigene Dorfschule gründen. „Dort lernen Kinder nicht nur | |
Sprache und Mathe, sondern auch ihre Kultur“, erklärt sie. Doch staatliche | |
Unterstützung bleibt aus. „Sie wollen, dass wir denselben Lehrplan wie in | |
Paramaribo umsetzen. Das funktioniert im Landesinneren aber nicht.“ | |
Arbeitslosigkeit, fehlende Akzeptanz ihrer Lebensweise, Umweltzerstörung, | |
das alles bedroht das soziale Gefüge. „Alkoholismus, häusliche Gewalt und | |
schlechte Gesundheitsversorgung sind direkte Folgen“, sagt Itoewaki. Der | |
Klimawandel erschwert alles zusätzlich. „Aber wir sind so sehr damit | |
beschäftigt, für unser Recht auf Existenz zu kämpfen, dass kaum Zeit | |
bleibt, uns um die Folgen des Klimawandels zu kümmern.“ | |
Bei extremen Regenfällen oder Dürren ruft Mulokot regelmäßig die | |
Öffentlichkeit zur Hilfe auf. „Früher konnten wir die Zeichen der Natur | |
lesen, wussten, wann wir säen und ernten. Doch der Klimawandel löscht diese | |
Zeichen aus.“ Trotz aller Herausforderungen bleiben Artist und Itoewaki | |
optimistisch. Sie wollen weiter für eine gerechtere Zukunft kämpfen. | |
Euritha Tan A Way ist eine Journalistin aus Suriname und arbeitet für die | |
Tageszeitung „[4][De Ware Tijd]“. | |
Übersetzt aus dem Englischen von Niklas Franzen | |
12 Sep 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Umweltzerstoerung-in-Suriname/!6100908 | |
[2] https://www.conservation.org/about/fellowships/women-fellowship-opportunity… | |
[3] https://mulokot.com/ | |
[4] https://dwtonline.com/ | |
## AUTOREN | |
Euritha Tjan A Way | |
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