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# taz.de -- Das Kreuz mit dem Neusprech: Vom Wortmüll zur neuen Perspektive, D…
> Neue Wörter aus der Jugend-, Management- oder Politsprache nerven. Manche
> sind aber auch ganz brauchbar.
Bild: Unter den Top-Drei der Jugendwörter 2025: Checkst Du?
Regelmäßig tauchen in unserer Sprache neue Ausdrücke auf und so manchen
finde ich durchaus brauchbar. Andere dagegen sind so bekloppt, dass ich
nachvollziehen kann, dass für sie extra das Wort Sprachmüll erfunden wurde.
Besonders lustig ist natürlich nach wie vor Jugendsprache. Ich benutze sie
gerne, um unsere Tochter zu foppen – ganz hart cringe, ich weiß. Wenn ich
allerdings zum Beispiel Radio höre, nerven mich Anglizismen wie Kids, Food
oder Facilitys – und das nicht, weil sie unseren armen, einheimischen
Wörtern den Lebensraum wegnehmen würden. Ich empfinde sie schlicht als
anbiedernd und überflüssig.
Noch schlimmer sind Experten, die in Beiträgen ein unnützes Fremdwort ans
andere reihen, sodass man dem Inhalt kaum noch folgen kann. In Gesprächen
mit Ärzten und Psychologinnen ist mir das zum Beispiel aufgefallen. Alles
ist so immanent, systemisch, intrinsisch und überhaupt kohärent, dass sich
mir dabei der Verdacht aufdrängt, diese Art zu sprechen könnte intentional
sein – also Absicht.
Ansonsten liegt es wohl an meiner Abstinenz (a)sozialer Medien, dass ich in
manchen Bereichen kaum mitkomme mit dem Tempo, in dem neue Begriffe
auftauchen, die politisch korrekt sind, um kurz darauf wieder
diskriminierend zu sein. Und dann diese Abkürzungen, die sich oft schon
wieder verändert haben, bevor ich sie verstanden, geschweige denn auswendig
gelernt habe.
Sehr zu schätzen weiß ich dagegen das Wort queer: ein vergleichsweise
offener Sammelbegriff gegen allgemeines Schubladendenken. Die Abkürzung
LGBTQIA+ kann ich dagegen immer noch nicht ohne Spickzettel sagen.
Und dann ist da noch FLINTA* (Frauen, Lesben, Intergeschlechtliche, nicht
Binäre, Trans- und Agender-Personen), was aber nicht dieselbe Gruppe wie
LGBTQIA+ beschreibt, weil (laut lgbt.fandom.com) „FLINTA* endo-cis-Heteras
enthält und gleichzeitig nicht-Hetero-endo-Cis-Männer, darunter etwa
Schwule und Bisexuelle, ausschließt“. Checkst du? Ich nicht!
Solche Selbstbezeichnungen sind doch eigentlich da, um Zusammenhalt zu
erzeugen und uns aus der Sprachlosigkeit zu holen. Stattdessen verursachen
sie oft wieder Ausgrenzung. Familienintern sind wir dazu übergegangen,
unsere Tochter und ihr Gemenge queerer LGBTQIA+- FLINTA*-Freund_innen
„schwule Mädchen“ zu nennen. Geht natürlich gar nicht, macht die Sache ab…
deutlich einfacher. Olivia ist glücklicherweise tolerant und verdreht nur
die Augen.
In meiner eigenen Blase (also Bubble-mäßig, nicht von der Anatomie her) ist
vor einigen Jahren das Lehnwort Care-Arbeit aufgetaucht. Das hat für mich
einen echten Mehrwert, weil es nicht nur Pflege bezeichnet, sondern alles
meint: vom Zubettbringen der eigenen Kinder bis hin zur privaten und
beruflichen Pflege kranker, alter oder behinderter Menschen.
[1][Care-Arbeit (sei es bezahlte oder unbezahlte)] ist nicht einfach ein
neues Wort, sondern überhaupt erst die Anerkennung einer großen
gesellschaftlichen Aufgabe (über deren Verteilung ernsthaft diskutiert
werden muss).
Dagegen bieten viele der verkrampften Laber-Bezeichnungen rund ums
[2][Thema Behinderung] aus meiner Sicht gar keinen Vorteil. Neulich wurde
mein Sohn in einem [3][Gespräch mit der Arbeitsagentur] intellektuell
beeinträchtigt genannt. Eine fast schon alberne Umschreibung (um nicht
euphemistisch zu sagen) für einen 18-Jährigen, der währenddessen versuchte,
das Wasser aus einer Blumenvase zu trinken.
Solche Weichspülwörter werten die Leistung ab, die alle Beteiligten bei der
Betreuung von Willi erbringen. Ich habe aber nichts dazu gesagt, ich wollte
lieber schnell mit Willi nach Hause. Dort war der Ausdruck dann immerhin
noch für einen Lacher gut, als Olivia trocken meinte: [4][Intellektuell
beeinträchtigt]? Deine Mudda!
21 Sep 2025
## LINKS
[1] /Alleinerziehend-unterwegs/!6101565
[2] /Inklusion-in-Berlin/!6104608
[3] https://www.arbeitsagentur.de/menschen-mit-behinderungen
[4] /Neue-ZDF-Serie-Simple/!6022885
## AUTOREN
Birte Müller
## TAGS
Leben mit Behinderung
Sprache
Schwer mehrfach normal
Jugendsprache
Jugendwort des Jahres
Menschen mit Behinderung
Inklusion
Memes
Algorithmus
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