| # taz.de -- Debatten um Religionsunterricht: Religiöse Bildung für alle | |
| > In Niedersachsen gibt es mit dem neuen Schuljahr das Fach „Christlicher | |
| > Religionsunterricht“. Das fokussiert auf eine breite Wissensvermittlung. | |
| Bild: Ein Schritt in die richtige Richtung: der christliche Religionsunterricht… | |
| Es ist ein alter Hut: Die Schule hat einen Bildungsauftrag – und an den hat | |
| sich auch [1][das Fach Religion] zu halten. Doch weder sollen Kinder und | |
| Jugendliche dadurch „zu Gott finden“, noch sollen am Ende „Gläubige hän… | |
| bleiben“. Das war in den 1950er und 1960er Jahre noch anders. Auch mein | |
| eigenes Religionsbuch in der Grundschule (1964–1968) hieß noch „Die großen | |
| Taten Gottes“. Ein solcher Unterricht ist allerdings längst Geschichte. Wer | |
| den alten Religionsunterricht noch in lebhafter Erinnerung hat, sollte sich | |
| heute aber klar machen, dass diese Erinnerungen nicht der aktuellen | |
| Schulwirklichkeit entsprechen. | |
| Kann sein, dass sich so manche Bischöfe, vor allem katholische, heimlich | |
| wünschen, die alten Zeiten mögen zurückkehren. Öffentlich sagt das aber | |
| niemand mehr, damit würde man sich unglaubwürig machen. Denn die Sache des | |
| [2][Religionsunterrichts ist eine res mixta, eine „vermischte Sache“ also, | |
| die sowohl staatliche als auch kirchliche oder weltanschauliche | |
| Angelegenheiten] betreffen. So gibt es staatliche Vorgaben der | |
| Kultusministerkonferenz, die Kompetenzen wie Dialog- und Urteilsfähigkeit | |
| als Bildungsziele benennen. Die Ausbildung von Religionslehrern und | |
| -lehrerinnen erfolgt an staatlichen Hochschulen und Studienseminaren. Die | |
| fachwissenschaftlichen Debatten innerhalb der evangelischen wie | |
| katholischen Religionspädagogik spielen eine größere Rolle als mutmaßliche | |
| Wunschträume von Bischöfen und Kirchenleitungen. | |
| In Niedersachsen kann man gerade etwas Einzigartiges bestaunen. Das | |
| Bundesland führt zum neuen Schuljahr, das gerade begonnen hat, einen | |
| „Christlichen Religionsunterricht“ ein. Die Vorgaben dafür sind gerade als | |
| [3][Anhörfassung online] nachzulesen. Die zuständige Kommission hatte | |
| immense Herausforderungen zu meistern, die ihr die [4][grüne | |
| Kultusministerin Julia Willie Hamburg] auferlegt hatte: Sie musste einen | |
| einzigen Lehrplan für die 5. bis 10. Klassen für alle Schularten | |
| konzipieren, von der Förderschule bis zum Gymnasium. Und auch für zwei | |
| ehemals selbstständige Fächer mit eigenen Logiken. | |
| Das ist ein gelungener Neustart, bei dem nicht mehr die Systematik | |
| katholischer und evangelischer Theologie im Mittelpunkt steht. Die | |
| Schülerinnen und Schüler sowie ihre Lebenswelt in Form einer | |
| multireligiösen und multikulturellen Gesellschaft sind konsequent ins | |
| Zentrum gerückt. Die fünf Bereiche, für die erwartete Kompetenzen | |
| formuliert wurden, sind nunmehr Identität, Gemeinschaft, Sinn und Glaube, | |
| Handeln sowie Freiheit und Zukunft. Die „anderen“ Religionen und | |
| Weltanschauungen, explizit auch säkulare, sind nicht nur Appendix, sondern | |
| durchgehende Bezugsgrößen. Sie machen das neue Fach attraktiv für all jene, | |
| die keiner oder einer anderen Religionsgemeinschaft angehören. | |
| Neu ist zudem, dass die genannten „möglichen“ Inhalte sich nicht nur auf | |
| christliche Ressourcen und die Lebenswirklichkeit der Schüler und | |
| Schülerinnen beziehen, sondern gleichwertig interdisziplinäre | |
| wissenschaftliche Perspektiven sowie gesellschaftliche und interreligiöse | |
| Perspektiven aufnehmen sollen. Dahinter steht die Überzeugung, dass unsere | |
| demokratische Gesellschaft von Menschen lebt, die nicht im Gegensatz von | |
| Eigenem und Fremdem verharren. Sie müssen ambiguitätstolerant sein oder es | |
| werden, sich also in andere hineinversetzen und Differentes aushalten | |
| können. Und sie sollen ihre Beurteilungsmaßstäbe entwickeln statt | |
| beibehalten und in Sachen Religion mit verschiedenen Wahrheitsansprüchen | |
| leben können. Das Christentum hat das in Bezug auf seine Herkunftsreligion | |
| Judentum leider erst spät gelernt. | |
| Der Anstoß für die Entwicklung eines „Christlichen Religionsunterrichts“ | |
| kam von beiden Kirchen, den katholischen Bistümern in Hildesheim und | |
| Osnabrück sowie den fünf evangelischen Landeskirchen in Niedersachsen. | |
| Endlich, endlich, möchte man sagen. Endlich wird amtlich, was an der Basis | |
| weitgehend Konsens ist: Die konfessionelle Separierung macht keinen Sinn | |
| mehr, der Unterricht muss eine diverse und religiös vollkommen heterogene | |
| Schülerschaft im Blick haben. | |
| ## Lehrkräfte werden auch künftig religiös sein | |
| Ob die Schüler und Schülerinnen religiös sind oder nicht, ob sie eine | |
| institutionalisierte Bindung an eine bestimmte Religionsgemeinschaft haben | |
| oder nicht, spielte de facto für den Unterricht schon lange keine Rolle | |
| mehr. Wie für den Politikunterricht gilt auch für den Religionsunterricht | |
| das sogenannte Überwältigungsverbot, wie es der „Beutelsbacher Konsens“, | |
| eine Vereinbarung über drei Grundprinzipien für die politische Bildung in | |
| Deutschland, schon 1976 formuliert hat. Auch in Zukunft werden die | |
| Lehrkräfte des neuen Unterrichts evangelisch oder katholisch sein. | |
| Wie sich hinsichtlich ihrer eigenen Positionen im Religionsunterricht | |
| verhalten werden soll, regelt der „Koblenzer Konsent“ von 2024, ein | |
| Orientierungstext für den evangelischen und katholischen | |
| Religionsunterricht: Die Religionslehrkräfte sollen im Unterricht ihre | |
| Perspektivität offenlegen, Kontroversität fördern, respektvolle | |
| Kommunikation einüben sowie Urteils- und Handlungsfähigkeit ausbilden. | |
| Was wir für eine funktionierende demokratische Gesellschaft brauchen, sind | |
| eben nicht Meinungen, die auf anekdotischer Evidenz basieren, sondern | |
| faktenbasierte Argumentationen. Deshalb wünsche ich mir ein Mehr an | |
| religiöser Bildung in der Schule. | |
| Religion sei das Verhalten zum Unverfügbaren, hat der Philosoph Hermann | |
| Lübbe einmal definiert. Es sind Fragen von Leben und Tod, Fragen, die alles | |
| betreffen, was wir nicht in der Hand haben – nicht mit besonderer | |
| Frömmigkeit, auch nicht mit besonders umweltethischem Verhalten. Allein um | |
| eines friedlichen Zusammenlebens willen sollte es religiöse Bildung für | |
| alle geben. Der christliche Religionsunterricht in Niedersachsen ist | |
| deshalb ein Schritt in die richtige Richtung. | |
| 17 Aug 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Bärbel Husmann | |
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