# taz.de -- Smalltalk im öffentlichen Raum: Leute, was soll diese Stille? | |
> Die Begegnung mit fremden Menschen in einem Cafe kann unangenehm sein – | |
> vor allem, wenn keiner grüßt. Ein klassisch-deutsches Problem? | |
Bild: „Leute, was soll diese Stille? Wir teilen diesen Ort.“ | |
Letztens komme ich in ein Cafe. Sage „hallo“ und [1][niemand reagiert]. | |
Meine Stimme verhallt zwischen den unverputzten Wänden. Ich werde rot, | |
setze mich. | |
Drei Minuten später frage ich die Person neben mir nach einem Stift. | |
Nichts. Hm. Ich spreche ein bisschen lauter, wechsle ins Englische. Nichts. | |
Fuck, sagt doch was. Bitte. Ich fühle mich sowieso schon wie Spam im | |
Posteingang. Oder vielleicht hasst ihr mich persönlich? | |
Jetzt hilft nur: sich nichts anmerken lassen, die Kombination aus Scham und | |
Wut. Ich nehme einen Schluck Kaffee und werfe so unauffällig wie möglich | |
einen Blick auf die Leute. | |
Es sind schöne Leute, Main Character mit überdimensionalen Sneakern und | |
Mullets, Freelance-Verträgen und Ängsten und Träumen. Doch es sind einsame | |
Leute. Sie haben wie ich und du dabei mitgeholfen, die Wirklichkeit | |
abzuschaffen, als sie begonnen haben, nur noch über sich selbst zu reden. | |
Womöglich ist künstliche Intelligenz, wenn Menschen besser mit ihren | |
Geräten kommunizieren als mit anderen Körpern. Und alle einzeln auf einer | |
kleinen Parzelle mit Gartenzaun drumherum. | |
## Signale vom Kaffee | |
Derweil fließt der Kaffee durch meine Speiseröhre in den Magen, sendet | |
Signale in alle Richtungen meines Körpers. | |
Er besteht aus einer Gemeinschaft verschiedener Akteure, die kooperieren: | |
Sie verändern meinen Blutzucker, meinen Puls, meine Knochenstruktur. Ich | |
frage mich, warum kooperiert hier niemand? | |
Am liebsten würde ich auf den Tisch springen und einen Ted-Talk halten: | |
Leute, was soll diese Stille? Wir teilen diesen Ort. Die U-Bahn, die euch | |
hierher bringt, der Asphalt, der euch ohne dreckige Schuhe hierhin führt, | |
das Wasser in eurem Kaffee gäbe es nicht ohne Zusammenarbeit. Unter dem | |
Asphalt, der unsere Schuhe sauber hält, fließt etwas, das uns alle trägt. | |
Vielleicht habe ich den Raum falsch gelesen. Vielleicht habe ich zu viel in | |
den Raum hineingelesen. Vielleicht ist irgendwann aus der wachsenden | |
privaten Einsamkeit eine öffentliche entstanden. | |
Unangenehme Momente wie diesen im Cafe erlebe ich in letzter Zeit häufiger, | |
aber jedes Mal machen sie mich fertig, weil sie zeigen: Eine geteilte Welt | |
ist möglich – scheitert aber bereits im ersten Schritt. Ein einfaches Hallo | |
wäre subversiv. Es könnte die unsichtbaren Mauern einreißen. | |
Als es noch Könige gab, mussten Menschen streng zwischen Innen und Außen | |
unterscheiden: Nach außen waren sie Untertan, nach innen Mensch. | |
## Distanz als neue Norm | |
Heute sind sie sowohl außen als auch innen Untertan. Das Privatleben ist | |
von digital gesteuerten Kräften kolonisiert. Keine Ahnung, aber wer so | |
beherrscht wird, sucht wohl eher die Distanz als die Nähe seinesgleichen. | |
Im 18. Jahrhundert war [2][Höflichkeit] keine oberflächliche | |
Smalltalktugend, sondern die Bedingung einer freien Gesellschaft. | |
Autokraten brüllten oft herum. [3][Demokratische Revolutionäre] dagegen | |
übten höflich sein: Eine Technik, die das Gemeinsame rettet, auch wenn man | |
gerade keinen Bock drauf hat. Und die Fremde kurzzeitig zu Gleichen macht. | |
Kürzlich saß ich in einer Bäckerei in Paris. Ein Mann kam rein und sagte | |
„Bonjour“. Alle haben geantwortet. Für einen Moment war da eine Verbindung | |
– so wie der Espresso, der sich mit all den anderen Stoffen im Körper | |
mischt. Krass. Fühlt sich fast an wie Zivilgesellschaft. | |
Es wurde wirklich ein guter Tag. | |
18 Aug 2025 | |
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## AUTOREN | |
Philipp Rhensius | |
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