# taz.de -- Freizeit in Nahost: Händchenhalten in den Bergen | |
> Seit der Coronapandemie wandern im Libanon mehr Menschen. Das stärkt den | |
> Zusammenhalt in einem Land, in dem die Gesellschaft gespalten ist. | |
Bild: „Wandern zeigt mir die Schönheit des Libanon, die nur wenige kennen“… | |
Akoura taz | Yallah, let’s go, ruft Maroun Khalil. Die Füße in den | |
Wanderschuhen tauchen ein in das kalte Flusswasser, die Schuhsohle saugt | |
sich voll, das Bein sinkt immer tiefer in den Fluss, der Fuß tastet nach | |
einem stabilen Stein in der Strömung. Das Bein taucht bis zur Hüfte ins | |
Wasser, die Kälte steigt hoch, es kribbelt, die Haut wird rot von der | |
Kälte. Vom Himmel brennt die Sonne, Bäume am Flussrand spenden etwas | |
Schatten. „Nutzt eure Hände, um euch abzustützen“, rät der Guide. Große | |
Steine ragen aus dem Wasser, sie sind mit Moos bewachsen und eignen sich | |
dafür, die Hände abzustützen, für einen besseren Halt beim Balancieren | |
durch den Fluss. | |
Neben der mediterranen Küste hat Libanon auch bis zu 3.000 Meter hohe Berge | |
mit schroffen Gipfeln und fruchtbaren Tälern. Zedernbäume, wilder Thymian, | |
seltene Blumen, viel Wasser – das Land ist perfekt zum Wandern, auch im | |
Hochsommer. | |
Eine tiefe Wirtschaftskrise hat das Land seit 2019 im Griff, 2020 zerstörte | |
eine Explosion von fahrlässig gelagertem Ammoniumnitrat Teile der | |
Hauptstadt Beirut, vor allem den Hafen. Die globale Coronapandemie und der | |
Krieg mit Israel seit Oktober 2023 kamen noch hinzu. Täglich summen | |
israelische Drohnen am Himmel über Libanon, trotz des | |
Waffenstillstandsabkommens im November 2024 gibt es Angriffe. Die Menschen | |
gehen trotz der geopolitisch und wirtschaftlich schwierigen Zeiten wandern. | |
Oder gerade deshalb. | |
Pünktlich um 7.30 Uhr morgens steht Maroun Khalil in schwarzem T-Shirt und | |
Trekkinghose am Märtyrerplatz in der Beiruter Innenstadt. Auf einem Blatt | |
Papier hakt er die handschriftlich notierten Namen auf seiner | |
Anwesenheitsliste ab. Der Reisebus fährt los, an der Schnellstraße steigen | |
mehr Leute hinzu, dann geht es in die Berge. Der erste Stopp ist eine | |
kleine Bäckerei, hier gibt es Manoushe, eine Form der libanesischen Pizza, | |
bestrichen mit einer Paste aus getrocknetem Thymian, Sesam und Olivenöl. | |
„Wer hat Kaffee bestellt?“, ruft Khalil. Nachdem schwarzer Kaffee in einer | |
kleinen Kanne gereicht wurde, stellt er sich vor: „Mein Name ist Maroun | |
Khalil, ich bin 39 Jahre alt, habe 20 Jahre Militärerfahrung und Wandern | |
ist meine Leidenschaft.“ Angesichts der Wirtschaftskrise beschloss Khalil, | |
„diese militärische Erfahrung in zivile Erfahrung umzuwandeln“. Also: mit | |
seiner Leidenschaft für das Wandern Geld zu verdienen. | |
In den vergangenen 20 Jahren hat er lange, anstrengende Märsche durch die | |
Wildnis unternommen. Das erste Mal als Zivilist aus Spaß wandern war Khalil | |
im Jahr 2017, erzählt er. Auf die Idee, das Wandern zum Beruf zu machen, | |
kam er wenig später durch einen Freund. „Er sagte: 'Du liebst das Wandern. | |
Warum machst du das nicht zu deinem Beruf?’ Ich dachte, er würde nur so | |
reden, aber dann gab er mir einen Privatkredit.“ Khalil kaufte seine erste | |
Ausrüstung: einen großen Rucksack, Wanderschuhe und ein Erste-Hilfe-Set. | |
2024 machte er ein Diplom als Bergführer an der Antonine-Universität. Die | |
Uni ist die erste, die so einen Studiengang im Libanon anbietet. „Ich | |
belegte Kurse in Flora und Fauna, Tourismus und Wandertechniken, | |
Risikomanagement, Geografie und Klima“, sagt Khalil. Anschließend gründete | |
er ein Unternehmen: Nomads. Khalils Firma hat mittlerweile drei | |
Mitarbeitende, bietet Wanderungen, Trekking und Zelten an. | |
„In der Armee ist das Laufen in der Wildnis Teil der Ausbildung. Es ist | |
gefährlich, du musst Entscheidungen treffen, du erhältst oder erteilst | |
Befehle. Wandern ist anders, es ist wie Therapie. Sogar mehr: eine | |
ganzheitliche Erfahrung.“ Das Konzept des Wanderns sei etwas Neues im | |
Libanon. „Die ersten Unternehmen wurden nach 1998 gegründet. Aber während | |
der Coronapandemie gab es einen Boom: Die Menschen sind in die Natur | |
gegangen und viele Gruppen oder Unternehmen sind entstanden.“ | |
Für ihn ist wandern nicht einfach nur spazieren gehen. „Man lernt die | |
Geschichte der Region, die Kultur der Menschen kennen und wie sie leben, | |
wie sie ihr Essen zubereiten und wie es schmeckt.“ Khalil macht Halt bei | |
kleinen, lokalen Bäckereien und Restaurants, er versucht, die lokale | |
Wirtschaft zu stärken. Auch wenn die Teilnehmenden alle Libanes*innen | |
sind, ist es ihm wichtig, dass sie die Lebensrealitäten anderer Menschen im | |
Land besser kennenlernen. | |
Im Libanon leben viele verschiedene Religionsgemeinschaften. Die | |
herrschenden Politiker nutzen das für ihre Zwecke aus. Dadurch sind die | |
Vorurteile gegenüber den vermeintlich anderen auch nach dem Bürgerkrieg, | |
der 1990 endete, noch vorhanden. „Der Libanon ist durch diese hässlichen | |
sektiererischen Narrative gespalten“, sagt Khalil. „Es ist verboten, auf | |
unseren Wanderungen über Politik in diesem spaltenden Sinne zu sprechen. Es | |
geht nicht um Christen oder Sunniten oder Schiiten. Wir haben Menschen aus | |
allen Konfessionen dabei, jeder ist willkommen, und wir lernen voneinander | |
und übereinander. In diesem Sinne ist Nomads der Libanon, von dem wir | |
träumen.“ | |
## Die Leben anderer Menschen kennen lernen | |
Wo immer er eine Wanderung organisiert, arbeitet Khalil mit lokalen Guides. | |
Einer von ihnen ist Oliver Nassif. „Mein Vater fuhr einen Minivan für | |
Gruppen und meine Großeltern besaßen ein libanesisches Restaurant“, erzählt | |
Nassif. Der 25-Jährige ist quirlig, voller Energie. Seit elf Jahren hat er | |
ein eigenes kleines Unternehmen und bietet Touren an. „Eines Tages wachte | |
ich morgens auf und die Gruppe, die in unserem Gästehaus wohnte, wartete | |
auf ihren Reiseführer. Als der nicht kam, fragte mein Vater mich: ‚Du | |
kennst doch den Wasserfall, du kletterst da immer die Felsen hoch, kannst | |
du die Leute da nicht hinführen?‘ Das habe ich einfach gemacht. Am Ende des | |
Tages gaben sie mir sogar Geld dafür! Da habe ich beschlossen: Das ist | |
genau das, was ich machen will.“ Es mache ihm Spaß, neue Menschen | |
kennenzulernen, die einen anderen Hintergrund haben als er selbst. | |
Nassif springt aufgeregt von Strauch zu Strauch: „Hier wachsen Feigen“, | |
sagt er und streicht über die rauen Blätter, „das hier sind Pistazien, hier | |
wachsen Trauben und das hier ist Zaatar, Thymian“, ruft er und pflückt eine | |
hellgrüne Pflanze. „Wandern zeigt mir die Schönheit des Libanon, die nur | |
wenige kennen.“ Diese Schönheit liege in der Vielfalt der Geologie und des | |
Ökosystems, der Blumen und Bäume. „Heute wandern wir sechs Kilometer. Wir | |
beginnen in den Bergen, steigen zwischen riesigen Kalksteinfelsen in ein | |
Gebiet voller Vegetation in der feuchten Umgebung des Flusses. Wenn wir von | |
hier aus weitergehen, kommen wir in ein Tal, das Island ähnelt, mit diesen | |
Felsen, die wie Würfel übereinander gebaut sind. Und genau das macht es so | |
schön, im Libanon zu wandern.“ | |
Außerdem seien es die Menschen. „Wenn man von einem Dorf zum anderen | |
wandert, kann man viele Unterschiede im Dialekt feststellen. Die Namen der | |
Vögel und der Bäume sind unterschiedlich. Auch das Essen ist von Dorf zu | |
Dorf anders.“ | |
An einer Felswand schnappt sich Nassif ein Seil mit vielen Knoten. Es ist | |
an eine Stahlkette geknüpft, an deren Ende eine Kirchturmglocke befestigt | |
ist. Nassif zieht mit beiden Armen an der Kordel, geht in die Knie, springt | |
auf und nutzt sein ganzes Gewicht, um die Glocke zum Läuten zu bringen. „So | |
haben sich unsere Vorfahren bei Gefahren alarmiert oder zum Gebet gerufen“, | |
erklärt er. | |
Der höchste Berg im Libanon ist der Qurnat as Sawda mit 3.088 Metern über | |
dem Meeresspiegel, mehrere Wanderwege führen zu seinem Gipfel. Er ist | |
christlichen Märtyrern gewidmet, die von den Mamluken, islamischen | |
Konvertiten, Ende des 13. Jahrhunderts ermordet wurden. | |
Berge machen 73 Prozent des Libanon aus, zwölf Prozent der Bevölkerung | |
wohnen hier. Laut einer Studie des Entwicklungsprogramms der Vereinten | |
Nationen in Zusammenarbeit mit dem libanesischen Umweltministerium | |
generieren Bergaktivitäten wie wandern, Ski fahren, Vögel beobachten etwa | |
13 Prozent der gesamten Arbeitsplätze in der libanesischen | |
Tourismusindustrie. | |
Trotz der hohen Berge gibt es keine lange Tradition des Wanderns. Das | |
erklärt Nassif so: „Meine Vorfahren wurden seit Tausenden Jahren verfolgt | |
und suchten Schutz in den Bergen.“ Sein Opa mütterlicherseits kam aus einer | |
schiitischen Familie, die im 13. Jahrhundert in den Libanon kam, weil sie | |
verfolgt wurden. „Für sie ging es nur darum, am Leben zu bleiben. Deshalb | |
konnten wir vielleicht nicht diese Liebe zum Alleinsein entwickeln. Auch | |
heute noch haben wir ständig Stress, einfach nur am Leben zu bleiben. Es | |
ist also nicht so einfach, wie es vielleicht in der Schweiz ist.“ | |
Wandern boomte vor allem zu Beginn der Jahrtausendwende, nach dem | |
Bürgerkrieg und der Besatzung durch das syrische Assad-Regime, erklärt | |
Nassif. „Mit den sozialen Medien fingen die Leute an, Fotos von schönen | |
Orten im Land zu teilen und andere beschlossen: Da möchte ich auch hin!“ | |
Davor gingen die Menschen in der Natur spazieren, um zu ihren Feldern zu | |
gehen oder die Herde grasen zu lassen. „Also sie liefen, um zu arbeiten. | |
Ich bin oft mit meinem Opa Vögel jagen gegangen. Oder wir sind zu Kirsch- | |
oder Apfelfeldern gegangen, um die Felder zu bestellen. So habe ich | |
angefangen, zu wandern.“ | |
Rima al-Kouzi sitzt auf einem Stein und blickt auf einen Wasserfall. Um das | |
Wasserbecken herum sonnen sich Menschen auf den Steinen, Jungs in Badehosen | |
stehen mit schlotternden Knien im Wasser und machen Fotos. Al-Kouzi hat | |
sich entschieden, nicht im Becken zu schwimmen, sondern sich etwas | |
auszuruhen. „Wandern verbindet mich mit meinem Heimatland“, erzählt sie. | |
Die 51-Jährige ist Mathematiklehrerin und kommt aus Beirut, aus dem | |
sunnitisch geprägten Stadtteil Tarik al-Jadideh. „Ich bin während des | |
Bürgerkrieges aufgewachsen. Was uns eine schöne Kindheit bescherte, war, | |
dass wir als Familie zusammenhielten, zusammen spielten und im Sommer in | |
die Berge fuhren. Wir haben dort ein Haus. Im Sommer sind meine Cousins, | |
meine Geschwister und ich gewandert. Da fühlte sich der Krieg weit weg an.“ | |
Seit acht Jahren lebt al-Kouzi in Katar, doch in den Sommerferien kommt sie | |
zurück. Zum wandern. „Das erinnert mich an die schönen Tage meiner | |
Kindheit: die grünen Berge, die Kiefern, der Geruch von Pinien und frischer | |
Minze.“ | |
„Meine zwei Söhne leben in Frankreich. Meine Tochter arbeitet in Dubai. | |
Mein Mann lebt im Libanon und ich arbeite in Katar“, erzählt al-Kouzi. „Der | |
Libanon ist der Ort, an den wir zurückkehren, um uns wiederzusehen.“ | |
Libanes*innen hätten eine Hassliebe zu ihrem Land: Auf der einen Seite | |
wollten sie ihre Kinder vor Kriegstraumata schützen, auf der anderen Seite | |
fühlten sie eine Sehnsucht. „Das ist es, was uns jedes Mal zurückbringt: | |
die Natur, das Essen, die Familie, die Freunde.“ Im Ausland verdient sie | |
Geld, ihren Ruhestand möchte sie im Libanon verbringen. Sie sagt: „Hier | |
sind meine Wurzeln, hier möchte ich begraben werden.“ | |
Als die Wanderung über Steine weitergeht, reicht al-Kouzi einer Mitwanderin | |
die Hand. „Wenn du siehst, dass jemand fällt, hältst du zum Beispiel | |
einfach ihre Hände fest. Wir sagen uns gegenseitig: Sei vorsichtig, der | |
Stein hier wackelt, tritt nicht hier oder dort hin. Wir fragen nicht: Aus | |
welcher Gegend kommst du? Was ist deine politische Einstellung? Diese | |
Menschlichkeit ist die Richtung, in die wir Libanesen gehen müssen.“ | |
Ein Weg, der die Menschen im ganzen Land verbinden soll, ist der | |
Libanesische Bergpfad. 2007 hat ein kleines Team mithilfe von Geldern der | |
amerikanischen Entwicklungshilfebehörde USAID den ersten | |
Langstreckenwanderweg entwickelt und ausgewiesen, mit dem erklärten Ziel, | |
„Ökotourismus als Freizeitindustrie nach dem Konflikt zu fördern“. Der Weg | |
durch das ganze Land sollte zusammenschweißen, was durch den Bürgerkrieg | |
kaputt gegangen war. Der Libanesische Bergwanderverein wurde zu einer der | |
größten NGOs im Land. Das Team aus Freiwilligen erhält den Pfad, | |
unterstützt Gästehäuser und Restaurants entlang der Wege und aktualisiert | |
eine digitale Karte mit Route, Wasserquellen und möglichen Zeltplätzen. | |
## Erntehelfer, Kirschpflücker, Brotbäckerin | |
Wer den Libanesischen Bergpfad entlang wandert, trifft an einem Tag | |
syrische Erntehelfer, einen christlich-maronitischen Bauern, der frische | |
Kirschen vom Baum und Wasser aus seinem Brunnen anbietet, eine | |
muslimisch-schiitische ältere Dame, die im Innenhof ihres Hauses Brot backt | |
und selbstgemachte Zitronenlimo mit einem Schuss Rosenwasser serviert. | |
Der 470 Kilometer lange Pfad verbindet 76 Dörfer miteinander. Er führt vom | |
maronitisch-christlich geprägten Dorf Andaket in der Gegend Akkar im Norden | |
bis in die mit Olivenbäumen und Eichen bewachsenen Hänge von Ain Ebel im | |
Süden; entlang tiefer Täler, vorbei an Klöstern und Höhlen, Bächen und Seen | |
bis zum höchsten Punkt auf knapp über 2.000 Metern über dem Meeresspiegel. | |
Eigentlich sollte der Pfad höher führen, doch einige Stadtverwaltungen | |
setzten sich dafür ein, dass die Ortschaften entlang des Weges einfach zu | |
erreichen sind. | |
2019 gaben Wanderer rund 100.000 US-Dollar in den Dörfern entlang des Weges | |
aus. Es folgte eine wirtschaftliche Talfahrt durch Finanzkrise und | |
Pandemie. Im Jahr 2021 investierte die deutsche Regierung in Partnerschaft | |
mit der UN-Arbeitsorganisation eine Million Euro in die Instandhaltung des | |
Wanderweges. Freiwillige frischten die Markierungen auf Steinen am | |
Wegesrand mit lila-weißer Farbe auf. Langsam ging es sprichwörtlich | |
bergauf. Dann kam der jüngste Krieg mit Israel. Laut Zentralbank sanken die | |
Einnahmen aus dem Tourismus im Jahr 2024 um 16 Prozent auf umgerechnet 4,5 | |
Milliarden Euro. Der Großteil davon beruht auf Libanes*innen aus der | |
Diaspora, die ihren Sommerurlaub sonst im Libanon verbringen. | |
Israelische Angriffe trafen nicht nur Menschen und ganze Dörfer, auch große | |
Teile der Wanderwege sind zerstört. Vor allem im Süden des Landes ist | |
wandern nicht mehr möglich. Hier trafen israelische Angriffe die | |
Bevölkerung und Natur am härtesten. In Ain Ebel und Bint Jbeil verbrannten | |
ganze Wälder wegen israelischer Luftangriffe. Durch den | |
[1][völkerrechtswidrigen Einsatz von weißem Phosphor] und anderen | |
Brandwaffen, für den unter anderem Amnesty International und Human Rights | |
Watch Belege gesammelt haben, verbrannten Zehntausende Olivenbäume und | |
andere Nutzpflanzen im Grenzgebiet. „Wir können nicht wandern, unmöglich“, | |
sagt Yehya Monzer. „Es ist wirklich gefährlich, unsere Wandergebiete sind | |
wie eine Militärzone. Die Drohnen sind jeden Tag am Himmel.“ Der 56-Jährige | |
ist passionierter Wanderer und Guide. Er wohnt in Ebel al-Saqi, nahe an der | |
Grenze zu Israel. Dort wachsen eintausend Jahre alte Olivenbäume, auf einer | |
Aussichtsplattform reicht das Panorama bis zum Berg Hermon im syrischen | |
Grenzgebiet, in einem Naturreservat leben Zugvögel. Seit 1978 sind in dem | |
Dorf UN-Friedenstruppen stationiert. Der Ort war einige Male Ziel von | |
israelischen Angriffen, Anfang November von Phosphorbomben im Umland von | |
Ebel al-Saqi, berichtete die staatliche libanesische Nachrichtenagentur | |
NNA. Ende November bombardierten israelische Kampfflugzeuge drei Häuser in | |
dem Ort und töteten eine christliche Frau, ihr Ehemann wurde schwer | |
verletzt. | |
Obwohl der Krieg offiziell durch ein Waffenstillstandsabkommen beendet ist, | |
sind die Menschen noch immer von israelischen Angriffen bedroht. „Seit | |
Beginn des Krieges vor fast zwei Jahren ist die Situation für Wanderer | |
nicht einfach, besonders im Süden. Es war praktisch unmöglich, dorthin zu | |
gehen. Auch jetzt noch, besonders in unserer Gegend hier, vom Distrikt | |
Marjayoun bis hinunter nach Naqoura.“ Es sei ein zu großes Risiko, sich zu | |
versammeln. Eine größere Ansammlung von Menschen wie eine Wandergruppe | |
könne Israel als gefährlich wahrnehmen und angreifen. | |
Der Krieg hat Monzer zum Aufhören gezwungen, dabei war Wandern sein Beruf | |
und seine Leidenschaft. Vor zwölf Jahren hat er damit angefangen. „Ich | |
erkundete die Gegend, ganz alleine. Wir haben einen sehr schönen Fluss, der | |
an unserem Dorf vorbeifließt. Wandern war damals noch etwas Neues. Niemand | |
sonst machte das.“ Also begann er, Fotos in den sozialen Medien zu teilen. | |
„Leute fragten mich: ‚Bist du außerhalb des Landes?‘ Und alle waren | |
überrascht über meine Antwort. Sie glaubten mir nicht, dass ich diese Fotos | |
in meiner Gegend gemacht hatte.“ | |
## Solange Krieg ist, wandert niemand | |
Dann wollten Menschen mitkommen, doch hatten Angst, dass Wandern zu | |
anstrengend ist. „Ich hatte ein wenig Mühe zu erklären, dass jeder das tun | |
kann. Wandern ist einfach ein Spaziergang, um die Natur zu genießen, den | |
Stress loszulassen.“ Mit der Zeit schlossen sich mehr Leute an, posteten | |
Fotos von dem Ausflug. „Und die Fotos erreichten viele Menschen, bis Leute | |
von außerhalb unserer Gegend kamen, aus Beirut, aus dem ganzen Land.“ Von | |
Frühling bis Herbst, fast jedes Wochenende organisierte er Wanderungen. | |
„Früher gingen viele Menschen zusammen. Jetzt ist die Situation völlig | |
anders. Die Stimmung, der Stress, alles hat das Wandern beeinflusst.“ Es | |
stehe nicht mehr im Vordergrund, etwas zu unternehmen und zu genießen. „Vor | |
dem Krieg wollten die Leute wandern, um den Stress hinter sich zu lassen | |
und die Natur zu genießen. Und jetzt, während des Krieges, kann niemand | |
mehr wandern. Der Stress wird immer größer und stärker.“ | |
Wandern sei für alle da gewesen, schwärmt Monzer. „Für Kinder, Erwachsene, | |
Alte; Schiiten, Drusen, Christen. Alle hatten Spaß am Wandern. Und jetzt | |
haben nicht nur die schiitischen Wanderer Angst davor.“ Der Guide hofft, | |
„dass dieser Krieg aufhört und dass das Wandern in unserer Gegend wieder | |
möglich ist.“ Doch dafür müssten die israelischen Aggressionen aufhören u… | |
dann die Wanderwege repariert werden, sagt Monzer. Er schwärmt von den | |
Wegen zwischen Marjayoun, hinunter bis an die Küste nach Nakoura, durch | |
Bint Jbeil und Tyros. Die Leute fragten zwar, ob er nicht wieder mit ihnen | |
losziehen möchte, doch Monzer geht das Risiko nicht ein. | |
Gerade nach diesem jüngsten Krieg, der sektiererische Narrative bestärkt | |
und die Angst vor schiitischen Libanes*innen erhöht hat, der den Nord- | |
und den Südlibanon tief gespalten hat, sind die gesellschaftlich | |
verbindenden Effekte des Wanderns wichtig. Immerhin gebe es ein paar | |
Menschen aus dem Süden, die für das Wandern in den Norden oder Osten des | |
Landes fahren, sagt Monzer. Er gibt die Hoffnung nicht auf, „dass die Leute | |
wieder von überallher kommen und mit uns hier wandern“. | |
14 Aug 2025 | |
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[1] https://www.aljazeera.com/features/longform/2024/3/25/israels-toxic-legacy-… | |
## AUTOREN | |
Julia Neumann | |
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